Kunstraub in Nizza:Gierig auf Monet

Der aufsehenerregende Raub von Gemälden in Nizza zeigt: Die Diebe werden immer brutaler, die Bilder bleiben meistens verschwunden - bis die Deilkte verjährt sind.

Stefan Koldehoff

Es gab Zeiten, da galt der Kunstdiebstahl als Königsdisziplin der Kriminalität. Hollywood liebte die Idee vom weltgewandten Gentleman-Verbrecher mit gekämmtem Scheitel und Maßanzug, der nachts über die Dächer kommt, behutsam eine Balkontür öffnet, ins Wohnzimmer der Wohnung in Nizza, New York oder Rom eindringt.

Sisley, Pappelallee, AFP

Alfred Sisleys Gemälde "Pappelallee bei Moret", das aus dem Museum in Nizza geraubt wurde

(Foto: Foto: AFP)

Dort nimmt er ein duftiges Mädchenporträt von Renoir von der Wand, wirft einen Blick auf die bildhübsche Besitzerin, die ruhig in ihrem Bett schläft, klemmt sich das Bild unter dem Arm und verschwindet wieder in der lauen Sommernacht. Später kommt die bestohlene Blondine - wahlweise Grace Kelly oder Deborah Kerr - dem Täter (wahlweise David Niven oder Cary Grant) auf die Spur, verliebt sich in ihn, und beide heiraten schließlich. Von solchen Mythen zehren bis heute Produktionen wie "Ocean's 13", "Gefährliche Falle" oder die Neuauflage der "Thomas Crown Affair".

Dass die Wirklichkeit seit einigen Jahren ganz anders aussieht, hat erst am Wochenende wieder der brutale Raubüberfall auf das "Musée des Beaux-Arts Jules Chéret" in Nizza gezeigt. Vier oder fünf maskierte Männer stürmten das Gebäude in der Innenstadt gegen 13 Uhr. Zwei von ihnen liefen in den ersten Stock hinauf, in dem neben Skulpturen auch die Bildwerke des Impressionismus hängen.

Die Männer zwangen das Wachpersonal, sich auf den Boden zu legen und rissen zwei Gemälde - Claude Monets "Felsenküste bei Dieppe" (1897) und Alfred Sisleys "Pappelallee bei Moret" von den Wänden und stopften sie in mitgebrachte Taschen.

Brutales Vorgehen

Ihre Komplizen hatten im Erdgeschoss unterdessen die beiden Gemälde "Allegorie des Wassers" und "Allegorie der Erde" des flämischen Barockmalers Jan Brueghel gestohlen. Ein fünftes Gemälde, das die Diebe ebenfalls mitnehmen wollten, schafften sie offenbar nicht von der Wand zu lösen.

Augenzeugen berichteten, dass zwei der Täter auf einem Motorrad, die anderen drei in einem Auto flüchteten. Im September 1978 waren der Monet und der Sisley schon einmal gestohlen worden. In den Diebstahl damals war der angeblich von den Tätern entführte Kurator des Museums, Jean Fornéris, verwickelt. Seine Widersprüche bei Vernehmungen führten die Polizei wenige Tage später auch zu den Bildern, die in einem Schiff im Hafen von Saint-Laurent-du-Var versteckt worden waren. Fornéris wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Die Branche sei in den letzten Jahren brutaler geworden, sagt Ulli Seegers, Leiterin des deutschen Büros des Art Loss Registers: "Waffengewalt bei Kunstdiebstählen ist inzwischen keine Seltenheit mehr."

Charles Hill, ehemaliger Leiter der inzwischen aufgelösten Kunst-Abteilung bei Scotland Yard in London, kann diese Entwicklung mit Beispielen belegen: "Denken Sie nur an den August 2003, als einer Aufseherin im schottischen Schloss Drumlanrig Castle ein Messer an die Kehle gesetzt wurde, damit unbekannte Täter die 'Madonna mit der Spindel' von Leonardo da Vinci stehlen konnten. Oder an den Raub des "Schrei" von Edvard Munch in Oslo im Sommer 2004. Da haben die Diebe ein Museum zur Hauptbesuchszeit mit abgesägten Schrotflinten gestürmt. Die Brutalität hat in den vergangenen Jahren noch zugenommen. Wir wissen, dass in Schottland russische Täter mit dabei waren. Und wir können uns vorstellen, dass nach der Aufweichung der russischen Armee mit tausenden Arbeitslosen viele Mitglieder aus ehemaligen Spezialkommandos jetzt ihre Dienste im Westen anbieten."

