Kunstprojekt in Mexiko-Stadt:Druck' mir mal das Internet aus

Printing Out The Entire Internet

Der Künstler Kenneth Goldsmith steht vor den zehn Tonnen Papier seines Kunstprojekts Printing Out the Entire Internet.

(Foto: The Washington Post/Getty Images)

Webseite für Webseite, Blatt für Blatt. Der New Yorker Konzeptkünstler Kenneth Goldsmith will das Internet ausdrucken und stellt das Ergebnis in einer Galerie aus. Umweltschützer werfen ihm Ressourcenverschwendung vor. Doch Goldsmith geht es um Bildungsgerechtigkeit durch freien Zugang zu Informationen.

Von Kathleen Hildebrand

Junge Menschen, die im Internet aufgewachsen sind, bezeichnen ältere Analog-Menschen gern als "Internet-Ausdrucker". Das ist durchaus diskriminierend gemeint und markiert einen der wenigen Generationengräben, die es in unserer jugendlichen Welt noch gibt: Digitale Analphabeten gegen die Eingeborenen des Internets, Brockhaus-Besitzer gegen Wikipedia-Gelehrte und Urheberrechtskonservative gegen Open-Access-Aktivisten.

Kenneth Goldsmith engagiert sich für Informationsfreiheit. Und ist gerade deshalb zum Internet-Ausdrucker geworden. Der Konzeptkünstler ist ein Star im amerikanischen Kunstbetrieb: Er ist der erste je ernannte Hausdichter des Museum of Modern Art, Professor für Poetik an der University of Pennsylvania und hat bereits im Weißen Haus einen Dichter-Workshop abgehalten.

Kenneth Goldsmith

Kenneth Goldsmith und die Künstlerin Alison Knowles sprachen im Weißen Haus vor Studenten.

(Foto: Imago Stock&People)

Für seine jüngste Aktion hat er Ende Mai auf einem Tumblr-Blog dazu aufgerufen, ausgedruckte Webseiten, E-Mails oder Kreditkartenrechnungen an eine Galerie in Mexiko-Stadt zu schicken, per "snail mail", also mit der guten alten Post.

Am 26. Juli war vorläufiger Einsendeschluss und offenbar wussten mehr als 600 Internetmenschen noch, wie man einen Brief frankiert: Fast zwei Meter hoch ist der wilde Papierhaufen aus Ausdrucken in der Galerie LABOR. Er wiegt zehn Tonnen und besteht, klar, zu einem großen Teil aus Pornographie. Goldsmith hat alles angenommen, was ihm geschickt wurde: "Das ist ein inklusiver Akt, nichts wird ausgeschlossen", sagte er im Interview mit dem kanadischen Radiosender CBC.

Aber passt das ganze Netz auf zehn Tonnen Papier? der Technologie-Blog TechHive hat berechnet, dass 4,73 Milliarden Blatt Papier nötig wären, um das gesamte Internet auszudrucken - ein Stapel daraus wäre 492 Kilometer hoch. Goldsmith hat nur einen großen Raum voll bekommen. "Wir sind weit gekommen, ich glaube, wir haben das meiste", scherzt Kenneth Goldsmith. Bis zum 30. August wird das Internet in der Galerie zusätzlich in einer Marathonlesung vorgetragen.

Das Kunstwerk sei eine "poetische Hommage" an den amerikanischen Programmierer, Aktivisten und Gründer des Nachrichtendienstes Reddit, Aaron Swartz, der sich bis zu seinem frühen Tod Anfang 2013 für den freien Zugang zu Informationen im Internet eingesetzt hatte. Swartz war 2011 festgenommen worden, weil er beschuldigt wurde, mehrere Millionen wissenschaftlicher Dokumente aus dem kostenpflichtigen Online-Archiv JSTOR heruntergeladen und frei ins Netz gestellt zu haben. Als Mitarbeiter des Massachusetts Institute of Technology (MIT) hatte Swartz einen JSTOR-Zugang. Im Fall einer Verurteilung hätten ihm bis zu 35 Jahre Haft und eine hohe Geldstrafe gedroht. Am vergangenen Wochenende wurde er posthum in die "Internet Hall of Fame" aufgenommen.

"Millionen Dokumente befreit"

Swartz habe "14 Millionen Dokumente befreit" - das, sagt Kenneth Goldsmith, sei jenseits jeglicher Vorstellungskraft: "Wir haben es mit neuen Maßen für die Unermesslichkeit zu tun." Sein Kunstwerk nennt er deshalb auch eine "imaginäre Lösung für ein Imaginationsproblem".

Doch Printing out the Internet hat auch eine politische Dimension. Kenneth Goldsmith ist Mitbegründer des Onlinearchivs für Avantgardekunst UbuWeb und wie Aaron Swartz geht es ihm um Bildungsgerechtigkeit, wie er im CBC-Interview erklärt: "Die meisten Menschen haben keinen Zugriff auf Informationen, sie haben kein Geld dafür. Hier in Mexiko lernen viele Leute mit kostenlosen Unterrichtsmaterialien, oder solchen, die aus Piraterie-Quellen stammen. JSTOR ist eine wunderbare Sache, wenn man an einer Universität eingeschrieben ist. Die meisten meiner Freunde sind das nicht."

Natürlich hat die Aktion die gute alte Ist-das-Kunst-oder-nicht-Debatte ausgelöst. Vor allem wurde Goldsmith wegen des vielen bedruckten Papiers Ressourcenverschwendung vorgeworfen. Auch wenn der ganze Haufen nach Ende der Ausstellung recycelt werden soll, bleibt schließlich der Energieaufwand für die Papierherstellung.

Doch das ficht Goldsmith nicht an: "Alle Kunst ist Spektakel und das verursacht nun einmal Umweltkosten." Niemand frage je nach dem Geld, das etwa der Transport einer der riesigen Skulpturen von Jeff Koons koste, "aber bei meinem Projekt sprechen gleich alle von einem Baum-Holocaust."

Was wohl die Nachwelt zu seinem Werk sagen wird? Goldsmith stellt eine eher bescheidene Vermutung an: "Oh Gott, das Internet war so klein damals im Juli 2013! Dass jemand auch nur auf den Gedanken kommen konnte, das meiste davon in eine Galerie zu stellen. Wie altmodisch, wie boutique."

Der Haufen wächst weiter. Noch bis zum 30. August kann jeder ein bisschen Internet nach Mexiko schicken.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: