Süddeutsche Zeitung

Kunstmesse Brafa:Kette und Kanone

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Erlaubt ist, was gefällt: Ob Antiken oder Sowjet-Kitsch, Alte Meister oder Afrika, Kanon oder Sentiment - die Brüsseler Brafa überzeugt mit ihrer radikalen und lustvollen Offenheit.

Von Dorothea Baumer

Die Brussels Fine Art Fair (Brafa) steht auf dem Höhepunkt ihrer Popularität und ihres Ansehens. Die Messe, die als lokale Veranstaltung belgischer Händler begann, hat seit dem Umzug in die attraktiven Industriehallen des ehemaligen Thurn & Taxis-Geländes 2002 und einer damit einhergehenden internationalen Öffnung eine ganz eigene Dynamik entwickelt. Mit ihrem Angebot, das viel breitere Sammler- und Liebhaberkreise anspricht und einem eklektischen Konzept hat die Messe sich neben der alles überragenden Tefaf in Maastricht eine Spitzenposition gesichert.

Das Angebot der 133 Aussteller ist außerordentlich facettenreich und großzügig, was ästhetische Höhen und Tiefen betrifft. Es bietet die glanzvolle Altmeistertafel ebenso wie das Salonstück mit viel Sentiment, reicht, kurzum, vom musealen Objekt bis zur Kuriosität. Wie stark der Sog in Richtung Gegenwart geht, spürt auch diese Messe. Harold t'Kint de Roodenbeke, Chairman der Messe, kann ihn beziffern: Auf zehn Moderne- und Zeitgenossenhändler, die sich um die Messeteilnahme bewerben, kommen ein bis zwei mit Alter Kunst. Tatsächlich haben sich in jüngster Zeit einige renommierte Altkunsthändler verabschiedet. Aber man hält dagegen, sucht die Balance von Alt und Neu und hat in den traditionellen Schwerpunktsparten Antiken und außereuropäischer Kunst wohl das beste Gegengewicht.

Besonders stark ist hier natürlich die belgische Moderne vertreten

Allein ein gutes Dutzend Spezialisten bestreiten das hervorragende Antiken-Angebot. Dazu gehört auch Günter Puhze aus Freiburg, dessen feine römische Marmor-Venus aus der berühmten Pariser Sammlung Louis De Clercq sich ein europäisches Museum noch am ersten Tag reservieren ließ. Bei Eberwein sind die in ihrer Modernität so verblüffenden geschmauchten schwarz-roten Negade-Gefäße aus dem Ägypten des vierten vorchristlichen Jahrtausends schon ab 3500 Euro zu haben. Bis 300 000 muss dagegen gehen, wer die äußerst seltene ägyptische Kalkstein-Statuette aus der VI. Dynastie bei Cybèle ernsthaft ins Auge fasst.

In bewährter Stärke sind die Brüsseler Afrika-Experten vor Ort, bieten Exzeptionelles, wie die große Grebo-Maske bei Adrian Schlag (350 000), inszenieren ihre Exponate wie Didier Claes eine Antilopen-Aufsatzmaske der Bambara (85 000) oder bedenken den weniger solventen Interessenten, wie Pierre Dartevelle, der, neben Hochkarätigem, Kuba-Textilien für 3500 bis 8000 Euro im Programm hat.

Eine weitere Facette bringt Serge Schoffel ins Spiel: 40 geschnitzte stelenartige "Churinga" der australischen Ureinwohner, von denen mehr als 20 bereits in den ersten Stunden bei Preisen von 2000 bis 25 000 Euro Abnehmer fanden. Überzeugend auch das Asiatica-Angebot der Pariser Händler, die nach Belgien die größte Teilnehmergruppe stellen.

Möbel und großes Kunsthandwerk des 18. Jahrhunderts sind nur noch vereinzelt vertreten, werden allerdings von den führenden Firmen, Steinitz aus Paris oder Röbbig aus München, in unvergleichlicher Fülle und Qualität aufgeboten. Dazu mischt sich, zunehmend interessanter, Design des 20. Jahrhunderts.

