Kurosawa zum 100.:Eine Sonne, die alle Vorstellungen verbrennt

Aus Akira Kurosawas Sieben Samurai machte Hollywood die Glorreichen Sieben - überhaupt konnte man dort immer alles besser.

Fritz Göttler

Eine zweifelhafte Ehre dürfte das gewesen sein, damals Anfang der Sechziger - die Vorlage zu liefern für einen Italowestern. Unter der Hand hat Sergio Leone nach Kurosawas Samurai-Einzelgänger-Stück Yojimbo seinen ersten Clint-Eastwood-Western fabriziert, Per un pugno di dollari/Für eine Handvoll Dollar - Kurosawa hat dann gegen diese Machenschaft geklagt und wenigstens finanziell sich entschädigen lassen. Das Italo-Genre war damals noch brandneu, es kannte keine Regeln und Rücksichten, es hatte keinen Ruf zu verlieren, und sein Ikonoklasmus war noch nicht kulturell und ästhetisch bestätigt im kritischen Diskurs.

Im Remake liegt sein Dilemma

Mit den Sieben Samurai war es 1960 in Hollywood ein wenig offizieller und solider zugegangen, den man dort als Magnificent Seven recycelte - wenig später auch seinen Rashomon, The Outrage, mit Paul Newman als Carrasco, der Schänder, die Mifune-Rolle! Aber da galt die Devise, dass Hollywood es sowieso immer besser könne als alle anderen in der Welt - bis heute wird das so praktiziert, man plant zur Zeit zum Beispiel amerikanische Versionen der Stieg-Larsson-Trilogie.

In der Geschichte seiner Remakes ist die ganze Dialektik des Werks von Kurosawa im Kern enthalten, und sein Dilemma. Die Filme sind uns so nah und vertraut, dass sie sich unversehens unserem Zugriff entziehen. Sie sind merkwürdig entrückt heute, kanonisiert, mythisiert. Man hat sie, schon vor seinem Tod 1998, zu Meisterwerken erklärt, ihrer Perfektion und ihrer Harmonie, ihrer leuchtenden Klarheit wegen, und damit alles weggedrückt, was an ihnen beunruhigen, verunsichern, verstören mochte. Kurosawas Karriere, das ist eine Erfolgsgeschichte, die heute nicht mehr einfach nachvollziehbar ist, so wenig wie die Rolle, die der Westen mit seinen Erwartungen in der Nachkriegszeit gespielt hat.

Ein Mythos ist auch der Mann, der sie schuf, in dessen Statur und dessen Auftreten man die Samurai-Vorfahren spüren kann. Ein Unnahbarer, der sich hinter seinen dunklen Brillengläsern schützt vor den Blicken der anderen. Mit vorsichtigen Schritten tippelt er im schwarzen Pulverstaub auf den Abhängen des Mount Fuji herum beim Dreh zu seinem Film Ran - man kann das in A. K. sehen, dem Film, den Chris Marker über ihn drehte. Sensei nennen sie ihn, das ist das japanische Wort für Meister.

Das Reich des Intellekts, das Reich der Sinne

Das nichts von Dominanz und Macht und Repression assoziiert, sondern Handwerk und Können. "In allen Disziplinen", erklärt Chris Marker, "vom Blumenarrangement bis zu den Martial Arts, ist der Sensei derjenige, der, indem er technische Perfektion erlangt, eine Art spirituelles Surplus auslöst." Wie jeder Sensei verweigert sich auch Kurosawa der Abstraktion, spricht lieber von seinem Handwerk, von Arbeit und Erfahrung. Als er 1986 "Ran" in München vorstellte, gab es ein Gespräch in der Hochschule für Fernsehen und Film, und man konnte die Schwierigkeiten der Filmstudenten spüren, mit der Vorstellung von einem Filmemacher zurechtzukommen, der vom reinen Techniker so weit entfernt war wie vom egozentrischen auteur. John Ford hatte es damals besser angefangen - "Sie lieben den Regen", hatte er zu Kurosawa gesagt, als er ihn in Tokio traf, und Kurosawa: "Sie haben meine Filme genau angeschaut." Dann haben sie eine Menge Sake getrunken.

