Kunstmuseum Wolfsburg:Wes Volkswagen ich fahr, des Volkslied ich sing

Das Kunstmuseum Wolfsburg hat sich vorzeitig von seinem Leiter Ralf Beil getrennt. Der große Automobilkonzern in der Stadt war daran nicht unbeteiligt

Von Till Briegleb

Donnerstagabend um 21.04 Uhr erhielten einige Kulturjournalisten in Deutschland eine Mail von Ralf Beil. Der Direktor des Kunstmuseums Wolfsburg erklärte darin, dass er seinen Posten noch 17 Stunden innehabe. Freitag, 14 Uhr, müsse er seinen Schlüssel abgeben. Eine Kündigung mit dem Katapult, die überraschend kam. Über deren Hintergründe lieferten weder das Museum genaue Auskunft noch das Kuratorium des Kunstmuseums unter Leitung von Hans Dieter Pötsch, dem Aufsichtsratsvorsitzenden des VW-Konzerns.

Was war geschehen in dieser Stadt, die seit ihrer Gründung eng mit dem Autohersteller liiert ist, dass sie auf skandalträchtige Weise ihren wichtigsten Kulturmanager feuert?

Ralf Beil hatte genau dieses problematische Verhältnis zum Thema seiner Ausstellungsarbeit gemacht. Ab 2015 Direktor des Hauses kuratierte Beil im folgenden Jahr die Schau "Wolfsburg Unlimited". In dieser kulturhistorischen Geschichtsstunde mit Kunstwerken ging es nicht nur um die Geburt der Stadt im NS-Staat und die Kontinuität im VW-Konzern nach dem verlorenen Krieg, sondern auch um die Gegenwart. Die peinliche Pressekonferenz von Martin Winterkorn, in welcher der damalige Vorstandsvorsitzende der Volkswagen AG den systematischen Abgas-Betrug gestand, zeigte Beil als Video. Hans Dieter Pötsch musste diese Schmachschau eröffnen, da er bereits damals in Personalunion dem VW-Aufsichtsrat und dem Museums-Kuratorium vorstand.

Im Sommer 2018 sprach Ralf Beil, der mit Ausstellungen etwa zu lateinamerikanischer oder indischer Kunst den Status dieses Privat-Museums in der deutschen Kunstlandschaft gefestigt hatte, dann bei Pötsch wegen einer Vertragsverlängerung vor. Doch der erklärte ihm - laut Beil - unumwunden, dass der Museumsleiter einigen Leuten auf die Füße getreten sei. Man werde seinen Vertrag nicht verlängern und suche bereits einen Nachfolger. Beil solle bis auf Weiteres im Amt bleiben und einen goldenen Handschlag erhalten, sobald der neue Direktor gefunden sei.

Beil plante da bereits für 2019 die Jubiläumsschau zum 25-jährigen Bestehen des Museums, aber vor allem eine Ausstellung zum VW-sensiblen Thema "Oil. Schönheit und Schrecken des Erdölzeitalters." Da sein Nachfolger mittlerweile gefunden ist, es wird Andreas Beitin, der das Ludwig Forum für Internationale Kunst in Aachen leitete, legte Pötsch dem Museumsleiter vergangenen Mittwoch einen Aufhebungsvertrag vor.

Darin stand unter anderem, dass Beil auf die Autorenschaft der Ausstellungskonzepte für seine geplanten Projekte verzichten solle. Beil weigerte sich, dem zuzustimmen. Daraufhin verließ der Aufsichtsratsvorsitzende wort- und grußlos den Raum und leitete die Kündigung mit sofortiger Freistellung ein, wie Ralf Beil gegenüber der SZ erklärte.

Pötschs Sprecher Michael Brendel äußerte sich an diesem Dienstag auf Nachfrage mit der Bemerkung, dass diese Entlassung kein "Hauruck"-Verfahren gewesen sei, sondern das Kuratorium sich mit dem Vorgang schon länger beschäftigt habe. Zu allem anderen: "Kein Kommentar."

Man tut nur so, als sei das Haus kein Konzernmuseum

Für die offenbare Untertänigkeit der Stadt Wolfsburg gegenüber der VW-Leitung liefert diese Entsorgung eines kritischen Museumsdirektors wohl Anschauungsmaterial. Denn in dem Kuratorium, das Beils Rauswurf mittrug, sind sowohl der Bürgermeister wie der Kulturdezernent Wolfsburgs vertreten. Und es gab als möglichen Kündigungsgrund für Beil keinerlei negative Zahlen zu vermelden, wie der kaufmännische Geschäftsführer und jetzt Interims-Direktor des Museums, Otmar Böhmer, gegenüber der SZ erklärt.

Man könnte nun geneigt sein, den Trump-Stil eines Wirtschaftslenkers, der Leute wegen unliebsamen Verhaltens feuert, in eine Reihe zu stellen mit den Demontagen kritischer Kuratoren der letzten Zeit. Aber anders als bei Adam Szymczyk und der documenta, Okwui Enwezor am Haus der Kunst, oder Beatrix Ruf am Stedelijk-Museum in Amsterdam, die man mit ökonomischen und verfahrenstechnischen Argumenten diskreditierte oder kaltstellte, ist in Wolfsburg die Scheinautonomie des Museums das Kernproblem.

Obwohl man dort so tut, als sei das Haus von VW inhaltlich unbeeinflusst, es also kein Konzernmuseum sei, ist es wohl genau das. Mit dieser Kündigung wegen offenkundig lauterer Kritik hat sich das Kunstmuseum Wolfsburg selbst von der Liste jener Kulturinstitute gestrichen, die man als autonom und inhaltlich seriös bezeichnet. Auch der neue Direktor Andreas Beitin muss wissen, dass er hier ab April unter der Hymne arbeitet: "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing."

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