Einstieg ins Drogengeschäft

Nach Diebstählen von solcher Bedeutung wie in Nizza ist von den ermittelnden Polizeibehörden gebetsmühlenartig zu hören, wenigstens ließen sich Werke entsprechenden Kalibers am Kunstmarkt nicht verkaufen. Wer mit solchen Aussagen beruhigt oder gar getröstet werden soll, bleibt allerdings im Dunkeln.

Gierig auf Monet

Zum einen trifft die Aussage, die noch vor zehn Jahren gegolten haben mag, inzwischen gar nicht mehr zu. Vor allem in Russland und in Fernost sind vollkommen neue Käufermärkte entstanden, in denen Kunsterwerb häufig nur noch wenig mit Kenner- oder Leidenschaft und dafür um so mehr mit Macht und Prestige zu tun hat.

Niemand ist zur Zeit in der Lage, zu sagen, welcher der neuen Sammler dort bereit wäre, für den Besitz eines bedeutenden Monet, Van Gogh, Picasso oder Brueghel wie weit zu gehen - das bestätigt auch Charles Hill: "Für russische Kunst wird inzwischen in Russland viel mehr bezahlt als in Europa. Es scheint Absatzkanäle nach Südamerika, nach Südostasien, in neue Märkte wie Südkorea zu geben."

Außerdem gibt es längst Wege jenseits des Kunstmarktes, auf denen sich gestohlene Kunst zu Geld machen lässt. Der Fall der im Mai 1986 aus der Beit Collection in Irland gestohlenen 18 Gemälde von Vermeer, Gainsborough, Rubens, Metsu und anderen Alten Meistern hat gezeigt, dass Meisterwerke in Kreisen des organisierten Verbrechens längst als Zahlungsmittel akzeptiert sind.

Im konkreten Fall wurde ein Frauenporträt von Gabriel Metsu eingesetzt, um in Marbella Heroin für den Einstieg ins britische und irische Drogengeschäft zu bezahlen. Mit anderen Werken sollte über Banken in Luxemburg, Antigua und auf der Isle of Man Schwarzgeld aus anderen kriminellen Geschäften weißgewaschen werden. Auf den Kunsthandel waren die Beteiligten dabei gar nicht mehr angewiesen.

Kunstwerke bleiben lange verschollen

Die gestohlenen Kunstwerke bleiben deshalb manchmal jahre- oder gar jahrzehntelang verschwunden - mindestens so lange jedenfalls, bis die Delikte verjährt sind. Für Hinweise auf die Gemälde von Rembrandt und Vermeer, die als Polizisten verkleidete Diebe am 17. März aus dem Isabella Stewart Gardner Museum in Boston geraubt haben, wurde schon vor Jahren eine Belohnung von fünf Millionen Dollar ausgesetzt.

Bei der Polizei ging bislang kein einziger brauchbarer Tipp ein. Van Goghs Frühwerke "Der Strand bei Scheveningen" und "Die Kirche in Nuenen" wurden vor fünf Jahren aus dem Van Gogh Museum in Amsterdam gestohlen. Die Täter, die sich durch Telefonate verrieten, sind längst verurteilt; von ihrer Beute fehlt trotzdem jede Spur. Die Aufzählung offener Fälle ließe sich beliebig fortsetzen, die Aufklärungsquote liegt unter 40 Prozent.

Den "verrückten Milliardär" allerdings, der angeblich all diese Werke auf Bestellung stehlen ließ, haben die weltweit tätigen Polizeibehörden bei keinem einzigen Kunstdiebstahl finden können - er bleibt ein Mythos.

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