Es ist eine erratische Karriere, die Kurosawa durchläuft, nichts erscheint natürlich hier, viel ist auf Effekt bedacht. Die persönliche Geschichte des Filmemachers verzahnt sich mit der allgemeinen, mit der Kinogeschichte. Mit all den Versuchen im vorigen Jahrhundert, eine Kommunikation herzustellen zwischen dem Westen und dem Osten, dem Reich des Intellekts und dem Reich der Sinne, von van Gogh und Toulouse-Lautrec bis Brecht und Eisenstein. Viel von dem, was so befremdlich und beängstigend ist in Kurosawas Ran, kommt - sofern es nicht schon in seiner Quelle anklingt, Shakespeares Lear - von seiner Liebe zu van Gogh her, der selbst gern erklärte, wie viel sein Malen den Japanern verdanke.

Kurosawa hat ihm seine Reverenz erwiesen in seinem späten Film Träume, Martin Scorsese spielt van Gogh in einer magisch-surrealen Episode des Films. "Soll man von Profitieren sprechen oder kann man es Korrumpieren nennen", schrieb Frieda Grafe, "was passierte bei all den Hinundher-Bewegungen, zwischen Ost und West. Die Japaner, nachdem sie erst einmal die westliche Apparatur beherrschten, haben sich nicht abhalten lassen, sie im Sinn ihrer eigenen Kunsttraditionen zu verwenden. Die westliche Avantgarde hat nicht danach gefragt, ob das, was sie in der östlichen Ästhetik entlehnte, um westliche Darstellungsweisen in Frage zu stellen, im östlichen Kontext repressive Funktionen erfüllte, ob, was bei uns revolutionierte, im Osten nicht zementierte."

Hermetisch, monomanisch und monolithisch

Obwohl viele seiner Filme immer wieder in den Kinos und Filmkunststudios zu sehen waren, basiert Kurosawas Ruhm hierzulande vor allem auf vier Filmen, zwei frühen, Rashomon und Die sieben Samurai, und zwei späten, Kagemusha und Ran. Dazwischen : ein Abgrund, eine Zeit krasser Depression, ein Selbstmordversuch, Anfang der Siebziger, und eine Wiedergeburt, dank der Jungs des neuen amerikanischen Kinos, Coppola und Lucas, die Kagemusha finanzierten. Auch sie sind nachdrücklich von Rashomon geprägt und von den Sieben Samurai, der ein verblüffendes Western-Kompendium war, eine Dokumentation des Genres selbst, wie Hollywood sie nicht besser hingekriegt hätte. Es schwirrt einem im Kopf, wenn man sich hier auf die Suche nach den wahren Ursprüngen dieses Mythos macht.

1951 gab es auf dem Festival in Venedig den Goldenen Löwen für "Rashomon", das hätte dem Westen, schrieb man damals - und so liest man es bis heute in den Filmgeschichten -, den Blick aufgetan ins japanische Kino, auf seinen Exotismus. So einfach war das allerdings nicht, denn parallel dazu hatte in diesen Jahren der Kollege Kenji Mizoguchi gleichfalls diverse Löwen abgeholt, 1954 zum Beispiel einen Silbernen für Sansho Dayu, ex aequo mit den Sieben Samurai. Die Franzosen hielten damals eisern zu Mizoguchi, den man in Japan eher geringschätzte, als Regisseur oller Frauenmelos.

Kurosawa waren Japans Produzenten gram, dass er ein negatives, ärmliches Bild des Landes zeichnete. Indem sich Kurosawa damals dem Westen öffnete, ist er mit seinem Werk heute hermetisch geworden, monomanisch und monolithisch. Kaum vorstellbar, wie Rashomon seinerzeit gewirkt haben muss, vor der Kanonisierung. Dieser Ausbruch von Vitalität, wenige Jahre nach Kriegsende, dieses Energiebündel Mifune, der ein noch stärkeres Kraftfeld verbreitet als die Sonne und alle Vorstellungen und Erwartungen des Westens verbrennt.

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