Süddeutsche Zeitung

Kunstmesse:Stimmung statt Zahlen

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Jennifer Flay will mit öffentlichen Programmen die alteingesessene Pariser Fiac zum großen Stadtevent und zum Diskursforum für das breite Publikum machen. Doch nicht alle glauben daran.

Von Joseph Hanimann

Eröffnungstag ist eigentlich erst der kommende Mittwoch. Die Pariser Kunstmesse Fiac wächst aber sich selbst über den Kopf und nimmt mit ihrem Outdoor-Programm "Hors les murs" schon im Voraus die prominentesten Orte der Innenstadt in Beschlag. Im Garten des Musée Delacroix, einer Dépendence des Louvre, rekelt sich eine drei Meter hohe Totem-Figur der britischen Künstlerin Rebecca Warren (Galerie Max Hetzler Berlin). Im Jardin des Tuileries spaziert man an Installationen von Alexander Calder, Franz West, Pablo Reinoso, Thomas Schütte, Isabelle Cornaro, Alicja Kwade vorbei. Auf der Place de la Concorde stehen Architekturkonstruktionen von Jean Prouvé, Claude Parent, Kengo Kuma, auf den Pflastersteinen der Place Vendôme hat das Künstlerduo Elmgreen & Dragset unter dem Titel "To Whom It May Concern" hundert Seesterne aus Bronze ausgelegt. Paris ist nicht nur der Schauplatz, sondern zugleich die Visitenkarte der Kunstmesse mit dem Grand Palais als Hauptstandort, wo man sich im engen Raum unter der Glaskuppel gegenseitig so elegant auf den Füßen herumtritt.

Attraktion durch großes Raumangebot war gestern

Attraktion durch großes Raumangebot war gestern, sagt Jennifer Flay. Sie ist seit 2003 die Chefin der Foire Internationale d'Art Contemporain. Vor zwölf Jahren ist die Veranstaltung aus den so end- wie reizlosen Hallen des Messegeländes an der Porte de Versailles ins Grand Palais zurückgekehrt, die sie vorübergehend verlassen hatte. Mit dem alten Ort ist auch viel von der alten Ausstrahlung zurückgekehrt. Sie wolle aus der Fiac eine der zwei oder drei wichtigsten Kunstmessen weltweit machen, sagt Flay. Wenn die Galerien - in diesem Jahr auch wieder Hauser & Wirth, Gmurzynska, Rodolphe Janssen oder Salon 94 - in Paris mit 90 Quadratmeter Ausstellungsfläche Vorlieb nähmen, wo sie andernorts 120 oder 150 hätten, sei das ein Beweis für die Attraktivität des Orts. 195 Aussteller aus 27 Ländern sind es in diesem 45. Jahr des Bestehens, darunter 18 Neuzugänge unter anderem aus São Paulo (Bergamin & Gomide), Shanghai (Antenna Space), Peking (Boers-Li, Magician Space), Oslo (Gerhardsen Gerner), New York (half gallery, Paul Kasmin).

Die Fiac-Direktorin, eine Neuseeländerin, die in den Achtzigerjahren als Galeristin nach Paris kam, spricht lieber von Stimmungen als von Zahlen. Bei allem Wissen darum, dass bei den Ausstellern am Ende die Zahlen stimmen müssen, kommt sie beim Reden erst richtig zum Sprudeln, wenn es um Künstler, Werke, Materialbeschaffenheit oder Lichtbrechungen geht. Ebenso wichtig ist ihr der gesellschaftliche Aspekt der Messe. Die Fiac will sie nicht nur als Fachtreffen fürs Milieu, sondern auch als Fest fürs breitere Publikum verstanden wissen. Das verleiht der Schau einen mondänen Touch, der ihre Spiegelfunktion für Stil- und Markttendenzen beinah vergessen macht. Die französische Tradition des öffentlichen Diensts und die Pflege des öffentlichen Raums haben sichtlich auf Flay abgefärbt. Die Fiac wünscht sie sich als dominierendes Stadtevent wie die Buchmesse in Frankfurt. Seit zwei Jahren wird die Avenue Winston-Churchill zwischen dem Grand und dem Petit Palais während der Messe für den Verkehr gesperrt und der Übergang zwischen den Weltausstellungspalästen von 1900 künstlerisch ausgestaltet. Diesmal haben Sabina Lang und Daniel Baumann ein farbiges Zickzackmuster auf der Avenue zwischen den beiden Gebäuden ausgelegt. Und in die ständige Sammlung des städtischen Museums im Petit Palais sind unter der Kuratorenschaft von Marc-Olivier Wahler, Direktor des Broad Art Museum der Universität Michigan, zwei Dutzend Werke von Fiac-Ausstellern eingeschmuggelt worden. "Wir sind die einzige Kunstmesse, die auch in öffentlichen Museen ausstellt", erklärt Jennifer Flay selbstbewusst.