Die Mailänder Galerie Robertaebasta, stets auf der Suche nach glamouröser Eleganz, findet sie diesmal in einem lippenstiftrot lackierten Memphis-Kabinett von Ettore Sottsass aus den Achtzigern (22 000). Axel Vervoordt, der Antwerpener Pionier eines gelungenen Crossover, überrascht mit skulpturalen Holzmöbeln des brasilianischen Architekten und Design-Stars José Zanine Caldas. Das gelingt auch dem Erstaussteller Morentz aus dem niederländischen Waalwijk, der nicht nur ein frühes Sesselpaar von Caldas bietet (38 000), sondern eine der besten Design-Präsentationen überhaupt.

Umfänglicher als alles andere ist die Gemäldeofferte. Das Bildprogramm reicht von den Alten Meistern bis in die Gegenwart, wobei holländische und flämische Malerei wie auch die belgische Moderne die Hauptrolle spielen. Klaas Muller, der vor zwei Jahren einen Coup mit einem wiederentdeckten Rubens landete, und Florence de Voldère haben ganze Altmeister-Kabinette eingerichtet.

De Jonckheere fährt hingegen zweigleisig. Er zählt "Die Zahlung des Zehnten" von Pieter Brueghel d. J. zu seinen Paradestücken (1,2 Millionen), lässt aber die Moderne, etwa mit dem ungewöhnlichen Werk des belgischen Surrealisten René Magritte "La vie secrète" (1928) ebenfalls zu Wort kommen (750 000). Und zeigt außerdem italienische Nachkriegskunst von Lucio Fontana bis Giuseppe Penone.

Die beiden aparten Einzelgänger der belgischen Moderne, James Ensor und Léon Spilliaert, sind an etlichen Ständen anzutreffen. Bei Harold t'Kint de Roodenbeke hängen ihre Arbeiten einträchtig beieinander: Ensors berühmte, hier farblich übergangene Radierung "L'Entrée du Christ à Bruxelles" von 1898 und eines der schönsten hier zu findenden Spilliaert-Blätter, das Pastell einer Badenden von 1910, die beide schon rote Punkte tragen.

Die Samuel Vanhoegaerden Gallery aus Knokke wiederum hat eine beachtliche Ensor-Ausstellung zusammengetragen, die zwölf Gemälde und 24 Zeichnungen umfasst, dazu Dokumente über den eigenwilligen Musiker und Ballett-Komponisten, begleitet von einer großen Publikation.

Ein paar Millionen Jahre älter als der römische Satyrkopf ist der Meteorit aus Libyen

Jenseits der belgischen Klassiker regiert die Accrochage der Stile und Qualitäten. Stringente Präsentationen der internationalen Moderne und Nachkriegskunst sind die Ausnahme. Rosenberg aus New York, zum zweiten Mal in Brüssel, überzeugt mit einer Auswahl an Papierarbeiten von Giacomo Balla bis Barbara Hepworth. Unter dem Stichwort "Gesichter der Moderne" versammelt die Züricher Galerie Von Vertes große Qualitäten von Jean Dubuffet bis George Condo. Vom erstaunlichen Nachleben Bernard Buffets, nicht zuletzt des großen Interesses in Japan wegen, zeugt der Stand der Pariser Galerie Taménaga, die dem Künstler eine Einzelschau widmet.

Wer Raritäten sucht, dürfte zumindest das außerordentliche Kuriositätenkabinett des Londoners Finch & Co. nicht ohne erhebliche Anfechtungen verlassen, gleich, ob die Vorliebe einer japanischen Handkanone, einer viktorianischen Bernsteinkette oder einem römischen Satyrkopf gilt. Auch Sowjet-Chic ist zu haben, beispielsweise in Form eines "Radiogramophone" von 1940, in der Moskauer Hermitage Gallery. Und auch Außerirdisches fehlt nicht: Theatrum Mundi aus Arezzo bietet einen Millionen Jahre alten Meteoriten vom Mars, gefunden 1997 in der libyschen Wüste, zum Preis von einer Million Euro.

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SZ vom 01.02.2020
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