Süddeutsche Zeitung

Kunstmarkt:Panama Papers bringen den Kunstmarkt in Unruhe

Die mächtigste Kunsthändlerdynastie der Welt hat über eine Briefkastenfirma einen Modigliani versteckt - nicht unüblich in der Branche. Doch hinter den Kulissen brodelt es nun.

Von Peter Richter und Alexander Menden, New York/London

Die Helly Nahmad Gallery in New York hat ihre Räume im Gebäude des Carlyle Hotels, also dort, wo sich einst Präsident John F. Kennedy mit der Schauspielerin Marilyn Monroe traf und bis heute der Regisseur Woody Allen montags in seiner Jazzband Klarinette spielt. Es ist der soziale Mittelpunkt der Upper East Side, einer der teuersten Wohngegenden der Welt. Die Galerie selbst sieht aus wie ein Museum, Abteilung 20. Jahrhundert, bei Badewetter: An den Wänden Kunst von berühmten Namen, Joan Miró, Lucio Fontana, Alexander Calder, aber kein Mensch da, der sie betrachten würde.

Nur ganz hinten sitzen zwei Damen, die ein wenig an die schlanken, rückengeraden Figuren von Giacometti erinnern, und bewachen die Treppe, die nach oben führt, wo man die eigentlichen Geschäftsräume vermuten darf.

"Der ist nicht da, der kann jetzt nicht"

Ob man Herrn Nahmad kurz sprechen könne? Es gehe uns um seine Reaktion auf die Enthüllung, dass sich Amadeo Modiglianis Gemälde "Mann mit Stock" im Besitz der Nahmads befinde, versteckt durch eine Briefkastenfirma in Panama. Das Werk gilt als Nazi-Raubkunst und wird von einem Erbe des früheren Besitzers zurückgefordert. Es lagert in einem Zollfreilager in der Schweiz, wo die Polizei es nach den Veröffentlichungen beschlagnahmt hat.

Es gäbe also einiges zu bereden. Über den Modigliani. Und über den Kunstmarkt und dessen Usancen generell.

Doch: "David Nahmad ist nicht hier in New York", sagt mit italienischem Akzent eine der beiden Damen. Sie hat also zumindest Zeitung gelesen hat. Denn der monegassische Kunsthändler David - eigentlich Davide - Nahmad wurde in den Panama Papers als nomineller Eigentümer der Offshore-Firma International Art Center benannt, der der Modigliani gehört; wir wollen aber seinen Sohn sprechen, den Mann, der diese Galerie hier führt: Helly - eigentlich Hillel - Nahmad.

"Der ist nicht da, der kann jetzt nicht, schicken Sie bitte eine E-Mail mit Ihrer Anfrage." Na gut.

Aber auf die E-Mail gibt es keine Antwort, auch nicht auf Nachfrage.

Was es zu sagen gibt, das hat Helly Nahmad stattdessen in einem etwas schluchzenden Interview mit dem kanadischen Radio gesagt: "Ich könnte nicht in Ruhe schlafen, wenn ich wüsste, dass sich geraubte Kunst im Besitz der Galerie befindet." Gleichzeitig stellte sein Anwalt in einem weniger sentimentalen Statement klar: Die Gegenseite möge erst mal beweisen, dass sie der Eigentümer ist.

Mit anderen Worten: Ob der Modigliani Raubkunst ist, sei keineswegs gewiss.

Die Öffentlichkeitsscheu dieser Dynastie ist sprichwörtlich

Die Helly Nahmad Gallery in London befindet sich, wie jene in New York, ebenfalls in bester Lage: eine Gehminute vom Piccadilly Circus entfernt am St. James's Square, einer der teuersten Geschäftslagen der Welt. Ein funktionaler Neubau in dunklem Backstein.

Der Helly - eigentlich Hillel - Nahmad, der diese Galerie führt, ist der Cousin des gleichnamigen New Yorker Kunsthändlers. Die Vettern tragen beide den Namen ihres Großvaters, eines aus Aleppo stammenden Bankiers. Die Londoner Nahmads sind nicht direkt in den Modigliani-Fall involviert. Dennoch wäre es interessant zu erfahren, was der Fall für den hiesigen Kunsthandel bedeutet, ob er sich schädlich ausgewirkt hat.

Die Lobby schmückt unaufdringliche zeitgenössische Keramik in einem Glasregal. Eine freundliche Dame mit osteuropäischem Akzent fragt, ob man einen Termin bei der Firma habe. Nein, aber wäre trotzdem jemand zu sprechen?

Sie ruft im Büro an. "Sie sagen, das geht nur nach Terminvereinbarung, Mr. Nahmad ist unterwegs."

Und wann wird er zurück sein? Könnte man nicht doch mit jemand anderem aus der Galerie sprechen?

"Schicken Sie bitte eine E-Mail." Auf die E-Mail erfolgt keine Antwort.

Auch Kunsthändler, die weniger gut im Geschäft sind als die Nahmads, haben nicht unbedingt immer sofort für einen Zeit. Aber die Öffentlichkeitsscheu dieser Dynastie ist sprichwörtlich. Der Londoner Helly Nahmad tritt immerhin gelegentlich als Kunstmarkt-Kommentator in Erscheinung. Wirklich oft in der Presse ist nur der New Yorker Helly Nahmad, der sich als rabaukenhafter Lebemann einen Namen gemacht hat. Auf der Art Basel in Miami Beach, einer der wichtigsten Kunstmessen, steht er jedes Mal als Hohepriester der Seriosität inmitten eines spekulativen Spektakels, bei dem die anderen Händler ihren Sammlern immer neue, wilde Newcomer ans Herz legen. Bei Nahmad gibt es nur tote Künstler, wo das Angebot auf natürliche Weise begrenzt ist; sein Stand ist sozusagen die Ecke für konservative Anleger, die Stahl-Aktie, nicht der Neue Markt.

Dabei hat der Enddreißiger mit seinen halblangen, zurückgegelten Haaren bisher ein recht ausschweifendes Leben geführt: Schulabbruch, Drogengeschichten, Partys mit Leonardo Di Caprio und brasilianischen Models, Haftstrafe wegen Verstrickung in einen illegalen Glücksspielring mit Beteiligung der russischen Mafia.

Helly aus New York hatte vor Gericht erkennen lassen, wie nah auch das Kerngeschäft der Familie letztlich am Glücksspiel mit hohen Einsätzen siedelt: Er habe das von seinem Vater David so mitbekommen, der mal Weltmeister im Backgammon war. Um sich das Gefängnis zu ersparen, schlug er vor, er könne benachteiligten Kindern in der Bronx etwas über Kunst und Kunsthandel beibringen.

Skelette im Schrank

Der Richter ging darauf nicht ein. Nahmad musste erst ins Gefängnis, später in Hausarrest, durfte aber zwischendurch zur Art Basel in die Schweiz reisen, um auf der Messe einen Picasso und einen Rothko zu Rekordpreisen zu verkaufen.

Eine Person, die im New Yorker Kunstmarkt als Mittelsmann mitspielt und deshalb anonym bleiben will, drückt das so aus: "Helly London ist gebildet, der ging aufs Courtauld Institute, der ist sehr seriös. Helly New York ist leider ein verzogenes Kind." Diese Person sagt auch: "Ich glaube, die Nahmad-Familie hat Grund, sich einige Sorgen zu machen jetzt, denn das könnte andere Nachforschungen nach sich ziehen." Dann folgt die immer wieder sehr eindrückliche englische Formulierung von den Skeletten, die demnächst noch so alle aus dem Schrank fallen werden.

"Ich weiß doch, wer die problematischen Typen sind, und versuche, denen nicht zu nahe zu kommen", sagt ein Konkurrent von Nahmad

Der Kunstbetrieb, speziell der Sektor, in dem die großen Umsätze gemacht werden, sei aufgeschreckt durch die Enthüllungen der Panama Papers und erwarte weitere Skandale. Und dann raunt der Mann von der Steuervermeidung und Geldwäsche, die es im Kunsthandel gebe.

Er sagt aber auch, dass das ein reinigendes Gewitter sein könnte und der Kunstmarkt, der Undurchsichtigkeit pflegt, wie man sie sonst eigentlich eher aus sittenwidrigen Gewerben kennt, endlich zur Regulierung anstehe. "Dunkel" nannte die New York Times ein paar Tage nach den Enthüllungen durch die Panama Papers diesen Markt.

Offshore-Firmen seien schlicht in Mode, weil es alle machen

Am selben Tag fanden sich ein paar Dutzend verunsicherte Sammler und Kunstberater auf der Park Avenue in den Räumen der Kanzlei Herrick Feinstein LLP ein, wo ihnen Jason Kleinman einen Vortrag zur Steuergestaltung hielt. Kleinman ist ein Mann, der freimütig erklärt, dass er geradezu leidenschaftlich nach steuersenkenden Modellen suche, Offshore-Firmen seien da aber keine sinnvolle Antwort; gerade die USA machten es ihren Landsleuten so gut wie unmöglich, Vermögen im Ausland zu verschleiern, ohne sich massiv strafbar zu machen. Dass Briefkastenfirmen trotzdem auch hier so in Mode seien beim Geschäft mit der Kunst, erklärt er aus den Diskretionsbedürfnissen von Spielern auf dem Auktionsmarkt, die sich, wie beim Poker, nicht in die Karten schauen lassen wollten. Und außerdem: Offshore-Firmen seien schlicht in Mode, weil es alle machen.

Das mag im Fall des Modigliani zu kurz greifen. Ein Londoner Kunstmarkt-Insider, der, natürlich, auch nicht genannt sein möchte, hat im Falle des Bildes, das bis 1944 dem jüdischen Kunsthändler Oscar Stettiner aus Paris gehörte, eine ganz simple Vermutung für den Sinn und Zweck der Briefkastenfirma: Zwei Jahre nachdem das Bild 1996 in London bei Christie's ersteigert wurde, ist das Washingtoner Abkommen zur Rückgabe von Raubkunst unterzeichnet worden, wodurch der Modigliani in den Status der Unverkäuflichkeit gesackt sei. "Die einzige Erklärung, die ich habe, ist die, dass sie hoffen, dass die Restitutionsfrage irgendwann verjährt."

So hat Norman Rosenthal, bis vor Kurzem Chefkurator der Royal Academy of Arts und Sohn jüdischer Flüchtlinge, schon 2009 angeregt, die Restitution der von Nazis geraubten Kunstwerke zu beenden, weil eine materielle Wiedergutmachung der eigentlichen Verbrechen ohnehin nicht möglich sei.

"Man macht nicht den größten Hai im Haifischbecken an."

"Es kann also sein", sagt der Kunstmarktexperte aus London, "dass sie einfach darauf warten wollten, bis die Unterzeichner des Washingtoner Abkommens im Interesse der Rechtssicherheit einen Schlussstrich ziehen. Die Familie Nahmad denkt da wohl, wie die katholische Kirche, nicht in Fünfjahresrhythmen, sondern an kommende Generationen: Verdorbene Ware für den Patriarchen und die Kinder, aber die Kindeskinder könnten es in 30 Jahren wieder handeln. Bis dahin hätte es eben irgendwo gelegen."

Aus der Branche werde dennoch keiner die Geschäfte der Nahmads kritisieren, jedenfalls nicht öffentlich, meint der Insider aus New York: "Man macht nicht den größten Hai im Haifischbecken an." Bei der nächsten Auktion von Christie's oder Sotheby's wird er wieder sehr freundlich "How are you?" zu Helly Nahmad sagen.

Und dann sagt er noch: "Ich weiß doch, wer die problematischen Typen sind, und versuche, denen nicht zu nahe zu kommen. Ich mache mein kleines Geschäft, meine Kommission ist auf meiner Rechnung, das ist alles. Sicher denken einige Leute deswegen, ich sei ein Idiot. Aber wenigstens stehe ich dadurch nicht in diesen Panama Papers und bin jetzt nicht Gegenstand von Ermittlungen."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2956775
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 20.04.2016/luc
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.