Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Dämonisch gut

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Sigi Zimmerschieds neues Soloprogramm

Von Oliver Hochkeppel, München

Sigi Zimmerschied einen Kabarettisten zu nennen, ist seit Langem eine starke Untertreibung. Der 65-Jährige hat seinen Programmen mehr und mehr Theaterform verpasst, sie dank seiner darstellerischen Wucht in Ein-Mann-Stücke mit vielen Rollen verwandelt. Mit "Heil. Vom Koma zum Amok" hat er das jetzt konsequent zu Ende geführt: Ein großes, aktuelles Thema - die Enttabuisierung und neue Salonfähigkeit von Gewalt - wird an einer Biografie entrollt, in ihren historischen (natürlich samt der Rolle der Kirche) und strukturellen Erscheinungsformen ausgeleuchtet und in der Lach- und Schießgesellschaft überspitzt in ein aktuelles Szenario überführt. Mehr Theater geht auf der Kleinkunstbühne nicht.

Da ist also der Kammerjäger Sigi Heil, ehedem Security-Mann und Schläger seit frühester Kindheit. Aus guten Gründen vereinsamt, "begeht" er seinen 65. Geburtstag. Erinnert sich erst an Eltern, Geschwister und Verwandtschaft - wobei klar wird, dass alle ihren Anteil an seinen Deformationen haben - und säuft sich dann seine Gratulanten einfach herbei: den Pfarrer, den Militärkameraden, alle einst schwer von ihm malträtiert. Als er seinen kümmerlichen Rentenbescheid öffnet, brennen ihm endgültig die Sicherungen durch: Er setzt "Bewerbungsbriefe" an den Massenmörder Niels Högel oder einen islamistischen Hass-Imam "zwecks beruflicher Neuorientierung" auf und spielt ein medienwirksames Massaker mit dem Publikum durch.

Es ist dies vielleicht die bisher dämonischste aller Zimmerschied-Figuren, doch noch keines seiner menschlichen Monster hat er so subtil, so gleichzeitig erschreckend und mitleiderregend, ja fast liebenswert gespielt. Wodurch der Zuschauer vom schweren Thema tiefer und direkter berührt wird als üblich. Man erschrickt hier mitunter über sein Lachen angesichts des Grausigen. Das nennt man wohl Katharsis. Wie bei jedem guten Stück darf das Ende nicht verraten werden. Abgesehen vom völlig berechtigten Jubelsturm des Publikums.

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Quelle:
SZ vom 07.02.2019
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