Die Fiac soll ein dominierendes Stadtevent werden - wie die Buchmesse in Frankfurt

Diese Durchmischung von Markt und Museum erscheint allerdings fragwürdig. Soll öffentlicher Dienst und Privathandel wirklich so eng miteinander verknüpft werden? Die Fiac hat damit kein Problem. Die Rollenverteilung zwischen Museum und Messe sei klar, wird betont, "wir jedenfalls stehen zu unserer Rolle als Akteure des freien Markts, im Unterschied zu manchen Kuratoren von Kunstbiennalen, die so tun, als ginge der Kunstmarkt sie nichts an". Ähnlich sieht das auch Dominique de Font-Réaulx, die Direktorin des staatlichen Musée Eugène Delacroix, die seit vier Jahren während der Fiac jeweils einen Künstler oder eine Künstlerin aus dem Messeangebot in ihre Sammlung aufnimmt, diesmal eben die Engländerin Rebecca Warren. Die Werke würden ohne Preisangabe ausgestellt und die Transaktion werde in den Galerien getätigt. Die zeitgenössische Kunst sei überdies ein Sektor, der für Eigenankäufe ihres Hauses nicht infrage komme. Die Museumsdirektorin findet es aber sinnvoll, dass in ihren Räumen, dem ehemaligen Wohnatelier von Eugène Delacroix, das künstlerische Schaffen weiterhin einen Platz habe. Das ungewohnt junge Publikum während der Fiac-Tage will sie nicht mehr missen.

Als Gegenleistung für den Grenzabbau zwischen Privatmarkt und Öffentlichkeit weist die Fiac auf ihre Preispolitik bei der Standmiete hin. Die unlängst in Berlin vorgebrachte Anregung eines besseren Ausgleichs zwischen Groß- und Kleinanbietern ist in Paris in diesem Jahr ein Stück weit umgesetzt worden. Der Quadratmeterpreis für große Ausstellungsflächen wurde um zwei Prozent auf 650 Euro erhöht, jener für kleine Flächen um fünf Prozent auf 550 Euro gesenkt, und jener für junge Galerien bleibt bei 290 Euro. Das notorische Problem des Platzmangels im Grand Palais ist damit allerdings nicht gelöst. Die vor vierzehn Jahren begonnene Ausweitung des Galerieangebots auf Design hält sich aus Raumgründen in engen Grenzen, und die von Jennifer Flay gewünschte Einbeziehung des Art Brut ins Messespektrum lässt auf sich warten. Eine Änderung wird mit einer Mischung aus Neugier und Bange für 2020 erwartet. Die Fiac soll dann wie alle anderen Messeveranstaltungen wegen Totalsanierung des Grand Palais auf mehrere Jahre in ein Provisorium auf dem Gelände des Marsfelds am Fuß des Eiffelturms umziehen.

Zu schick, zu brav, zu integriert, lästern indessen seit Jahren manche gegen die Fiac. Ein halbes Dutzend Alternativveranstaltungen sind es mittlerweile schon, die wie die "Outsider Art Fair" oder die "Paris Internationale" gegen die etablierte Pariser Kunstmesse andere Akzente zu setzen suchen und sich doch gleichzeitig von der Medienwelle der Großveranstaltung tragen lassen. Nur zu, lautet darauf die Antwort von Seiten der Fiac, solche Off-Programme seien willkommen. Ernsthafte Sorgen über die Konkurrenz der sich häufenden Kunstmessen im In- und Ausland scheint man sich nicht zu machen. Gedanken sollte man sich aber machen über die unter den Galeristen sich ausbreitende allgemeine Messemüdigkeit. Von Termin zu Termin eilende Hors-Sol-Galerien vernachlässigen ihr Stammgeschäft der lokalen Bindung von Künstlern und Sammlern. Der ehemaligen Galeristin Jennifer Flay konnte das nicht entgehen. An einem Abend gehen während der Fiac jeweils die Lichter im Grand Palais aus, um die versammelte Jetset-Gesellschaft auf Erkundung der Pariser Galerienlandschaft zu schicken. Eine nette Geste. Zur lokalen Wiederbelebung des Kunstmarkts wird es aber nicht ausreichen.

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Quelle:
SZ vom 13.10.2018
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