Kunstsammler Heinz Berggruen:Die offenen Augen

"Meinen ersten Picasso? Ach, den habe ich im vorigen Jahrhundert gekauft." Heinz Berggruen ist in Paris gestorben. Seine großartige Sammlung der Klassischen Moderne ist sein bleibendes Vermächtnis.

Lothar Müller

Einmal, es mag fünf Jahre her sein, wurde Heinz Berggruen gefragt: Angenommen, es gibt ein Leben nach dem Tod, welche Bilder würden Sie gern mitnehmen? Da nannte er zunächst Picassos Bild von Dora Maar im gelben Pullover aus dem Jahr 1939, vor dem er sich gern fotografieren ließ, dann Paul Klees ,,Klassische Küste'' und schließlich die ,,Seilspringerin'' von Henri Matisse. Damit hätte er es sein Bewenden lassen können. Aber er fügte noch einen Satz hinzu: ,,Ich krieg den Sarg schon voll.''

Kunstsammler Heinz Berggruen

Heinz Berggruen bei der Eröffnung der Ausstellung "Picasso - der Zeichner" im September 2006

(Foto: Foto: dpa)

Da sprach nicht mehr der Kunstsammler Heinz Berggruen über seine Vorlieben, sondern der Feuilletonist mit dem Hang zu Pointe und Plauderei, der gebürtige Berliner und Sohn eines Schreibwarenhändlers in Wilmersdorf, in den früh der Geist des Papiers, der Großstadt, der Zeitungen und der Visitenkarten gefahren sein muss.

Und zwar so heftig, dass der junge Mann, der zu Beginn des Kriegsjahres 1914 geboren worden war, mit Anfang zwanzig sehr genau wusste, was er werden wollte: Journalist, Schriftsteller. Als er Mitte der dreißiger Jahre Feuilletons und Skizzen in der Frankfurter Zeitung veröffentlichte, hatte er schon Studienaufenthalte in Toulouse und Grenoble hinter sich.

Der Grundstein der Frankophilie war gelegt, und zugleich hatte das Grundmuster seines Lebens seine erste Ausprägung erhalten: Dieses Grundmuster war die Ellipse, die Biographie mit zwei Polen. Aus dem Gegenüber von Deutschland und Frankreich wurde bald das Gegenüber von Alter und Neuer Welt.

1936 ging Heinz Berggruen mit einem Stipendium über Kopenhagen nach Kalifornien, gerade rechtzeitig, denn schon war dem Juden geraten worden, seine Artikel doch lieber unter einem weniger verfänglichen Namen als dem eigenen zu publizieren. Erst in Amerika erhielten der Journalismus und die Literatur ihren starken, mehr als ebenbürtigen Gegenpol: die Leidenschaft für die bildende Kunst.

Sie machte den jungen Mann zunächst zum Kunstkritiker des San Francisco Chronicle und Mitarbeiter am San Francisco Museum of Art, dann, ab den späten 1930er Jahren, auch zum Sammler.

Oft hat Heinz Berggruendie Initialzündungen der Hinwendung zur bildenden Kunst und der Geburt des Sammlers beschrieben: die Verdichtung des Interesses an der Malerie durch die Begegnung mit dem Freskenmaler Diego Rivera und seiner Frau Frida Kahlo in San Francisco 1939 und den Erwerb des ersten Bildes im Jahr 1938: Paul Klees Aquarell-Zeichnung ,,Perspektiv-Spuk''.

Die klassische, europäisch geprägte Moderne sollte sein Sammelgebiet bleiben, und im Grundstein Klee lag in einer Zeit, die von der Zerstreuung dieser Kunst, vom Kehraus der Avantgarden in der stalinistischen Sowjetunion und im nationalsozialistischen Deutschland geprägt war, ein Gespür für die Zukunft.

