Kurzkritik:Betörend

Vor allem René Pape beeindruckt im Festspiel-"Don Carlo"

Von Andreas Pernpeintner

Vier Stunden lang hat sich René Pape in Verdis "Don Carlo" als Philipp II. von Spanien Autorität ersungen. Beim letzten Vorhang nutzt er sie noch einmal: eine klare Geste an die verbliebenen Zuschauer im Nationaltheater - Leut', lasst uns heimgehen. Die Publikumszuneigung für das Solistenensemble ist berechtigt - und erfreulich, da sich zuvor auch Buh-Rufer hervortaten. Ihnen missfiel erstens Dirigent Asher Fisch, der jedoch vorzüglich und mit viel Zug durch dieses epische Werk führte. Unter seiner Leitung gelangen dem Staatsorchester und dem Opernchor feinsinnige dynamische Schattierungen. Zweitens zog Tenor Alfred Kim mit seiner Gestaltung der Titelrolle Unmut auf sich. Sicherlich, eine schauspielerische Naturgewalt ist er nicht unbedingt; wann immer es zwischen ihm und Königin Elisabeth (Anja Harteros) intimer wird, wirkt er eher hölzern. Doch Don Carlos Männerfreundschaft mit Rodrigo und sein politischer Durchsetzungswille gegen den königlichen Vater klingen durch Kims glasklaren Tenor, der in der Höhe famose Strahlkraft hat, sehr überzeugend.

Die deutlichen Akzente setzen aber eher die Kollegen: Anna Smirnova als kernig beherzte Prinzessin Eboli, der frische Simone Piazzola als hemdsärmeliger Rodrigo, dem man sowohl die innige Verbundenheit mit Don Carlo als auch den aufrührerischen Kämpfer für die Unterdrückten in Flandern und den listigen Einschleimer beim König sofort abkauft. Auch Rafał Siwek ist als knarziger Großinquisitor eine Schau und macht einen frösteln.

Dass aber diese komplexe Handlung in der sorgsam beleuchteten, kargen Raumlandschaft von Regisseur Jürgen Rose solch packende Wirkung entfaltet, liegt vor allem an Anja Harteros und René Pape: Harteros singt und spielt die traurig sinnierende Elisabeth und deren unerfüllte Liebe zum einstigen Verlobten und jetzigen Stiefsohn mit hinreißender Melancholie. Über Stunden ohne Intensitätsverlust. Und das gilt auch für René Papes König Philipp. Der ist die vielschichtigste Erscheinung. Doch Pape trifft jeden Charakterzug. Machtbesessen verbrennt er im Purpurmantel Ketzer. Anrührend hadert er im zerzausten Nachthemd mit seinem Schicksal, nicht geliebt zu werden. Das ist in aller Stille einfach betörend wunderbar gesungen.

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