Kunstmarkt:Vor der Moderne

Jenseits der ganz großen Namen sind meisterhaft ausgeführte Gemälde des 19. Jahrhunderts kaum gefragt. Was Sammler heute suchen, sind Skizzen, Versuche, Unfertiges - alles, was zeitgenössischer Ästhetik entgegenkommt.

Von Ulrich Clewing

Gemälde der französischen Impressionisten erzielen auf Auktionen regelmäßig Millionenpreise. Und inzwischen gilt das auch für einige deutsche Künstler des 19. Jahrhunderts. Vor gut zwei Jahren versteigerte Villa Grisebach in Berlin die Gouache "Stehende Rüstungen" aus der Serie der Rüstkammer-Fantasien von Adolph Menzel für Aufsehen erregende 3,3 Millionen Euro. In einer anderen Preisregion angesiedelt, aber immer noch rekordverdächtig nahmen sich auch die 250 000 Euro aus, für die der junge Münchner Händler Alexander Kunkel vor etwas mehr als einem Jahr eine Pastell-Zeichnung Franz von Stucks auf der Kunstmesse Highlights verkaufte, ein düsteres Meisterwerk des deutschen Symbolismus, das "Haupt der Medusa".

Dies sind nur zwei Beispiele dafür, dass Kunst aus dem 19. Jahrhundert momentan geschätzt wird wie lange nicht mehr. Eingesetzt hat diese Entwicklung vor rund 15 Jahren, als ein paar Kunsthändler - der Hamburger Thomas Le Claire sowie Arnoldi-Livie und Daxer & Marschall aus München - begannen, den amerikanischen Markt zu erschließen. Hierzulande waren Maler wie Franz von Stuck, Anselm Feuerbach, Hans Thoma oder Wilhelm Leibl noch mit dem Makel behaftet, dass die Nationalsozialisten sie geliebt hatten, doch in den USA und Lateinamerika sah man das nicht so eng.

Schon damals zogen die Preise erheblich an. Aber das trifft nur auf die prominenten Namen zu - und da oft auch nur auf spezielle Werke. Blättert man in den Katalogen der Frühjahrs- und Herbstauktionen von Grisebach, Ketterer, Neumeister, van Ham oder Karl & Faber, stellt man fest, dass Malerei aus der Zeit häufig erstaunlich niedrig bewertet wird.

19. Jahrhundert, das klingt erst einmal nach einer fernen Vergangenheit. Doch das ist natürlich falsch. Die gut hundert Jahre vor dem Beginn des Ersten Weltkrieges waren eine mindestens ebenso zerrissene Epoche wie unsere Gegenwart. Gesellschaftlich blieb durch Landflucht und Industrialisierung kein Stein auf dem anderen. In den Naturwissenschaften ließen revolutionäre neue Erkenntnisse alte Weltbilder einstürzen. Die bis dahin ungeahnten Möglichkeiten zu reisen ließen ganz neue entstehen. Eines der Modewörter in der Künstlerstadt München um 1900 hieß "Weltanschauung". Vorläufer der Öko-Bewegung entstanden, die ersten alternativen Kommunen wurden gegründet. Zeitschriften wie Simplicissimus und Jugend beschäftigten unkonventionelle Zeichner und Illustratoren.

Kunstmarkt: Virtuos, aber nicht akribisch: Abendhimmel der kaum bekannten Malerin Rebecca Félix.

Virtuos, aber nicht akribisch: Abendhimmel der kaum bekannten Malerin Rebecca Félix.

(Foto: Grisebach)

Dazu kam, dass die künstlerische Lehre an den staatlichen Akademien und der wachsenden Zahl von privaten Kunstschulen enorme Fortschritte verzeichnete. Es war also einiges in Bewegung, und das macht die Kunst der Zeit auch für uns Heutige so interessant. "Es gab im 19. Jahrhundert so viele gut und akademisch ausgebildete Künstler wie nie zuvor", sagt Florian Illies, geschäftsführender Gesellschafter bei Grisebach. "Das garantiert ein breites Angebot quer durch die Genres von hoher Qualität."

Betrachtet man dagegen die durchschnittlichen Schätzungen, erlebt man Überraschungen - als Verkäufer schlechte, als Käufer gute. Im vergangenen Dezember veranstaltete das in dem Bereich stets breit aufgestellte Dorotheum in Wien seine traditionelle Herbstauktion mit Kunst des 19. Jahrhunderts. Unter den Hunderten von Losen waren etliche, die dem Klischee vom süßlichen Kitsch der Gründerzeit entsprachen. Doch es fanden sich dort auch - wie immer bei den Wienern - echte Perlen. Und das zu Preisen, die man auf den ersten Blick kaum glauben mochte.

Den gebürtigen Dresdner Leopold Carl Müller, der später in Wien arbeitete, zog es zum Beispiel nach Nordafrika. Dort malte der "Ägypten-Müller", wie er auch genannt wurde, in den 1870er- oder 1880er-Jahren das Bild "Partie in Kairo": ein grandioses kleines Gemälde, ein fast abstrakter Farbklang in Hellblau und Ocker. Spärliche Schlagschatten strukturieren die flachen Häuser der Medina in der unteren Hälfte der Komposition, während der blaue Himmel und der aufsteigende Dunst die obere einnehmen. Müller gilt seit Langem als der bedeutendste österreichische Orientalist. Dennoch erreichte seine "Partie in Kairo" nicht einmal die untere Schätzung von 2600 Euro. Im Nachverkauf ging das Bild dann für 2540 Euro weg.

"So günstig wie jetzt wird man reizvolle Werke nicht mehr lange finden."

Dimitra Reimüller, Expertin für das 19. Jahrhundert am Dorotheum

Und das war kein Einzelfall. Eine reizende Gebirgslandschaft im ansprechend großen Salonformat, vermutlich aus dem Apennin, vom in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts tätigen Belgier Joseph Quinaux? Blieb für 2000 Euro liegen. Das schöne, auf 2600 Euro geschätzte Vielvölker-Gemälde vom Marktplatz im ungarischen Szolnok, um 1850 gemalt von einem namentlich nicht bekannten Künstler? Blieb ebenfalls unverkauft.

"Die Käufer sind wählerischer geworden", sagt Dimitra Reimüller, Expertin für das 19. Jahrhundert am Dorotheum. "Und wenn sie einen Namen noch nicht gehört haben oder der Künstler anonym ist, dann fallen die Preise gleich stark ab." Dabei, so Reimüller, habe es im 19. Jahrhundert viele Künstler gegeben, die kaum noch jemandem geläufig seien, aber für ihre Zeit sehr modern gemalt hätten.

Dies kann Illies nur bestätigen. "Früher war das Genrehafte, Anekdotische beliebt, wenn es um Kunst aus dem vorvergangenen Jahrhundert ging. Inzwischen ist Malerei gefragt, die etwas Frisches hat, etwa direkt vor der Natur entstandene Studien." Für Illies zeigt sich darin ein Paradigmenwechsel. So kommt es, dass bestimmte Bildgattungen mittlerweile vollkommen neu bewertet werden. Im Atelier akribisch ausgeführte Gemälde, die bei ihrer Entstehung als einzige vollgültige Werke erachtet wurden, sind in der Gunst ins Hintertreffen geraten.

Stattdessen schätzen Käufer heute das Skizzenhafte. Beispielsweise die Wolken- und Landschaftsstudien der Romantiker, die einst für die Malerin oder den Maler nur Hilfs- und Arbeitsmaterial waren. "Manchmal wurden diese Skizzen an Freunde verschenkt," sagt Illies, "manchmal lagen sie auch nur lange im Schrank. In Künstlernachlässen aus der Zeit gab es zum Teil Hunderte davon."

Deshalb konzentriert man sich bei Grisebach seit Illies dort vor sechs Jahren die Abteilung 19. Jahrhundert gegründet hat, auf genau diese Bilder. Mit Erfolg: Inzwischen ist das Berliner Auktionshaus im deutschsprachigen Raum Marktführer auf dem Gebiet. Bei den dortigen Herbstauktionen war auch ein postkartengroßes Gemälde im Angebot. Es stammte von der Malerin Rebecca Félix, die bisher so unbeachtet geblieben ist, dass man von ihr nicht einmal die genauen Lebensdaten kennt. Der virtuos ausgeführte pastose Abendhimmel war auf 1000 bis 1500 Euro taxiert. Er vervierfachte die untere Schätzung und brachte 4000 Euro. Das sind immer noch keine spektakulären Beträge. Aber womöglich ein Zeichen dafür, dass sich die Verhältnisse gerade ändern. Im Moment kann man mit bescheidenem Budget Bilder des 19. Jahrhunderts von großem Reiz und hoher Qualität finden. Doch wie lange noch?

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