Süddeutsche Zeitung

Kunstmesse:Belagerte Oase

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Im März findet in Hongkong wieder die Art Basel statt. Doch die anhaltenden Proteste sorgen bei Veranstaltern und Galeristen für wachsende Nervosität.

Von Minh An Szabó de Bucs

Die Vorbereitungen zur Art Basel Hongkong sind dieser Tage in vollem Gange. Mitte März findet die asiatische Ausgabe der Schweizer Kunstmesse statt. Doch seit einem halben Jahr befindet sich die Stadt im Ausnahmezustand. Die wütenden Proteste gegen Chinas wachsende Einflussnahme reißen nicht ab. Der autonome Sonderstatus der Stadt, der bis 2047 andauern sollte, scheint zu wanken. Solange die Peking-treue Regierungschefin Carrie Lam an der Macht bleibt, ist kein Ende der Proteste in Sicht. In dieser aufgeladenen Stimmung soll eine glamouröse Kunstschau abgehalten werden?

Die Art Basel Hongkong ist acht Jahre nach ihrer Gründung die erfolgreichste Kunstmesse Asiens. Die Finanzoase ohne Einfuhrzölle und Mehrwertsteuer hat sich als Standort bewährt. Christie's und Sotheby's sind hier schon länger vertreten, in den vergangenen Jahren sind große Galerien wie Gagosian und Zwirner hinzugekommen. Sie alle erreichen von hier aus am besten die Sammler aus China, Singapur, Indonesien, Japan und Südkorea. Laut einer neuen Studie zählen allein China und Hongkong zusammen fast 400 Milliardäre, Tendenz steigend.

Doch was, wenn es zu neuen Straßenkämpfen kommt, wenn die Demonstranten wieder den Flughafen besetzen? Wird die Messe selbst Anlass neuer Demonstrationen werden? Schon seit Monaten macht sich unter den teilnehmenden 240 Galeristen Verunsicherung breit. Wird die Messe stattfinden oder nicht? Sollen sie Flüge und Transporte buchen oder abwarten? Darf man ausgelassene Partys feiern, wenn auf den Straßen für Freiheit gekämpft wird?

Judy Lybke, der einflussreiche Gründer der Berliner Galerie Eigen+Art, hat überhaupt keine Bedenken. "Sollen wir die Hongkonger gerade jetzt in dieser schwierigen Zeit fallen lassen?" So wie in der ehemaligen DDR will er sich auch jetzt zur Stadt und zu den Menschen bekennen. "Ich würde im März auch nach Hongkong fahren, wenn die Messe abgesagt wird." Lybke hat die Ausgaben für die Messeteilnahme bereits vor der Messe eingenommen und kann nun ohne Verkaufsdruck hinfahren. "Verkäufe dort sind ein schöner Nebeneffekt." Auch wenn er keine Dependance in Hongkong betreibt, ist er dort bestens vernetzt. Rund um den Messetermin hält er Vorträge, macht Atelierbesuche und trifft Freunde. Diesen Menschen sei er verpflichtet, sagt Lybke.

Was sind die Alternativen? Tokio? Taipeh? Zurzeit gilt Singapur als Favorit

Ein so klares Bekenntnis sehen die Organisatoren der Art Basel gern, denn sie sind sich der heiklen Situation bewusst. Offiziell sind drei Galerien von ihrer Teilnahme zurückgetreten: Tyler Rollins Fine Art (New York), SCAI The Bathhouse (Tokio) und Luxembourg & Dayan (London/New York). Nach den Gründen gefragt, erklärt Amal Luxembourg der SZ, ihr sei diese Entscheidung sehr schwergefallen. "Wir hatten eine besondere Show mit hochkarätigen Leihgaben europäischer Meister der Moderne geplant." Das Risiko und die Kosten für Logistik sowie Versicherung seien jedoch nicht zu tragen. 2021 wolle sie aber wieder zurückzukehren - und betont, dass die Galerie im kommenden Juni in Basel auf jeden Fall dabei ist. Daraus spricht die Sorge, durch die Absage auf der Blacklist der Messeveranstalter zu landen und künftig nicht mehr eingeladen zu werden.