Als Mitglied der amerikanischen Armee kehrte Berggruen 1941 nach Europa zurück, erlebte das Kriegsende als Sergeant und blieb dem elliptischen Gesetz seiner Biographie treu. In der vom amerikanischen State Department initiierten Zeitschrift Heute war er in München als Journalist tätig, an der Seite von Erich Kästner, dessen Roman ,,Fabian'' er 1931 noch als Primaner in Berlin gelesen und wegen seines neusachlich-nonchalanten Tons bewundert hatte.

Nun erst, mit der Übersiedlung nach Paris als Unesco-Berater im Jahre 1946, trat die fortan tonangebende Spannung in das Leben des Heinz Berggruen: der Kunstliebhaber, der sein Talent zum Sammler entdeckt hatte, wurde nun auch Kunsthändler und gründete eine eigene Galerie. Paul Klee, der 1940 starb, hatte er nicht gekannt, als er begann ihn zu sammeln, nun wurde er zu jenem Typus von Kunsthändler, der im Impressionismus zu einem entscheidenden Faktor in der Erfolgsgeschichte der ästhetischen Moderne geworden war.

Wie Ambroise Vollard lebte in ihm ein Kunstschriftsteller (bzw. ein Feuilletonist der Kunst), wie Paul Cassirer im Berlin des frühen 20. Jahrhunderts lebte auch Berggruen nicht nur von Gespür und Geschmack, sondern zugleich von seinem sozialen Talent. Während er Werke von Seurat, Cézanne oder Klee zusammentrug, schloss er Freundschaft mit den Antipoden Henri Matisse und Pablo Picasso, verkehrte mit Max Ernst und Hans Arp, Paul Eluard und Juan Miró.

Lebenswerk vollendet

Es mag am Charme liegen, mit dem der Autobiograph Berggruen, etwa in ,,Hauptwege und Nebenwege. Erinnerungen eines Kunstsammlers'' (1996) über sein Leben mit den Künstlern und der Kunst zu plaudern wusste, dass die Balance, die zwischen Händler und Sammler herrschte, so schwerelos aussah. Selbstverständlich war sie nicht.

Denn im Sammler, der die Werke der Zirkulation entziehen will, um sie dem eigenen Kosmos einzuverleiben, lauert stets ein Konkurrent des Händlers, der von der Zirkulation lebt. War es der Sammler oder der Händler, der früh erkannte, dass die lange als Petitessen geltenden Scherenschnitte des Henri Matisse eine große Zukunft haben könnten?

Berggruen, der übrigens den Ausdruck ,,Galerist'' gar nicht mochte, weil er ihn an den ,,Drogisten'' erinnerte, hat sich 1980 aus seiner Galerie in Paris zurückgezogen, und es ist vielleicht nicht übertrieben zu sagen, dass er damals begann, das Geschick und die Spürnase des Kunsthändlers in den Dienst des Sammlers zu stellen, der sein Lebenswerk vollendet. Von dieser Vollendung hat seine Heimatstadt Berlin profitiert.

Die amerikanische Staatsbürgerschaft hatte er bereits 1973 in Berlin zurückgegeben, die deutsche wieder angenommen. Nach der Wende kehrte er nicht nur nach Berlin zurück: Er brachte für den eigens renovierten klassizistischen Stüler-Bau in Charlottenburg das Herzstück seiner Sammlung mit, als Dauerleihgabe für zunächst zehn Jahre, die er 1999 um weitere zehn Jahre verlängerte.

Im Jahr 2000 schließlich verkaufte er seine auf 750 Millionen Euro geschätzte Sammlung für einen wesentlich geringeren Betrag an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Wer einmal die wunderbar proportionierte ,,Berggruen Sammlung'' in Charlottenburg besucht hat, hat nicht nur eine Sammlung, sondern auch einen Sammler kennengelernt.

In seinem Museum hat Heinz Berggruen im letzten Jahrzehnt sein Berliner Domizil gehabt, die bipolare Existenz aber nicht aufgegeben. So ist er nun im Alter von 93 Jahren an seinem zweiten Wohnsitz, in Paris, gestorben.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: