Süddeutsche Zeitung

Kunstmarkt:Möbel-Theater

Carlo Mollinos skurrile Inneneinrichtungen verzückten die Käufer. Rückblick auf ein sehr erstaunliches Auktionsjahr 2016.

Von Alexander hosch

Die letzten Wochen des Jahres brachten noch einmal in größerer Zahl die Möbel von Carlo Mollino in den Fokus des Auktionsmarktes. Ist das Zufall? Vielleicht. Andererseits ist Mollino auch die ideale Besetzung für die Winterzeit. Denn er entwarf Ski-Architekturen, und gleichzeitig schuf er als Interior Decorator, als Inneneinrichter, in seiner stärksten Zeit zwischen 1944 und 1953 acht mondäne Einrichtungen in einer Kaminfeuer-Romantik. Hermetische Welten des Stils, in die sich ihre Besitzer vor dem feindlichen Draußen der Großstadt Turin in die geschlossene Sphäre der Erotik, der Kunst und elitären Behaglichkeit zurückziehen konnten. Es sind fast immer Möbel aus diesen Appartements, für die Mollino-Käufer heute extrem viel Geld ausgeben.

Die jüngsten Auktions-Resultate kommen allerdings nicht an jene außerordentlichen 3,8 Millionen Dollar heran, die 2005 ein kurviger Eichenholz-Glas-Tisch aus dem Jahr 1949 aus der Casa Orengo brachte (bei Christie's in New York). Doch Mollino bleibt der teuerste italienische Möbeldesigner des 20. Jahrhunderts. Erst wurden bei Artcurial in Paris am 29. November ein Schreibtisch von 1951 für 89 800 Euro sowie ein Paar Stühle für 27 606 Euro und Hocker für 8 000 Euro aus der ehemaligen Tanzbar Lutrario zugeschlagen, dann am Nikolaustag bei Quittenbaum in München 9 000 Euro für eine exzentrische Suora-Leuchte. Am 13. Dezember versteigerte Phillips in gleich drei New Yorker Sales Entwürfe von Mollino, wobei in der Abendauktion eine surrealistisch anmutende, einbeinige Spiegelkommode mit Wandleuchten aus dem Jahr 1945 aus dem Appartement von Ada und Cesare Minola 298 000 Dollar abräumte. Tags darauf schloss Sotheby's, ebenfalls in New York, mit 516 000 Dollar und 336 000 Dollar für die Sitz-Protagonisten Copenhagen Chair aus dem Jahr 1952 und Lattes Chair aus dem Jahr 1951 die Mollino-Festspiele 2016 ab.

Was ist an Carlo Mollino, der von 1905 bis 1973 lebte, das Besondere? Andere begabte Möbelgestalter der italienischen Wirtschaftswunderzeit mögen moderner und progressiver gewesen sein. Mollino dagegen war, trotz der technischen Ästhetik, emotional auf die Vergangenheit bezogen. Seine Tischkonstruktionen lassen oft eher an den Jugendstil denken als an die Nachkriegsjahre.

Frauenkörper und Skispuren im Schnee dienten als Vorlagen für Mollinos Kurvenmöbel

Der junge Mollino, Sohn eines Bauunternehmers, konnte seit den Dreißigerjahren seine Begeisterung für das große Formen-Drama entfalten. Denn Mussolini ließ in Italien sogar die modernsten Entwerfer in Ruhe arbeiten - um dann mit ihnen und ihren Arbeiten für den Faschismus zu werben. Mollino oszillierte so als Architekt, Designer, Autorennfahrer, Flieger und Fotograf erfolgreich zwischen Art Déco und Futurismus. Hinzu kam eine Neigung für Surrealistisches: Manche der hölzernen Möbelkonstruktionen aus Ahorn und Eiche erscheinen wie Bildausschnitte von Salvador Dali. Als Person wirkte Mollino aufreizend viril, seine Möbel dagegen sind grazil und grotesk. Er blieb unverheiratet und kinderlos, galt als seltsamer Vogel - geheimnisvoll, eine Diva. Niemand kann etwa sagen, warum er sein Haus in der Turiner Via Napione so pompös ausstattete, es dann aber nicht bewohnte. Es war wohl immer nur ein temporärer Ort des Glücks oder des Aufruhrs. Er fotografierte dort weibliche Modelle, die er in den Straßen einsammelte und dann nackt in die fertigen Bühnen seiner Casa einstellte. Die Frauenkörper dienten als Vorlagen für seine Kurvenmöbel.

Charmanter ist aber eine andere Geschichte. Mollino war ein ausgezeichneter Skifahrer, eine Zeit lang sogar Skiverbandspräsident und Autor des Lehrbuchs "Einführung in den Abfahrtslauf". Wenn er außerhalb Turins baute, dann in den Alpen, wo er die Bergstation von Sauze d'Oulx, ein Hotel am Matterhorn und ein "Haus für einen Extremskifahrer" entwarf. Hier ließen ihn die Linienmuster nicht mehr los, die sein Freund, der Skichampion Leo Gasperi, in die Piemonteser Tiefschneehänge zog. Mollino fotografierte die Spuren wie ein Besessener, sie inspirierten ihn etwa für die schwunghaften Arabesco-Tische.