Generell geben sich die Organisatoren aber sehr kulant. Sie erklären: "Um das finanzielle Risiko der Aussteller zu minimieren, haben wir ihnen proaktiv angeboten, ihre Standgröße zu verkleinern. Dieses Angebot haben 15 Prozent der Galerien angenommen." Und wenn sie doch absagen? Dann sollen wohl mindestens 75 Prozent der Standgebühr erstattet werden. Zumindest auf einem Teil der Ausgaben für Transport, Versicherung und Flüge bleiben die Aussteller aber sitzen.

Günstiger ist es, wenn man die Kunstwerke und Mitarbeiter bereits am Ort hat. Die namhafte Axel Vervoordt Gallery aus Antwerpen beispielsweise ist seit sechs Jahren auch in Hongkong ansässig. An der Messe nimmt sie dieses Jahr zum ersten Mal teil und hat nicht vor abzuspringen. Boris Vervoordt gibt zu, dass weniger Besucher den Weg zur Galerie gefunden haben, seit die U-Bahnen immer wieder von Demonstranten blockiert werden. Auf der anderen Seite seien die Hongkonger Sammler, Künstler und Kunstinstitutionen näher zusammengerückt. Vervoordt sieht die Lage vorläufig gelassen, er hat keine Pläne, seine Galerie in eine andere asiatische Stadt umzusiedeln.

Der Berliner Galerist Johann König ist dagegen skeptischer. Er sagt, er habe sich für die diesjährige Art Basel Hongkong gar nicht erst beworben. Drei Mal habe er bisher an der Messe teilgenommen und dabei vor allem eines gelernt: Asiatische Sammler seien sehr interessiert an seinen Künstlern und wollten mehr sehen. Ein kleiner Messestand reiche nicht aus. Deshalb suchte er einen eigenen Standort in Asien. Er entschied sich dabei aber nicht für Hongkong, sondern für Tokio. Im vergangenen November eröffnete er den neuen Standort im MCM Ginza House mit einer Ausstellung von Juergen Teller. Warum Tokio? "Weil es in einer stabilen, regulierten Wirtschaftszone liegt. Hier gibt es keine Zensur, und ich habe keine Probleme mit Devisen wie etwa in China." Zwar sei Tokio kein Steuerparadies wie Hongkong, aber politisch wie wirtschaftlich stabil.

Auch wenn es kaum jemand zugeben will, halten viele Ausschau nach Alternativen zu Hongkong. Neben Tokio sind Taipeh und Singapur ernstzunehmende Anwärter. Momentan scheint Singapur das Rennen zu machen. Hier leben Multimilliardäre, hier gibt es eine Freihandelszone und günstige Steuergesetze. Eine Kunst- und Galerieszene hat sich auch schon etabliert. Bereits im Juli berichtete Channel News Asia, einige Hongkonger Oligarchen hätten ihre Konten bereits nach Singapur verlegt, allen voran Li Ka-shing, der mit einem geschätzten Vermögen von 37,7 Milliarden US-Dollar Hongkongs reichster Mann ist.

Die Sprecherin der Art Basel beteuert indes, die Messe halte ausdrücklich am Standort Hongkong fest und sei nicht auf der Suche nach anderen Standorten. Die Art Basel wird also wohl wie geplant in Hongkong vonstatten gehen, nur eben etwas verhaltener als in den letzten Jahren.

In den letzten Tagen ist jedoch eine weitere, vorläufig noch gar nicht abschätzbare Bedrohung aufgetaucht, die weitaus gefährlicher ist und die die politischen Unruhen in den Hintergrund treten lassen könnte: das Coronavirus. Falls sich die Lungenkrankheit trotz der jüngsten drastischen Maßnahmen auch in Hongkong ausbreiten wird, könnten alle Bekenntnisse zu business as usual hinfällig sein.

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Quelle:
SZ vom 25.01.2020
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