Süddeutsche Zeitung

Kunstschau "Manifesta 11" in Zürich:Im wörtlichen Sinne atemberaubend

In Würfel gepresste Fäkalien als Kunstwerk? Das ist eine Provokation, zumindest für den Geruchssinn. Abgesehen davon gibt es auf der "Manifesta 11" in Zürich aber wenig Konfliktpotenzial.

Von Till Briegleb, Zürich

Arbeit war schon lange nicht mehr so politisch wie heute. Seit sie wieder mit Angst verbunden ist, und zwar der Angst, dass der Ausländer sie uns wegnehmen könnte, ist der menschliche Broterwerb zurückgekehrt in seinen Konfliktmodus. Zwar ist es leider vor allem ein Klassenkampf von rechts, der auf Neid und Ausschluss basiert und nicht auf Solidarität und Befreiungswillen.

Aber vielleicht genau deswegen könnte "Arbeit" als Thema einer großen Kunstbiennale die Sinne dafür schärfen, welche mächtigen Gefühle mit dem Gelderwerb verbunden sind. Nicht zuletzt in der Schweiz.

Dass der Kurator Christian Jankowski die Manifesta 11, die am vergangenen Wochenende in Zürich eröffnet wurde, unter das Thema "What People Do For Money" gestellt hat, wirkt also auf den ersten Blick wie eine mutige Entscheidung. Denn was Menschen für Arbeit tun, das sieht man eben nicht nur an den überfüllten Schlauchbooten im Mittelmeer, sondern auch an den politischen Reaktionen der superwohlhabenden Schweizer, die aus Angst, dass die Fremden sie um die Früchte ihrer Arbeit bringen, Rechtspopulisten und Ausländer-raus-Volksabstimmungen zum Sieg tragen.

Aber Jankowski, der diese traditionell sehr politische europäische Wander-Biennale, die sich bereits in früheren Ausgaben mit Migration (in Murcia) oder dem Wandel der Arbeit (in Genk) befasst hatte, als erster Künstler kuratiert, hatte etwas ganz anderes im Sinn.

Sein Zugriff auf das Thema Arbeit ähnelt eher einem Gesellschaftsspiel mit Lebendfiguren. 30 Professionen aus der Stadt verknüpfte Jankowski mit 30 von ihm ausgewählten Künstlern. Der Gastgeber sollte seine Kreativen zu einem Projekt inspirieren, das dann sowohl in einer Zentralausstellung als auch an dessen Arbeitsort in der Stadt, den sogenannten Satelliten, gezeigt wird.

Polizisten spielen "Würgeengel", die Paralympics-Sportlerin rudert ihr Rollstuhlboot über den See

Das bunte Berufstuttifrutti der Schweizer Geldmetropole, welches die Künstler zum Gedankenaustausch treffen sollten, beinhaltete natürlich eine Bankerin, einen Uhrmacher, einen Arzt an einer Privatklinik, dazu verschiedene alternative Therapieanbieter von der Orgasmusexpertin zum Betreiber eines Floating Tanks bis zum Hypnosespezialisten, aber auch Mitarbeiter städtischer Institutionen wie Polizei, Feuerwehr, Schule und Kläranlage.

Das Resultat dieser Gastgeberkunst ist eine nahezu vollständig unpolitische Biennale. Die persönliche Begegnung mit freundlichen Einheimischen, die man natürlich nicht verletzen oder beleidigen will, hat die Künstler in der Mehrzahl zu gänzlich harmlosen Kunstwerken geführt.

Guillaume Bijl, der eine Hundefriseurin getroffen hat, baute ihr einen poppigen neuen Salon in eine Galerie. Der Autor Michel Houellebecq, der hier als Künstler auftreten darf, ließ sich von dem Privatarzt durchchecken und hinterließ dafür im Foyer der noblen Klinik am Stadtrand eine Europalette mit Flugblättern seiner Untersuchungsergebnisse.

Bei der Polizei läuft Marco Schmitts lustiges Remake von Buñuels "Der Würgeengel", gespielt von ein paar Beamten aus dem Haus und aufgenommen im Züricher Kriminalmuseum.

Historische Staatsbankette nachgekocht im Imbiss

Maurizio Cattelan, der ja eigentlich keine Kunst mehr machen wollte, lässt die paralympische Sportlerin Edith Wolf-Hunkeler in einem Rollstuhlboot ab und an über den See fahren. Santiago Sierra vernagelt das Helmhaus im Zentrum an der Limmat mit ein paar Sperrholzplatten und hängt Stacheldraht-Girlanden daran, um Bürgerkriegsstimmung zu erzeugen. Und in den Imbissen der Stadt kocht John Arnold historische Staatsbankette nach.

