Kunstmarkt:In New York findet die "Auktion des Jahrhunderts" statt

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Peggy and David Rockefeller wurden zu Sammlern, nachdem ein Gast über die zweitklassige Kunst an ihren Wänden die Nase rümpfte. (Foto: Arthur Lavine/Rockefeller Estate via Christie´s)

Das Auktionshaus Christie's versteigert die Sammlung der Rockefellers. Sie soll bis zu einer Milliarde Dollar erlösen.

Von Christian Zaschke

Jonathan Rendell hat zum Gespräch in einen Konferenzraum mit Funktionsmöbeln geladen. Vorteil: Hier ist es ruhig. Nachteil: Ein neonbeleuchteter Konferenzraum ist nicht gerade eine inspirierende Umgebung, um über das zu sprechen, was Vanity Fair "Die Auktion des Jahrhunderts" genannt hat. 1600 Kunstwerke aus dem Nachlass von Peggy und David Rockefeller versteigert das Auktionshaus Christie's Anfang Mai in New York. Nach konservativen Schätzungen sollen dabei über 500 Millionen Dollar erlöst werden.

Auch Rendell, Amerika-Chef von Christie's, war klar, dass ein nackter Konferenzraum nicht die richtige Umgebung sein würde, um über eine Auktion zu sprechen, wie es noch keine gab. Deshalb ließ er den Raum kurzerhand mit zwei Gemälden verschönern. So hängen nun in dem kleinen Kabuff im ersten Stockwerk bei Christie's im Rockefeller Center in Manhattan ein Matisse und ein Seurat an der Wand. Was diese Gemälde erlösen könnten? "40", sagt Rendell, als er auf den Seurat zeigt. Als er sich dem Matisse zuwendet, sagt er lächelnd: "Vermutlich so um die 90." Dass hier in Millionen Dollar gerechnet wird, versteht sich.

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Die "Odaliske mit Magnolien" von Henri Matisse und "Die Reede von Grandcamp" von Georges Seurat sind nur zwei von Dutzenden Meisterwerken, die Christie's vom 8. bis zum 11. Mai in mehreren Blockbuster-Auktionen in New York versteigert. Mit diesen Gemälden eine Weile auf so engem Raum zusammenzusitzen, ist eine besondere Erfahrung.

David Rockefeller starb im März vergangenen Jahres im Alter von 101 Jahren. Er war der Enkel von John D. Rockefeller Sr., der im Ölgeschäft immense Reichtümer anhäufte und zum ersten Milliardär der Vereinigten Staaten wurde. Davids Frau Peggy starb bereits 1996. Beide hatten zuvor beschlossen, dass nach ihrem Tod ihre komplette Kunstsammlung zugunsten wohltätiger Zwecke verkauft werden solle. Begünstigte sind unter anderem das Museum of Modern Art, die Harvard University und der politische Thinktank Council on Foreign Relations.

Beim Abendessen setzt Christie's die Sammler den Gemälden gegenüber, die sie kaufen sollen

Jedes Auktionshaus der Welt hätte diesen Job gern übernommen. Den entsprechenden Vertrag mit Christie's unterzeichnete Rockefeller im Jahr 2013, und seither wusste Jonathan Rendell, dass er eines Tages eine der spektakulärsten Auktionen der Geschichte organisieren würde. Jetzt ist seine Arbeit so gut wie abgeschlossen.

Mit Rockefellers Tod setzte sich eine gigantische Maschinerie in Gang. Eine detaillierte Liste des Inventars gab es bereits, dafür hatte Rockefeller zu Lebzeiten gesorgt. Nun ging es darum, die Werke in den verschiedenen Residenzen der Familie einzusammeln und in das New Yorker Zentrallager von Christie's zu schaffen - und von dort teilweise gleich weiter in die Welt.

Eine solche Kollektion spricht Sammler auf dem ganzen Globus an. Diese wollen die wichtigsten Werke aus der Nähe sehen, bevor sie Dutzende Millionen Dollar ausgeben. Also ging Rendell mit ausgewählten Stücken auf Reisen. Mit Gemälden im Wert von Hunderten Millionen Dollar im Gepäck schaute er in London und Paris ebenso vorbei wie in Peking, Los Angeles und Shanghai. Er erwartet, dass die Käufer der teuersten Werke etwa zu je einem Drittel aus Europa, Asien und den Vereinigten Staaten kommen werden.

Die wichtigsten Kunden werden auf diesen Reisen zu Abendessen in Gesellschaft der Gemälde geladen. Das machen alle Auktionshäuser so. Über die Sitzordnung wird dabei lange gebrütet. Ziel ist es, dass die potenziellen Käufer ihr Lieblingsobjekt während des Essens permanent im Blick haben. Ein simpler Trick, aber er funktioniert: Wer beim Gespräch mit Rendell eine Stunde lang fortwährend auf Seurats "Die Reede von Grandcamp" schaut, überlegt, ob er nicht doch auf einem vergessenen Sparkonto noch 40 Millionen Dollar herumliegen haben könnte.

