Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Auf Walfang

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Das Kollektiv Rohtheater agiert im Doppeldeckerbus

Von Ricarda Hillermann, München

Als die Pequod, das Schiff aus Hermann Melvilles Roman "Moby Dick" von 1851, unter Kapitän Ahab in See sticht, um auf Walfang zu gehen, setzt sich ebenso der rote Doppeldeckerbus mitsamt Theaterbesuchern in Bewegung. Zugestiegen war die 40-köpfige Reisegruppe im Theater Blaue Maus, nachdem sie kurz in die Romanhandlung eingeführt worden war.

Die mobile Theaterinstallation von Regisseur Bülent Kullukcu, Anton Kaun und Dominik Obalski, die sich als Kollektiv Rohtheater nennen, ist ein Experiment: Aus Lautsprechern erklingen gesellschaftskritische Worte zu Digitalisierung, künstlicher Intelligenz und der Ausbeutung der Natur durch den Menschen, die unausweichlich zu einer ökologischen Krise führen muss. Die tagesaktuellen Themen, dem historischen Auszug aus "Moby Dick" gegenübergestellt, lassen den Zuhörer über seine eigenen Haltungen und Handlungen nachdenken. Trotz bitterböser Inhalte aber bringen die von Kullukcu mit einem Augenzwinkern vertonten Texte die Mitfahrer immer wieder zum Lachen.

Dominik Obalski begleitet die zweistündige Stadtrundfahrt live am Piano, während der Bus bei Sonnenuntergang über die Dachauer Straße, den Bonner Platz, die Rheinstraße entlang bis hin zur Leopoldstraße fährt. Zurück in Richtung Münchner Innenstadt ziehen unerwartete "Ampelwinde" die Fahrt bis zur Endstation Münchner Ostbahnhof in die Länge. Zweimal steigt die gesamte Besatzung aus: Puppentheater, Lichtinstallationen, Videosequenzen, elektronische Livemusik und Textstellen aus der Schrift "Transparenzgesellschaft" des Philosophen Byung-Chul Han beschwören die Reisenden, ihre Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen. Obwohl Inhalt und Form der Performance glänzend aufeinander abgestimmt sind - die Analogie zu Melvilles Roman ist nicht immer ersichtlich und gerät zeitweise in Vergessenheit.

Wie fängt der zeitgenössische Ahab seinen Gegner Moby Dick? Er sucht ihn in den Social Media.

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Quelle:
SZ vom 16.07.2018
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