Kunsträume:"Disappearing Berlin" im Quartier 206

Disappearing Berlin - Die Häßlichen Vögel - Quartier 206
(Foto: Julija Goyd)

Von Peter Richter

Irgendwann war die einstige Luxusladenpassage im sogenannten Quartier 206 an der Berliner Friedrichstraße dermaßen verwaist, dass es am sinnvollsten schien, wenn der Pianist, der dort unten neben der Champagnerbar gegen den Leerstand anpräludieren musste, bevor er endgültig den Deckel zuknallt, einfach ein paar tanzbare Melodien spielen würde, so wie in der pianolastigen House Music Anfang der Neunziger, als dieses Projekt hier geplant wurde, und zwar als ein "prestigeträchtiges", während es jetzt so verödet da lag wie ein Ostberliner Industriegebiet nach dem Ende der DDR - und also auch entsprechend befeiert werden könnte.

Es ist das Verdienst der Kuratorinnen vom Kunsthaus Schinkel-Pavillon, mit dem Festival "Disappearing Berlin" in diesem Jahr gleich mehrere Finger auf all die Wunden zu legen, die in der Stadt da klaffen, wo das Stadtbild mit spekulativen Absichten mit den Ruinen von morgen überformt wird, und stattdessen an das produktive Prinzip der Zwischen-, Nach- oder im Idealfall Hauptnutzung durch Künstler zu erinnern. Der Luxusleerstand (amerikanischer Fachbegriff: High End Blight) im Quartier 206 schrie regelrecht danach. Und so kam es, dass es diesen Mittwochabend an der Champagnerbar da unten endlich mal wieder rund ging. Denn kurz nach neun trat auf der großen, exakt hierfür gebaut wirkenden Freitreppe die Band Die hässlichen Vögel auf, was allerdings ein irreführender Name ist. Eher glichen diese jungen, androgynen Performer schön schimmernden Eidechsen, die als viel später Geborene den Glampunktrash von Sigue Sigue Sputnik nachfeiern wollten.

Ausgerechnet das "Erbarme Dich" aus Bachs Matthäuspassion haben die dann dort mit der E-Gitarre dekonstruiert. Das war, natürlich, schmerzhaft und eine brutale Blasphemie. Aber es war gleichzeitig trotzdem überraschend feierlich, weil das nun mal das berührendste Stück der Weltmusikgeschichte und am Ende unzerstörbar ist. Und weil es immerhin auch die frohe Botschaft in sich trug, dass es da, wo Dinge nicht mehr so funktionieren, wie geplant, prinzipiell immer auch anders weitergehen könnte: erfrischt, tastend und mit den roten Wangen poetischer Neuanfänge.

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