Kunstmarkt:Künstlerselbsthilfe

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Das "Berlin Program for Artists" (BPA) vermittelt jungen Künstlern den Kontakt zur etablierten Generation. Das funktioniert erstaunlich gut, auch weil selbst in Berlin bezahlbare Räume knapp werden.

Von Catrin Lorch

Der Schaum gibt nur langsam das Tier frei - mal sieht man den Kopf, dann ein Stück vom Rumpf. Was zunächst wirkt wie eine digitale Animation, setzt sich langsam zu einer Szene zusammen: Der kurze Film "Tourneur" von Yalda Afsah zeigt eine Stierkampfszene in einer Corrida, in deren Mitte - vor einer Schaumkanone - ein Wasserbecken aufgebaut ist. Statt eines Matadors versuchen ein paar Jugendliche, das verstörte Tier zu provozieren. Manchmal planschen sie alle auch durchs Wasser. Das Video ist derzeit in einer Berliner Gruppenausstellung von insgesamt neun jungen Künstlern zu sehen, die sich über die drei Off-Spaces "Italic", "Beach Office" und "Fragile" verteilt, die alle in der Leipziger Straße fast direkt nebeneinander liegen.

Im Untergeschoss des "Italic" ist "Tourneur" in einen begehbaren Tresor eingepasst. Dass in diesen Tagen viele hundert Besucher das Werk sehen, war nicht unbedingt zu erwarten. Für junge Künstler wie Yalda Afsah, die zudem mit dem aufwendigen Medium Film arbeitet, ist es auch in Berlin nicht mehr einfach, Ausstellungsmöglichkeiten aufzutun: Die Zeit der unzähligen Off-Spaces und jungen Galerien ist vorbei, auch weil inzwischen jedes leer stehende Ladengeschäft vergeben ist und die Mieten steigen. Das Resultat: Es fehlt, ausgerechnet in der Künstlerstadt Berlin, in der sich die Kunstszene schon längst in viele Szenen aufgespalten hat, am Austausch. Die Gruppenschau wird nun vom "Berlin Program for Artists" (BPA) ausgerichtet, einer Initiativen mit Modellcharakter. Weil Künstler sich damit zur Selbsthilfe entschlossen haben.

In Brüssel, Amsterdam und New York gibt es schon lange Programme für den Nachwuchs

"Als ich nach meinem Studium am Frankfurter Städel nach Berlin gezogen bin, kannte ich zwar viele Menschen, die mir geholfen haben, mich einzuleben", erinnert sich der aus Neuseeland stammende Künstler Simon Denny, "aber viele hängen auch in ihrer Community fest". Während es an Orten wie Brüssel, Amsterdam oder New York viele Programme gibt, um den Nachwuchs gezielt in der Szene zu etablieren, gab es in Berlin bislang einzig den "Goldrausch", eine öffentlich geförderte Initiative, die Künstlerinnen bei der Selbstvermarktung unterstützte. Junge Berliner Künstler haben so eher bei Auslandsaufenthalten in Los Angeles, London oder Amsterdam die Möglichkeit, sich zu vernetzen, Ressourcen zu teilen oder zusammen zu arbeiten, als an ihrem Heimatort.

Das Bild mit der Stierkampfszene stammt aus dem Video „Tourneur“ (2018) von Yalda Afsah. (Foto: Yalda Afsah)

Aus diesem Defizit entstand vor vier Jahren das BPA. Und zwar nicht auf Weisung der Kulturbehörden: Simon Denny, sein ehemaliger Professor, der Niederländer Willem de Rooij, und die Britin Angela Bulloch - alle selbst Lehrende an deutschen Akademien - wollten etwas für die Generation derer tun, die als Akademie-Absolventen nach Berlin kommen. "Wir wollten keine Räume eröffnen oder aufwendige Infrastrukturen schaffen", sagt Simon Denny. "Geld hatten wir auch keins. Also haben wir unsere Freunde angerufen und um Hilfe gebeten."

Im Mittelpunkt des Programms sollte einzig der direkte Austausch bei sogenannten "studio-visits" stehen: Um die zehn Stipendiaten wurden pro Jahrgang ausgewählt und erhielten in ihren Ateliers regelmäßig Besuch von etablierteren Künstlern, darunter so bekannte Namen wie Wolfgang Tillmans und Olaf Nicolai. Die halfen bei der Arbeit, bei Bewerbungen oder als kritische Betrachter und luden die Stipendiaten umgekehrt auch zu sich ins Studio ein. Gewollt war ein Austausch auf Augenhöhe. Und im Unterschied zur Situation an der Akademie, bei der sich ein Professor um bis zu dreißig Studenten kümmert, ging es bei den Besuchen nicht um eine Bewertung der Arbeit, sondern nur um die unmittelbaren Bedürfnisse der Jüngeren, sei es die Vorbereitung einer Ausstellung, technische Schwierigkeiten oder die Bewerbung für ein Stipendium.

Manche der Mentoren haben nicht einmal ein Studio, andere Büros mit zwanzig Mitarbeitern

"Ich habe viel Kontakt mit Studenten aus meinem Jahrgang", sagt Yalda Afsah, die zum vierten Jahrgang des Mentorenprogramms gehörte und im Jahr 2014, nach einem Austauschprogramm in Kalifornien, als Meisterschülerin ihre Ausbildung an der Universität der Künste in Berlin abgeschlossen hatte. Weil sie mit zwei Kindern an vielen Gast- oder Förderprogrammen wie der Villa Aurora nicht teilnehmen kann, bindet sie das zusätzlich an Berlin an. Als Filmemacherin ist es zudem nicht einfach, sich in der Kunstszene einzufügen und sich die Stadt mit ihren Ressourcen zu erschließen. "Es war wichtig zu erleben, wie das Leben und Arbeiten als etablierter Künstler funktioniert. Und wir haben ganz verschiedene Modelle erlebt: manche unserer Mentoren hatten nicht einmal ein Studio, andere unterhielten Büros mit zwanzig Mitarbeitern."

Die Künstler Willem de Rooij, Angela Bulloch und Simon Denny haben das BPA-Programm gegründet. (Foto: Piero Chiussi/PR)

Auf der Website von BPA sind insgesamt mehr als dreißig Stipendiaten aus den zurückliegenden Jahrgängen verzeichnet und die Namen von mehr als zwei Dutzend Mentoren, darunter auch Monika Baer, Bouchra Khalili, Michaela Melian, Slavs and Tars oder Monica Bonvicini.

Insgesamt haben sich bis heute mehr als 400 Interessenten um einen Platz im BAP-Programm beworben. Doch ob das so erfolgreiche Programm fortgesetzt wird, ist derzeit fraglich. Eine Förderung der Bundeskulturstiftung läuft in diesem Jahr aus. Initiator Simon Denny war übrigens überrascht, wie fruchtbar der organisierte Austausch auch für die Etablierten verlief. "Natürlich kennt und trifft man viele Künstler. Aber eben nie an ihrem Arbeitsplatz, wir sprechen selten wirklich über Produktionsbedingungen. Und die Rückmeldungen gehen bei Vernissagen auch meist nicht über kurze Kommentare wie ,schöne Arbeit' hinaus."

Die Ausstellung des aktuellen Jahrgangs läuft noch bis zum 11. März. www.berlinprogramforartists.org

© SZ vom 02.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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