Süddeutsche Zeitung

Kunstmarkt:Schweres Erbe

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Alfred Flechtheim war die schillerndste Figur in der Kunstszene der Weimarer Republik. Sein Nachlass ist begehrt und umstritten.

Von Ira Mazzoni

Es ist etwas Wahnsinniges mit der Kunst, eine Leidenschaft stärker als Spiel und Alkohol und Weiber" - so äußerte sich der berühmteste Kunstvermittler der Weimarer Republik, Alfred Flechtheim.

Es ist aber auch etwas Wahnsinniges mit den Recherchen zum Leben des genialen Kunsthändlers, Verlegers und Sammlers, der Pablo Picasso und den Kubismus in Düsseldorf und Berlin bekannt machte, rheinische Expressionisten genauso förderte wie George Grosz und Paul Klee, bis die Nazis ihn als "Kulturbolschewisten" und "Kunstjuden" diffamierten, seine Auktionen sprengten und ihn damit zur Aufgabe seiner Geschäfte zwangen. 1937 wurde seine Firma aus dem Berliner Handelsregister gestrichen. Der Gutvernetzte hatte sich inzwischen unter schwierigen Bedingungen eine neue Existenz bei der Mayor Gallery in London aufgebaut. Er starb im März 1937 an den Folgen eines Unfalls. Als Alleinerben hatte er den in London lebenden Neffen seiner Frau, Heinz Hulisch (Hulton) eingesetzt. Der NS-Staat sollte keinen Zugriff auf sein Vermögen und seinen verbliebenen Kunstbesitz erhalten.

Seit 2008 sehen sich Museen mit Eigentumsansprüchen der Erben konfrontiert. Der Vorwurf: Die öffentlichen Sammlungen hielten "verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut" zurück. Die Anwälte verweisen darauf, die Düsseldorfer Galerie sei 1933 "arisiert" worden. Das Liquidationsverfahren habe Flechtheims Unternehmen vernichtet. Seine an unterschiedlichen Orten deponierten Kunstwerke seien verschleudert oder veruntreut worden.

Das Verfolgungsschicksal Flechtheims anerkennend empfahl die Limbach-Kommission 2013 die Rückgabe des Bildes "Tilla Durieux" von Oskar Kokoschka aus dem Museum Ludwig in Köln an die Flechtheim-Erben. Eine Entscheidung aus Mangel an Beweisen. Nun lässt sich im Fall Flechtheim vieles mutmaßen, denn die Dokumentenlage ist dünn. Es haben sich kriegsbedingt keine Geschäftsunterlagen erhalten. Firmenarchive seiner wichtigsten Handelspartner sind nicht zugänglich oder verbrannt. Dennoch ist die Flechtheim-Forschung durch internationale Vernetzung vorangekommen (siehe www.alfredflechtheim.com). Ein neuer Aufsatzband "Alfred Flechtheim - Raubkunst und Restitution", herausgegeben von der Provenienzforscherin Andrea Bambi und dem Zeithistoriker Alex Drecoll im Verlag De Gruyter, beleuchtet das Schicksal Flechtheims im wirtschaftlichen und politischen Kontext.

Drecoll hält eine "Arisierung" der Galerie Flechtheim für "eher unwahrscheinlich". Flechtheim habe mit seinem Düsseldorfer Geschäftsführer und Freund, Alex Vömel, wohl eine einvernehmliche Vereinbarung getroffen. Darauf deute der Umstand hin, dass Vömel Flechtheims Schulden tilgte und dass er ihm dabei half, Bilder ins Ausland zu transferieren. Das Liquidationsverfahren der Flechtheim GmbH scheint demnach für Flechtheims "chronisch unterfinanzierte" Firma eher günstig gewesen zu sein. Dem beauftragten Wirtschaftsprüfer gelang es, die Schuldenlast der Galerie auszugleichen und Gläubiger zu einem Teilverzicht zu bewegen. Ein Konkurs und damit die Einschaltung von Nazi-Behörden wurden abgewendet.