Solche theatralischen Möbel, die wie Teile eines großen Narrativs wirken, bewegen offenbar gerade heute die Menschen. Die stilisierten, manieristischen Objekte bringen die großen Tarife. Die Sammler zahlen für Spleenigkeit. Der Kunstverdacht lässt die Preise steigen, idealerweise kommt Seltenheit hinzu. So waren die Stühle Copenhagen und Lattes, die am Jahresende bei Sotheby's weggingen, zu Prototypen. Und die Künstlerin und Schmuckdesignerin Ada Minola war eine Seelenverwandte, die mit ihrem Architekten die Obsession für den Jugendstil teilte. Er begann mit der Einrichtung für sie und ihren Mann 1944, während auf Turin Bomben fielen, zeichnete er die experimentellen Möbel.

Der spektakuläre Specchio armadio, den Phillips jetzt losschlug, war das kurioseste Objekt im Minola-Appartement, über dessen barocke Lösungen ein Kritiker 1946 schrieb, der"freie Enthusiasmus der Form" treffe sich hier "mit den außergewöhnlichen Idealen alter Zeiten".

Bowies Stereoanlage, die Achille und Pier Castiglioni entwarfen, erbrachte 257 000 Pfund

Neben Mollino, der durch seine rückwärtsgewandte Bizarrerie als einziger Italiener den teuren Franzosen standhält, brachten die letzten Monate preislich weitere späte Höhepunkte. Wie etwa den Weltrekord für Marc Newson und seine Kommode Pod of Drawers, die für 1 019 800 Euro beim Heavy-Metal-Sale von Artcurial Ende Oktober in Paris wegging. Oder, am 14. Dezember bei Sotheby's New York, die fast 1,5 Millionen Dollar für André Groults Chagrin-Kommode aus dem Jahr 1925. Das weltweite Top-Resultat des Designauktionsjahres 2016 setzte beim selben Termin indes kein Art déco-Gegenstand, sondern mit 2,7 Millionen Dollar das Kirchenglasfenster The Stream of Life, gefertigt 1914 bei Tiffany. Sensationell schnitt, als das Haus in London die Sammlungen David Bowies unter den Hammer brachte, die Stereoanlage des Popstars ab, die Achille und Pier Castiglioni 1966 entwarfen. Sie erbrachte 257 000 Pfund.

Konkurrent Christie's nennt auf SZ-Anfrage als Spitzreiter 2016 ein "persisches Bett" mit Lack und Blattgold von Eileen Gray im wert von 1,2 Millionen Euro in Paris, ein Schaf mit zwei Ottomanen von Francois-Xavier Lalanne (1,1 Mio Dollar in New York) und die im Mai in Paris erzielten 685 500 Euro für zwei Bronze-Fauteuils von Diego Giacometti, die einst Coco Chanel gehörten. Das erfolgreichste Design-Los bei Phillips war ein Brick-Paravent aus dem Jahr 1925 von Eileen Gray, für den im Frühjahr in London knapp 1,5 Millionen Pfund bewilligt wurden, gefolgt von einem Gondeldiwan von Marcel Coard (974.500 Pfund) und einem Polarbär-Sofa von Jean Royère aus den Fünfzigerjahren (754 000 Dollar). Artcurial in Paris fuhr diesmal mit Autos den Umsatz ein: 32,1 Millionen Euro für einen Ferrari; im Designsektor betont Pressesprecher Jean-Baptiste Duquesne gegenüber der SZ den neuen Rekorderlös für eine Vase von René Lalique: 282 000 Euro.

Die Tendenz zu hohen Preisen für filigrane Objekten bestätigt der Münchner Designspezialist Quittenbaum. Erstmals lag dort der höchste Einzelzuschlag eines Jahres im Bereich Schmuck, ein emaillierter Goldanhänger, von Lalique, brachte 65 000 Euro, sagt Geschäftsführer Askan Quittenbaum. "Viele gute Resultate hatten wir mit deutschem Design. Angefangen mit zwei Peitschenhieb-Geschirrsätzen von Henry van de Velde - einen 54-teiligen im Mai für 180 000 Euro und einen 28-teiligen für 120 000 Euro im November. Weiter mit einem Lattenstuhl Marcel Breuers für 34 000 Euro und einer Teekanne Theodor Boglers für 27 000 Euro."

Das internationale Designauktionsjahr 2016 war, was die weltweiten Höchstpreise anlangt, nach mehrjähriger Hausse von einer leichten Abschwächung geprägt, es folgt damit dem Trend des Gesamtkunstmarkts. Was das heißt? Man kriegt jetzt mehr schöne Dinge für weniger Geld.

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SZ vom 07.01.2017
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