Kurzkritik:Anhaltende Kälte

Dorothea Schroeders Recherche-Projekt im Bellevue

Von Egbert Tholl

Elvis ist ein sehr wacher, blitzgescheiter Mensch. Mit Nachnamen heißt er Atofarati und kommt aus Nigeria. Im Café des Bellevue di Monaco erzählt er davon, dass es in seinem Land 521 Sprachen gibt, was ihn für ein Sprachspiel mit Andreas Bittl prädestiniert. Bittl trägt Gedichte und Texte in verschiedenen deutsche Dialekten vor, und Elvis muss beschreiben, wie diese auf ihn wirken. Einen empfindet er als Gesang - es ist der Dialekt der Siebenbürger Sachsen aus Rumänien. Als Münchner Zuhörer versteht man von diesem Dialekt so viel wie Elvis oder auch so viel wie der wesenshaft neugierig Bittl von dessen nigerianischen Dialekten: nichts.

Dorothea Schroeder zeigt im Bellevue di Monaco ihr Recherche-Projekt "Kalte Heimat - Was heißt woher?" Es müsste Tage dauern, um all dem, was Schroeder und ihre Mitwirkenden zusammengetragen haben, gerecht zu werden. Es dauert aber nur knapp zwei Stunden, und das ist schade. Schauspielerinnen und Schauspieler wie Bittl oder Susanne Schroeder erzählen Biografien, die sie in Gesprächen erforscht haben. Geschichte von einer Dame, die als Kind mit ihrer Familie von Tallinn nach Polen verpflanzt wurde, um im Warthegau deutsche Kolonialarbeit zu leisten. Tallinn hieß damals Reval, und der Warthegau war eine bizarre Nazi-Idee. Geschichten von Sudetendeutschen, die den Geruch der Heimat nie vergaßen, vom Todesmarsch von Brünn, von der Ankunft in Niederbayern, wo man fremd unter Fremden war.

Im und nach dem Krieg wurden Millionen Deutsche zu Flüchtlingen. Sie kamen in den Westen, und man verstand sie nicht. Schroeder lässt flüchtig andere Flüchtlingsströme auftauchen, vietnamesische um 1980, postsowjetische um 1990, demokratische nach Ende des Prager Frühlings. Immer wieder war Deutschland Einwanderungsland. Dann stehen da Menschen aus Afghanistan, aus Nigeria und fragen, weshalb man denn Angst vor ihnen hat. Schroeder stellt ein notwendiges Kontinuum her und will weniger die harte Konfrontation (noch am 26. und 27. 11.).

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: