"Kursk" im Kino:Im stählernen Sarg

Film

Aufbruch zum fatalen Tauchgang: Matthias Schoenaerts in Thomas Vinterbergs Film "Kursk".

(Foto: Verleih)

Alte Ängste zwischen Ost und West: Thomas Vinterberg verfilmt den Untergang des russischen U-Boots "Kursk", bei dem Menschenleben wahrscheinlich sinnlos geopfert wurden.

Von Nicolas Freund

Auf dem russischen Atom-U-Boot Kursk gibt es zu wenig Uhren. Damit der Torpedoexperte Pavel Sonin mit einer angemessenen Menge Bier und Sekt Hochzeit feiern kann, haben seine Kameraden ihre Armbanduhren in Zahlung gegeben. Denn Geld lässt sich auf dem entlegenen Flottenstützpunkt Widjajewo am Polarkreis sonst nur schwer auftreiben. Die Marinesoldaten, die man in Thomas Vinterbergs Film "Kursk" kennenlernt, verdienen wenig, oft wird ihr Sold gar nicht erst ausgezahlt, die ganze Flotte wird kaputtgespart.

Doch obwohl der Kalte Krieg seit mehr als zehn Jahren vorbei ist, belauern sich noch immer die Atom-U-Boote im Nordpolarmeer, bereit, jeden Moment loszuschlagen. Als sei die Zeit stehen geblieben, soll hier das größte Flottenmanöver seit dem Ende der Sowjetunion abgehalten werden, mit simulierten Torpedoangriffen und Schleichfahrten. Dabei lassen sich manche Instrumente zur Wartung der Waffen gar nicht richtig benutzen, wenn die Besatzung nicht einmal Armbanduhren zur Kalibrierung trägt.

Es sind vor allem die alten russischen Funktionäre, die eine Rettung aktiv verhindern

"Kursk" basiert auf den realen Ereignissen des Sommers 2000: Am 12. August kam es bei einem Marinemanöver zur Explosion eines Übungstorpedos an Bord der Kursk, dem Vorzeigeschiff der russischen Flotte, das wegen seiner doppelten Außenhülle als unsinkbar galt. Die Detonation löste eine Kettenreaktion aus, das Schiff sank mit mehr als 100 Besatzungsmitgliedern an Bord auf den Grund der Barentssee. Etwa 20 Seeleute sollen die Katastrophe im Heck des Schiffs zunächst überlebt und mit Klopfzeichen um Hilfe gerufen haben.

Basierend auf dem Buch "A Time to Die" von Robert Moore hat der Regisseur Thomas Vinterberg einen fast dokumentarischen Thriller über diesen Untergang gedreht und dabei den U-Boot-Film mit Elementen des Katastrophenthrillers angereichert. Seit Disneys Adaption von Jules Vernes "20 000 Meilen unter dem Meer" hat das kleine Genre eine eigene Bildsprache hervorgebracht, die spätestens mit Wolfgang Petersens "Das Boot" kanonisch wurde. Die Weite des Meeres und der Küste wird mit der stählernen Enge des U-Boot-Inneren kontrastiert, die Schauspieler und Kamera ungewohnt nah zusammenzwingt und alles außerhalb noch viel weiter und größer wirken lässt. Thomas Vinterberg erweitert diese Bildsprache um die für ihn typischen Milieustudien, wenn er den U-Boot-Szenen die heruntergekommenen Hochhäuser des abgelegenen russischen Flottenstützpunkts, wo die Frauen auf die Rückkehr ihrer Männer warten, und die gläsernen Kommandoposten der Marinebefehlshaber gegenüberstellt. Selbst das Bildformat ändert sich erst von einem fast quadratischen Fernsehbild zum breiten Kinoformat, wenn die Kursk ihren trostlosen Heimathafen verlässt.

In dieser Welt des Stützpunkts, die so eng scheint wie die stählernen Korridore des U-Boots, ist der Kalte Krieg eigentlich nur noch Kulisse. Um das Jahr 2000 schien es ja noch, als hätten sich nach dem Ende der Sowjetunion alle Staaten der Erde auf die gemeinsamen Ziele Kapitalismus und Demokratie festgelegt. Vor dem Auslaufen freuen sich die Seeleute der Kursk bei Vinterberg deshalb über die Fernsehaufzeichnung eines Metallica-Konzerts in Moskau. Die amerikanische Popkultur hatte da längst im Herzen des ehemaligen Feindes Einzug gehalten. Viel weiter konnte sich der Eiserne Vorhang gar nicht mehr öffnen.

Im Zentrum des Films steht für Vinterberg damit die Frage, die sich Peter Simonischek als russischer Admiral stellt, der den Blick über die Reste seiner einst stolzen sowjetischen Flotte schweifen lässt: Wer genau ist hier noch der Feind? Die Amerikaner? Die Briten? Mit denen scheinen die russischen Seeleute mehr gemeinsam zu haben als mit den eigenen Politikern und Beamten in Moskau, die alles nur kaputtsparen. Nach dem Untergang der Kursk sind es vor allem die eigenen, alten Funktionäre wie der Admiral Vladimir Petrenko (Max von Sydow), die internationale Hilfsangebote ablehnen und eine Rettung aktiv verhindern - wegen der Gefahr von Spionage und auch, weil sie Angst haben, die Inkompetenz der eigenen Flotte einzugestehen. Der Film stellt sogar die skandalöse Pressekonferenz nach, in der die Admiralität jede Verantwortung für das Unglück zurückweist und eine aufgebrachte Mutter, die Antworten über das Schicksal ihres Sohnes einfordert, von Sicherheitsleuten einfach mit einer Betäubungsspritze ruhiggestellt wird.

Wie dieses schwerste Unglück in der Geschichte der sowjetischen Marine ausging, steht in den Geschichtsbüchern - als schließlich doch ein Team norwegischer Taucher zu den Eingeschlossenen vordringen durfte, konnten alle Seeleute nur noch tot geborgen werden. Man weiß daher nicht, wie der Überlebenskampf der Männer an Bord genau aussah, was sich wirklich dort ereignet hat. Aber gerade dieser unbekannte Teil der Geschichte, die der Film entwirft, zeigt die Aktualität, die Vinterberg in seiner Version des Unglücks sieht.

Die Aufgabe von Soldaten wie den Besatzungsmitgliedern der Kursk ist es eigentlich, das Land vor äußeren Feinden zu schützen. Dabei hätten sie selbst geschützt werden müssen - vor den längst angerosteten und überholten Kriegsmaschinen eines Konflikts aus einer anderen Zeit. Vinterberg macht die verpasste Chance auf Zusammenarbeit zur Rettung der eingeschlossenen Seeleute zur Metapher auf das Verhältnis Russlands zum Westen, in dem die alten Ängste vor Aggression und Machtverlust nie ganz verschwunden sind. Am Ende werden Film- und Weltbild wieder sehr eng.

Kursk, F/B/LUX 2018 - Regie: Thomas Vinterberg. Buch: Robert Rodat. Kamera: Anthony Dod Mantle. Mit Matthias Schoenaerts, Léa Seydoux, Peter Simonischek, Max von Sydow, Matthias Schweighöfer. Verleih: Wild Bunch, 118 Minuten.

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