Von den versteckten Konflikten einer angespannten Gesellschaft ist eigentlich nur dort etwas zu spüren, wo vorsichtig am Status der reichen Vornehmheit gekratzt wird.

Jankowskis alter Hochschulprofessor aus Hamburg, Franz Erhard Walther, stattete Mitarbeiter des feinen Park-Hyatt-Hotels mit orangenen und merkwürdig geschnürten Halbwesten aus, die in dem seriös durchgenormten Nobelbetrieb tatsächlich einen Moment der Verstörung herstellen.

Jon Kessler hat einen seiner zirkulierenden Bildapparate, in denen er sonst Fotos von Konsum, Gewalt und Macht symbolisch verschränkt, für den Keller eines exklusiven Uhrengeschäfts an der Bahnhofsstraße gebaut.

Trotz schwer entschärften Inhalts entsteht mit Kesslers "Kuckucks-Uhr" hier eine feine Spannung zwischen der Luxuskühle des Verkaufsgeschäfts und den homöopathischen Dosen von globalen Konflikten, die Kesseler zwischen Bilder eines brennenden Adlers und dem Postkartenpanorama der Stadt am See aufflackern lässt.

Das aufwendigste Gemeinschaftswerk von Künstler und Gastgeber dieser Biennale, eine getrocknete und in große Würfel gepresste Tagesproduktion Züricher Fäkalien, die Mike Bouchet in der Kläranlage gefertigt hat und jetzt im großen Saal des Migrosmuseums zur schwer erträglichen Geruchsbelästigung versammelt, erzählt vor allem im wörtlichen Sinne atemberaubend von einem anderen Zürich.

Und schließlich installierte Teresa Margolles im Hotel Rothaus an der Langstraße, wo die lateinamerikanischen Prostituierten stehen, in einem der Zimmer einen Gedächtnisraum für eine Transsexuelle, mit der sie hier eigentlich öffentlich pokern wollte, die vorher aber in Mexiko von einem Freier mit einem Betonklotz totgeschlagen wurde - so jedenfalls lautet die dazu gereichte Geschichte.

Die Biennale sollte mit den sogenannten Satelliten kernerneuert werden. Doch die Schnitzeljagd durch Zürich zu den Arbeitsplätzen ist vor allem auswärtigen Besuchern mit wenig Zeit nur bei sehr hoher Frustrationstoleranz zu empfehlen.

Vor verschlossenen Türen

Rund die Hälfte der in einer völlig unleserlichen Karte markierten Stationen sind nur mit Voranmeldung und nur an wenigen Tagen während der Biennale oder zu völlig absurden Öffnungszeiten zu besuchen.

Und selbst die, die sich die Mühe machen, hektisch kreuz und quer durch die Stadt zu fahren, um die Satelliten während der kurzen Zeiten zu erreichen, in denen sie geöffnet sind, stehen häufig vor verschlossenen Türen. Mal stimmen die Informationen nicht, mal ist gerade kein Manifesta-Service vor Ort - was vielleicht daran liegt, dass ein großer Teil dieser "Berufs"-Ausstellung im reichen Zürich von unbezahlten Freiwilligen betreut wird.

Von der gleichen "Professionalität" ist leider auch die Präsentation der beiden Sammelausstellungen im Züricher Löwenbräuareal und im Helmhaus. Hier sind die 30 vorgestellten Projekte ergänzt um ein von Jankowski ausgesuchtes Kunstgewimmel aus Werken, die irgendwas mit Arbeit zu tun haben, von der "Arbeitspause" bis zum "Zweitjob".

Jedes Konfliktinteresse geraubt

Was aus dieser entdeckungsarmen "Arbeits"-Biennale nicht nur optisch heraussticht, das ist die riesige Streichholzarchitektur des "Pavillon of Reflections" im Zürichsee.

Auf der schwimmenden hölzernen Insel mit Turm, Bar und Pool läuft ein Erklärungsprogramm auf der Großbildleinwand. Zu sehen sind Züricher Schüler unterwegs mit den Künstlern bei der Arbeit.

Diese herzig-naive Making-of-Produktion zeigt viele liebe Menschen, die ihre netten Begegnungen und Kunstwerke erklären, sodass einem spätestens hier restlos klar wird, wie das freundliche, reiche und schöne Zürich dem ehemals so streitfreudigen Kunstformat jedes Konfliktinteresse geraubt hat.

Manifesta 11. Zürich. Bis 18. September. www.m11. manifesta.org. Katalog (Lars Müller) 49 Franken.

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Quelle:
SZ vom 14.06.2016/pak
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