Süddeutsche Zeitung

Kurzfilm:Wenn der Panda rückwärts läuft

Beobachtungen von den 65. Kurzfilmtagen in Oberhausen, einer ehrwürdigen Institution auf dem Weg in die Zukunft.

Von Juliane Liebert

Altehrwürdige Institutionen sind so eine Sache. Sie werden oft wie heilige Kühe behandelt, regelmäßig des Namens wegen gemolken, und wie Kühe trotten sie dann auch durch die Jahrzehnte, die Adjektive wandeln sich von "bahnbrechend" zu "renommiert". Die Verantwortlichen loben sich gegenseitig und mit Sachverstand, irgendwann sind alle tot bei lebendigem Leibe. Eine Institution am Leben zu erhalten, ihren Charakter zu wandeln, ohne sie gesichtslos werden zu lassen, ist eine schwierige Aufgabe, eigentlich: eine Kunst, die der Kunst eines Malers oder Komponisten in nichts nachsteht.

Die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen gelten als das älteste Kurzfilmfestival der Welt, und sie müssten gerade eigentlich auch das relevanteste Filmfestival der Welt sein. Sie haben das Potenzial dazu. Was könnte für die Gegenwart interessanter sein als der Kurzfilm? Die Konzentrationsspannen sinken, die Plattformen weiten sich aus, alles passiert in Videos zwischen einer und zehn Minuten, auf Instagram, auf Netflix. Man kann im Alltag nirgendwo mehr hinschauen, ohne dass einem ein Tablet oder ein Flachbildschirm in die Visage gehalten wird. Die Welt ereignet sich mehr und mehr in dem Anspruch, in fünf Minuten, in drei Minuten, in 20 Sekunde zu passen. Loopbar, transformierbar zu sein. Die Bedingungen sind also eigentlich exzellent.

Das relevanteste Festival der Welt? In Oberhausen? Gut, kein Standortvorteil, könnte man sagen, aber es pilgern ja auch alljährlich Hundertschaften zum SXSW nach Austin in Texas, und Texas ist nun wirklich am Gesäß der Welt. Während Oberhausen eine interessante Stadt ist, binnen 20 Minuten vom Düsseldorfer Flughafen zu erreichen, zugleich bodenständig und irgendwie ortlos.

Regisseure wie Wim Wenders oder Roman Polanski haben dort ihre ersten Schritte gemacht, das Publikum ist jung, und die Veranstalter und Kuratoren scheinen den Mut und die Motivation zu haben, jene neue Zeit mit offenen Armen anzunehmen und ihr ihren ersten richtigen Schnaps einzuflößen. Sie sind nicht so blasiert wie manche Berliner Filmfuzzis - soweit man es mitbekommt, wird in Oberhausen geerdet und respektvoll miteinander umgegangen. "Pur", nennt es Mark Oliver, Regisseur aus Kanada, der später für seinen Film "Elvis: Strung Out" den Preis der Jury des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen gewinnen wird. "Im Zeitalter des Niedergangs des Kinos als einer Versammlung in einem dunklen Raum vor einer Leinwand ist Oberhausen etwas sehr Besonderes. Es gibt sehr wenige Veranstaltungen wie diese, vielleicht keine. Es ist sehr unschuldig."

Mark Oliver ist ein freundlicher kanadischer Filmemacher, der Enkel von David Oliver, einem der Gründungsväter der Ufa. Er ist außerdem Synchronsprecher bei "My Little Pony" und den "Gummi Bears". Mark beantwortet Fragen gern mit "Ich habe 15 Jahre in NY gelebt ..." Etwa "Ich habe 15 Jahre in NY gelebt und immer, wenn Andy Warhol ein Restaurant betrat, gab es eine dreisekündige Schweigepause. Er aß nie etwas, er hatte immer vorher gegessen. Manchmal ging er zu einem und sagte etwas wie ,Tolle Schuhe!' oder ,Gee, du hast einen guten Haarschnitt'. Ich habe ihn in all den Jahren nie etwas sagen hören, das nicht banal war."

Nur weil die Dialoge abstrakt und die Bilder verwaschen sind, ist etwas noch kein Kunstfilm

Im Wettbewerbsprogramm indes entpuppen sich gerade Werke, die sich um das Gegenteil bemühen, zuweilen als Banalitäten - während oft die Filme sich lohnen, die ihrer Perspektive und ihren Mitteln vertrauen. Die Qualität der Filme ist wie meist bei solchen Veranstaltungen gemischt. Mit seinem Fokus auf anspruchsvolle, also "künstlerische" Filme setzt sich das Festival auch den Ärgerlichkeiten des Genres aus: Nur, weil die Dialoge abstrakt sind, die Bilder verwaschen und die Kameraeinstellungen sehr lang oder sehr kurz, ist etwas noch kein Kunstfilm. Anderes verliert sich in optischen oder akustischen Spielereien, die charmant sind, aber nicht auf Kurzfilmlänge tragen. Wie in "Sex", einem israelischen Kurzfilm von 1970, sehr weise bemerkt wird: "Double exposure in the camera - cheaper and deeper."

Aber es gibt auch Ausnahmen, Filme, die über das Ghetto des geförderten Studentenkurzfilms und die traditionelle Filmszene hinaus Perspektiven für das Genre aufzeigen. Perspektiven, die auch für den Langfilm fruchtbar gemacht werden könnten. In "El Coralle" etwa beobachten Alfredo Marimon und Daniela López in in sich ruhenden Bildern eine Gruppe Fischer, tief im Geschehen, aber ohne die Menschen vorzuführen. Und "Panda Moonwalk or Why Meng Meng Walks Backwards" der Regisseurin Kerstin Honeit geht - genau! - der Frage nach, warum der Panda Meng Meng im Berliner Zoo rückwärts läuft. Der Film kombiniert eine monty-pythonesque Freude an sich selbst mit modernen Mitteln und zeigt, wie man mit Witz und Stilsicherheit aus einer einfachen Idee etwas Unvergessliches erschaffen kann.

Oh, Oberhausen! Wie du im Abendlicht liegst, die Polizei an der Trinkhalle am Bahnhof eine Horde Fußballfans auflöst, deine hässlichen Straßen und schönen Restaurants, deine freundlichen Taxifahrer ... Dicht neben der relativen Idylle des Festivals liegt allerdings das Centro, das größte Einkaufszentrum Europas, und wer das betritt, betritt tatsächlich die Hölle. In seinem Zentrum wölbt sich ein Coca-Cola-Tempel, Menschen strömen durch dieses Atrium wie die Schemen im Hades. Das Centro versucht nicht einmal, seine Hässlichkeit zu verbergen. Es feiert sie.

Schon 2009 schrieb Lars Henrik Gass, Leiter der Kurzfilmtage Oberhausen: "Es gibt Anzeichen dafür, dass Filmfestivals die traditionelle Funktion von Kino und Fernsehen übernehmen werden. Während sie früher einen Marktplatz für Filme darstellten, also die Voraussetzung für eine kommerzielle Verwertung von Filmen überhaupt erst schafften und nur eine relativ kleine Öffentlichkeit erreichen konnten, stellen sie jetzt Öffentlichkeit her, werden also selbst zu einer Verwertung, oftmals zur einzigen." Wie könnte heute das ideale Festival dafür aussehen? Haben Begriffe wie "Avantgarde" oder "experimentell" als Attribute heute noch Bedeutung?

Gerade das auf den ersten Blick Abseitige am Standort Oberhausen passt zu der potenziellen Ortlosigkeit der heutigen Kurzfilmkultur. Eine Bilderplattform, die nicht nur "Werke" zeigt, sondern auf den Prozess- und Montagecharakter des Filmemachens gerade angesichts des Bilderüberflusses verweist und damit spielt. Ein melancholisches Remixen all dessen, durch das wir mittlerweile mehr hindurchschauen. Oder eben ein besonders verdichtetes Erzählen, das die kürzere Aufmerksamkeitsspanne mit epischen Erzählmustern konfrontiert. Warum der Panda rückwärts läuft? Warum nicht? Es bleibt ihm nichts anderes übrig, er wird ja gefilmt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4436021
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 08.05.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.