Einige Forscher bezweifeln nun eine "Arisierung" der Galerie Flechtheim im Jahr 1933

Wie sah die legendäre Privatsammlung Alfred Flechtheims aus? Auch darüber gibt es widersprechende Mutmaßungen. Isgard Kracht hat dafür eine Korrespondenz zwischen dem Verleger Christian Zervos und Flechtheim ausgewertet. Kracht kommt zu dem Schluss, dass die private Sammlung keinen festen Werkkorpus hatte und bei Bedarf handelbar war. Zu einem ähnlichen Schluss kommt die Provenienzforscherin Andrea Bambi: Schon aus steuerlichen Gründen konnte es für einen Kunsthändler vorteilhaft sein, Ware zeitweise als Privatbesitz zu deklarieren. Ab 1927 gab es eine Steuerbefreiung auf Kunstbesitz bis zu einem Vermögenswert von 200 000 Reichsmark.

Welche Kunstwerke besaß also der "Privatsammler" Alfred Flechtheim, welche waren Lagerbestand der Galerie, welche hatte er in Kommission, an welchen der Hochkaräter war er nur anteilig beteiligt? Welche Werke kamen ihm tatsächlich verfolgungsbedingt abhanden? Es muss eine Aufstellung des Eigentums zum Zeitpunkt des Liquidationsverfahrens gegeben haben und zum Zeitpunkt der Testamentseröffnung am 25. Juni 1937 in London. Nur sind auch diese Dokumente nicht mehr aufzutreiben. Die wichtigste gesicherte Erkenntnis: Es gab 1937 in London eine Flechtheim Estate, vertreten durch die Anwaltskanzlei Herbert Oppenheimer, Nathan van Dyck und Mackay, die die Nachlassangelegenheiten für den Alleinerben Heinz Hulisch (Hulton) regelte.

Wie ein Briefwechsel mit dem New Yorker Kunsthändler Jacques Seligmann beweist, versuchte die Kanzlei bis 1946, Bilder aus dem Nachlass zu verkaufen. Seligmann war Anteilseigner an dem heute im Museum Ludwig Köln befindlichen Picassobild "Harlequin, les mains Croissées" von 1923. Flechtheims Anteil lag bei 25 Prozent. Laut Lagerbuch der Mayor Gallery, einer der derzeit wichtigsten Quellen für "gerettete Bilder" mit Flechtheim-Provenienz, schickte Flechtheim den Hochkaräter 1936 nach New York in der Hoffnung, dort Käufer zu finden. Seligmann konnte das Bild aber erst nach dem Tod seines Konsorten verkaufen, die Auszahlung erfolgte erst 1946 zugunsten des Flechtheim-Erben. Kurz: Flechtheims Erbe hat geerbt. Die österreichische Historikerin Wiebke Krohn mutmaßt, dass auch die Grosz-Zeichnungen, die Flechtheim in der Amsterdamer Kunstzaal Van Lier deponiert hatte, 1938 versteigert wurden.

Es sind solche Funde, die Zweifel an dem großen Restitutionsfall Flechtheim aufkommen lassen. Die Republik Österreich wies ein Restitutionsgesuch ab. Unzweifelhaft ist, dass Flechtheim wertvolle Kunstwerke in Deutschland zurücklassen musste und verfolgungsbedingt verlor. Unzweifelhaft ist auch, dass die in Berlin zurückgebliebene, pro forma geschiedene Betty Flechtheim von den Nazis um Hab, Gut und Leben gebracht wurde. Doch die Beschlagnahmungsliste aus ihrer letzten Berliner Wohnung fehlt merkwürdigerweise. Die Aussagen von Zeugen über die dort verbliebene Kunst gehen weit auseinander. Es bleibt bei Mutmaßungen.

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SZ vom 29.08.2015
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