Kurzfilmtage Oberhausen:Laptop statt Leinwand

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Internationale Kurzfilmtage Oberhausen: Szenenbild aus "Never Look at the Sun". (Foto: Internationale Kurzfilmtage Oberhausen)

"Kann und muss man jetzt Filme machen?" Die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen suchen nach Antworten in pandemischen Zeiten.

Von Philipp Stadelmaier

Es ist spät am Abend, der Rotwein ist geöffnet, der Laptop strahlt taghell. Auf dem Bildschirm zeichnen sich vor schwarzem Hintergrund die Sektionen ab: Internationaler Wettbewerb, Deutscher Wettbewerb, NRW-Wettbewerb. Selbst die DJ-Sets, die sonst zu langen Festivaltanznächten animiert hätten, sind nur einen Click entfernt. Aber im Frühjahr 2020 wird nicht getanzt.

Die Kurzfilmtage Oberhausen finden wegen Corona im Internet statt. Da die vierundsechzig Programme achtundvierzig Stunden lang verfügbar sind, kann man sich die Zeit zwischen Filmeschauen, Rotweintrinken und Schlafen selbst einteilen, anstatt in Oberhausen von einer Vorstellung zur nächsten zu hetzen. Ein Festivalpass kostet zehn Euro, noch bis Mittwoch hat man Zugang zu allen Filmen des Programms, die dann noch online sind.

Es sind ungewöhnliche Zeiten. Weswegen der Festivaldirektor Lars Henrik Gass frühere Teilnehmer des Festivals gebeten hat, über ihre Situation als Filmkünstler im Lockdown nachzudenken: "Kann und muss man jetzt Filme machen?" Die elf Beiträge wurden, so Gass, mit dem "in Deutschland üblichen Tarif einer psychotherapeutischen Sitzung honoriert". In Zeiten von Corona wird das Festival zum Patienten, der sich von den Filmemachern kurieren lässt, der ihre Filme braucht, um weiter (oder anders) existieren zu können.

Filme können gerade in Zeiten von Isolation und Quarantäne wie Strände sein

Die "Antworten" umfassen wartende Statuen in Ateliers, Eindrücke aus Berlin im Lockdown und Aufnahmen des letzten China-Aufenthalts. Eine Tendenz geht dahin, den Produktivitätszwang der Quarantäne zu hinterfragen: Nein, man muss nicht alle Erfahrungen sofort in ein Kunstwerk bringen, kann die angehaltene Zeit auch nutzen zum Nachdenken. Die Zeiten laden eben nicht zu klaren Aussagen ein.

Dem Festival-Patienten geht es gar nicht so schlecht. Die Onlineausgabe versorgt nicht nur jene, die jedes Jahr treu nach Oberhausen pilgern, sondern bietet auch die Chance, ein größeres Publikum für Experimentalfilmkunst zu begeistern. Die Filmemacher wirken in den voraufgezeichneten Gesprächen näher als sonst, auf einer Ebene mit dem Zuschauer: Ein Filmemacher hat während des Gesprächs seine kleine Tochter auf dem Arm. Und wenn der Kurator aus Lissabon eine - großartige - Reihe portugiesischer Kurzfilme vorstellt, kann man einfach zurückscrollen, wenn man etwas nicht verstanden hat.

Die Filme stammen aus knapp siebzig Ländern, womit die Welt auf dem heimischen Bildschirm zusammenrückt. Man schaut sich durch österreichische Zahnbehandlungen, philippinische Filmsets und kolumbianische Gangster-Rap-Satiren, verbringt Zeit mit kanadischen Indigenen, japanischen Opernliebhabern und Goldsuchern in New Mexiko. Es gibt Filme, die psychedelischen Bildschirmschonern ähneln oder architektonische Strukturen untersuchen. Oder ganz klassisch persönliche Geschichten erzählen, vom Verhältnis zu den eigenen Geschwistern oder Eltern.

Vielleicht gerade aufgrund der aktuellen Praktiken des Social Distancing erscheinen im Internationalen Wettbewerb dann jene Filme am spannendsten, die durch ihre Form selbst Menschen verbinden, Gemeinschaften herstellen. "I am the People_I" von Li Xiaofei zeigt kurze Gespräche mit Einzelpersonen, die dank eines grauen Bildfilters auf seltsame Art uniformiert erscheinen. Dazwischen blubbern Blasen, fahren animierte Stränge durchs Bild. Es ist eine Gemeinschaft, die durch informatische Netze zusammengehalten und homogenisiert wird. Die einzelnen Akteure äußern sich zwar kritisch gegenüber dem chinesischen System, ähneln aber längst Automaten, deren Bild immer wieder unvermittelt angehalten und "eingefroren" wird.

Der Weg zur "idealen" Gesellschaft sei noch weit, erklärt eine Frau. Auch in "A Thin Place" von Fergus Carmichael zeichnet sich die Gemeinschaft durch Abwesenheit aus. Der Film, der ein Sommersonnenwendfest im englischen Somerset dokumentiert, beginnt in dunkler Nacht, dann geht langsam die Sonne auf und die einzelnen Personen werden sichtbar, während im Hintergrund Pink Floyd läuft. Am Ende liegen alle auf der Wiese, trinken, reden und schauen in die Sonne, als würden sie ihr die Zeichen einer neuen Zeit ablesen wollen. Der Film wirkt wie eine Parabel: Im Angesicht einer globalen Krise erhellt sich das Bild einer menschlichen Schicksalsgemeinschaft, die sich jedoch einer unsicheren Zukunft gegenübersieht.

Der herausragendste Beitrag des bisherigen Wettbewerbs ist jedoch "A Month of Single Frames". Im Zentrum stehen zwei amerikanische Filmemacherinnen: Lynne Sachs hat diesen Film "für und mit" Barbara Hammer gemacht, der 2019 verstorbenen legendären Pionierin des Queer Cinema. Sachs montiert Film- und Tonaufnahmen, die Hammer 1998 während eines Aufenthalts am Meer anfertigte, und schneidet sie mit eigenen Aufnahmen viele Jahre später. Die Schönheit der Details ist schwer zu beschreiben: Gras weht unter violettem Himmel im Wind, bunte Lichtflecken tanzen auf dem Sand. Der Film zelebriert die tiefe Verbundenheit zwischen zwei Künstlerinnen, auch über Hammers Ableben hinweg. "Du bist hier. Ich bin mit dir hier", schreibt Sachs auf das Bild. Aber sie beschränkt sich nicht auf die Zweisamkeit zwischen ihr und Hammer: "Andere sind hier mit uns. Wir sind alle zusammen."

Diese anderen sind natürlich die Zuschauer, die den Film gerade sehen. Mehr braucht man nicht, um zu erkennen, dass Filme gerade in Zeiten von Isolation und Quarantäne wie Strände sein können, an denen Menschen zusammenkommen: lebende und tote Filmemacherinnen, Festivalbetreiber und Gäste. Eine Gemeinschaft, die dem Ende von etwas Altem beiwohnt, dem Beginn von etwas Neuem - und allem dazwischen.

© SZ vom 18.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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