Kunstperformance in Stuttgart:Kontrollauge ausgetrickst

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Kameras am Bahnhof, vor Banken, in Geschäften: Stuttgarts Innenstadt wird streng überwacht. Die Künstlergruppe Social Impact sträubt sich mit weißen Schutzanzügen, Spiegeln und einem "überwachungsfreien Rundgang" gegen die Kontrolle.

Adrienne Braun

Seit den Stuttgart-21-Demos gehören die schwarzen Sheriffs zum Stadtbild - Polizeitrupps, die mit Schlagstöcken durch die Königstraße ziehen. Doch die Armada, die diesmal durch die Fußgängerzone trabt, ist schneeweiß. Weiße Schutzanzüge, weiße Kappen, weiße Handschuhe und spiegelnde Schutzschilde. Als lange Kette spuren sie in Richtung U-Bahn, auf der Rolltreppe gehen sie in die Hocke, halten die Spiegel über ihre Köpfe und sind: unsichtbar.

Die Besucher, die am Sonntag ins Kunstmuseum Stuttgart gekommen sind, haben sich ihren Nachmittag wohl weniger schweißtreibend vorgestellt. Begleitend zur Ausstellung "Rasterfahndung" hat die Linzer Gruppe Social Impact eingeladen zu einem überwachungsfreien Spaziergang durch die Stuttgarter Innenstadt. Ein absurdes, ein zum Scheitern verurteiltes Vorhaben - allein wegen der Überwachungskamera auf dem Stuttgarter Bahnhofsturm, die die City fest im Visier hat und selbst auf mehrere hundert Meter winzigste Details heranzoomen kann. Nur unter Bäumen kann man dem Kontrollauge ausweichen.

Oder eben unter Spiegelschilden. Die Künstlergruppe Social Impact, die sich offiziell "Verein für Kunst und Aktionsforschung" nennt, spürt gesellschaftspolitische Konflikte und Reibungsflächen auf, sie macht Kunstaktionen, um in die Gesellschaft zu intervenieren. Seit 15 Jahren sind sie in wechselnder Zusammensetzung aktiv. Sie haben die erste "privat organisierte Bankenrettungsaktion" durchgeführt und eine Kundgebung für den Casino-Kapitalismus organisiert: Als Fondsmanager verkleidet verbreiteten sie Slogans wie "Armut stinkt - Geld nicht!".

Social Impact ist eine Art künstlerische Attac-Formation, auch wenn Christian Korherr sagt, "den Kunstbegriff halte ich für schwierig". Er ist nun gemeinsam mit Ulrike Hager angetreten, die Besucher des Kunstmuseums Stuttgart "in diese für sich gesehen total idiotische Situation zu bringen". In Tarnanzügen trottet die kuriose Kunstexpedition aus dem Museum und muss auf dem Schlossplatz erst einmal Übungen absolvieren: Aufwärmtraining, die "Schildkröten-Formation" der Römer aus "Asterix" und den "Präriehund" in Hockstellung. Spiegel links. Spiegel rechts. Spiegel über dem Kopf.

Solche Inszenierungen gehören bei Social Impact dazu. "Es funktioniert nur, wenn man es in ein Spiel einbindet", sagt Korherr. Und tatsächlich werden die trabenden Museumsbesucher immer eifriger bei dem Versuch, durch die gemeinsamen Bewegungsmuster in der Anonymität aufzugehen und an den Überwachungskameras unerkannt vorbeizukommen. Überall lauern sie, nicht nur vor Banken und Juwelieren. In der schäbigen Stephanspassage hängen allein 14 Kameras auf den wenigen Metern zwischen Elektromarkt und Parkhaus. Das Haus der Katholischen Kirche ist ebenso überwacht wie Hauseingänge und Boutiquen.

Grenzregime, Abschottung, Repression

Fünf Tage haben Hager und Korherr in der Stuttgarter Innenstadt recherchiert, denn Überwachungssysteme sind nicht meldepflichtig. Dort, wo es sie gibt, muss aber darauf hingewiesen werden. 1958, erklärt Ulrike Hager, wurde in Deutschland die erste Überwachungskamera montiert - in München. Zunächst sollte dadurch ein besserer Verkehrsfluss ermöglicht werden, danach wurde der Öffentliche Nahverkehr zur Sicherheit ausgestattet, dann folgte der öffentliche Raum. Als die Kunstaktivisten auf der Wiese im Schlossgarten eine Verschnaufpause machen, schaut wiederum eine dicke Domekamera zu - aber diesmal holen die braven Museumsbesucher zum Gegenschlag aus und lenken mit ihren Spiegeln das Sonnenlicht auf das Kameraauge: Sendepause. Eine Strategie, die G-8-Demonstranten gelegentlich nutzen.

Aber Social Impact sind eben keine Politaktivisten und Protestler, auch wenn Attac bei ihnen schon angeklopft hat und sich an Aktionen beteiligen wollte. "Wir wollen keine Position einnehmen", sagt Korherr, "diskutieren ist definitiv interessanter als eine Meinung". Sie wollen vor allem Wissen zu aktuellen gesellschaftlichen Debatten weitergeben, auf ihrer "Subversiv Messe" 2009 in Linz informierten sie über Grenzregime, Abschottung, Repression.

Von allen Seiten beobachtet

Mit dem überwachungsfreien Rundgang wollen sie vor allem sensibilisieren. Immer wieder kommen Hager und Korherr mit Passanten ins Gespräch, durchs Megafon ruft Korherr, dass so die Zukunft ausschauen könnte. Japanische Touristen, Eis essende Familien, alle wollen sie wissen, was diese Aktion zu bedeuten hat - womit Social Impact schon sein Ziel erreicht hat. "Manchmal genügt es", sagt Ulrike Hager, "wenn Leute sich darüber Gedanken machen, warum sich andere Gedanken machen."

Verschwitzt, aber auch aufgewühlt, kehrt die Aufklärungsarmee schließlich ins Kunstmuseum zurück, legt Tarnanzüge und Spiegel wieder ab - und muss sich schutzlos zurück ins Getümmel stürzen. Bei aller Liebe zur Sicherheit - es ist kein gutes Gefühl, sich plötzlich von allen Seiten beobachtet zu wissen. Wobei es keineswegs nur Polizei und Banken sind, die die Bürger beobachten. Die schärfste Überwachung in der Stuttgarter Innenstadt befindet sich im kleinsten Laden. In der "Trendbox" gibt es Teenieschmuck zum Schleuderpreis. Auf den paar Quadratmetern hängen stolze 14 Kameras.

© SZ vom 12.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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