Laut Rendell gibt es weltweit etwa tausend Sammler, die regelmäßig teuerste Werke kaufen und deshalb von den Auktionshäusern umgarnt werden. Die wirklich wichtigsten Kunden dürfen bisweilen sogar ein Werk nach Hause nehmen, um zu schauen, wie es zum Rest der Sammlung passt. "Die haben dann das Privileg, eine Nacht mit einem bedeutenden Gemälde zu verbringen", sagt Rendell. Allerdings ist das Vergnügen nicht allzu privat. Die Sicherheitsleute von Christie's bleiben in solchen Fällen ebenfalls über Nacht.

Dass die Sammlung der Rockefellers so interessant ist, verdankt sich einer Begebenheit aus dem Jahr 1948. Bis dahin hatten die beiden hauptsächlich unbedeutende Gemälde gekauft, darunter viele englische Porträts aus dem 18. Jahrhundert. Eines Nachmittags in jenem Jahr aber kam Alfred Barr Jr., Gründungsdirektor des Museum of Modern Art (das von David Rockefellers Mutter mitgegründet wurde), mit seiner Frau Marga zum Tee vorbei. Marga Barr schaute auf die zweitklassigen Gemälde an den Wänden und machte eine despektierliche Bemerkung.

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Fortan wurden die Rockefellers ernsthafte Sammler. Zunächst vertrauten sie auf den Rat der Barrs, später emanzipierten sie sich zunehmend. Sie sammelten europäische und amerikanische Gemälde des 19. und 20. Jahrhunderts, dazu Möbel, Porzellan, Skulpturen und Teppiche. Die Sammlung umfasst auch 67 opulente Essgeschirre. "Und alle sind benutzt", wie Rendell bemerkt. Manche Gäste, die öfter bei den Rockefellers eingeladen waren, sagen, sie hätten nicht zweimal vom gleichen Geschirr gegessen.

Zurzeit stehen diese Geschirre im Lager von Christie's im Keller des Hauptquartiers an der Rockefeller Plaza. Rendell steuert zielstrebig auf sein Lieblingsservice zu. Es heißt "Marly Rouge" und wurde für Napoleon angefertigt, der es sogar ins Exil nach Elba mitnahm. Später gelangte es in den Besitz der Rockefellers, die es nicht ausstellten, sondern benutzten. Es ist aufs Feinste verziert und soll zwischen 150 000 und 250 000 Dollar bringen.

Noch mehr als Kunst liebte Rockefeller Käfer. Er sammelte sie in seiner "killing bottle"

Vieles lässt vermuten, dass der Schätzwert von 500 Millionen, den Christie's angibt, stark untertrieben ist. Laut Vanity Fair könnten es 650 Millionen werden, Bloomberg spricht gar von einer Milliarde. Dass der Markt seit dem Verkauf des angeblichen Leonardo-Gemäldes "Salvator Mundi" für 450 Millionen Dollar im letzten Jahr keine Grenzen mehr zu kennen scheint, ist das eine. Das andere ist die Qualität dieser Sammlung, von der viele Stücke seit Jahrzehnten erstmals auf den Markt kommen. Einige, so die Werke von Diego Rivera, wurden noch nie gehandelt.

Höhepunkt des Auktionsmarathons wird vermutlich ein Bild, das bei den Rockefellers im Wohnzimmer zwischen zwei Fenstern hing, der frühe Picasso "Junges Mädchen mit Blumenkorb" von 1905. Der Überlieferung zufolge war es nicht gerade das Lieblingsbild von Peggy Rockefeller, aber David mochte es sehr. Bei diesem Bild kommt dazu, dass es vor den Rockefellers Gertrude Stein gehörte.

Einer der wichtigsten Aspekte dieser Auktion ist: Alles, was versteigert wird, hat einen Wert an sich - aber jedem Werk hängt eben auch an, dass es einst den Rockefellers gehörte. Nun aber ist da ein Picasso, der vor den Rockefellers Gertrude Stein gehörte, Picassos großer Mentorin. Mehr geht aus Sicht eines Sammlers kaum. Rendell sagt deshalb: "90". Tatsächlich wäre es überraschend, wenn das Bild weniger als 100 Millionen brächte.

David Rockefeller liebte die Kunst, kein Zweifel. Seine größte Leidenschaft als Sammler galt allerdings toten Käfern. Auf Reisen hatte er meist eine kleine, mit Alkohol gefüllte Flasche dabei, die er "killing bottle" nannte und mit immer neuen Käfern füllte. 157 000 Exemplare hat Rockefeller in seinem langen Leben gehortet, die er in einem eigenen "Käfer-Zimmer" aufbewahrte. Manchmal tauschte er mit anderen Sammlern, zum Beispiel mit dem japanischen Prinzen Masahito von Hitachi, mit dem er seine Käfer-Leidenschaft teilte. Dieser Teil der Sammlung steht leider nicht zum Verkauf.

© SZ vom 27.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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