Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Denksport

Der Bassist Henning Sieverts liebt musikalische Rätsel

Von DIRK WAGNER

Obwohl der Komponist und Dichter Guillaume de Machaut für das Lied nur zwei Stimmen notierte, handelt es sich bei seinem im 14. Jahrhundert komponierten "Ma fin est mon commencement" um ein dreistimmiges Rondeau. So ein musikalisches Rätsel spricht den Münchner Jazzmusiker und Journalisten Henning Sieverts an. Er liebt es, seine Musik wie eine Denksportaufgabe zu entwickeln. Wobei ihm die Poesie der Aufgabe selbst wichtiger ist als das profane Ergebnis. Also schafft er als Kontrabassist und Cellist mit seinem kammermusikalischen Trio Symmethree Anagramme und Palindrome, die auch die Zwölftonmusik eines Anton Webern und die Modi mit begrenzten Transpositionsmöglichkeiten eines Olivier Messiaen in die Jazzmusik überführen.

Der Komplexität der Musik wegen spielt das Ensemble mit dem Posaunisten Nils Wogram und dem Gitarristen Ronny Graupe in der BMW Welt vom Blatt. Trotzdem wirkt die Musik herrlich unverkopft, wenn hier zum Beispiel das B-A-C-H-Thema des Thomaskantors über einen Jazz-Standard gelegt wird. Dass Sieverts jedoch beinahe jede seiner Raffinessen im Konzert erläutert, als befürchte er, seine Musik könne ohne das Wissen um die gespiegelten Symmetrien in ihr nicht wirken, ist auf Dauer beinahe so entzaubernd, als würde Woody Allen in seinen Filmen jede Pointe erläutern. Dabei würde Sieverts' Cello-Version von Machauts "Mein Ende ist mein Anfang" auch ohne Erklärung offenbaren, dass es zu den erhabensten Stücken der Musikgeschichte zählt.

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Quelle:
SZ vom 14.02.2017
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