Süddeutsche Zeitung

Kunstmarkt:Für das Schlimmste gewappnet sein

Victor Khureya, Chef der Logistikfirma Gander & White, über mögliche Folgen eines ungeregelten Brexit für den Kunsthandel.

Interview von Alexander Menden

Nach der Vertagung des Brexit Ende März soll Großbritannien nun am 31. Oktober aus der EU austreten. Welche Folgen das für den Kunstmarkt haben wird, ist noch unklar. Doch Logistikunternehmen wie Gander & White bereiten sich schon länger auf die möglichen Folgen eines ungeregelten Brexit vor. 1933 in London gegründet, ist Gander & White mit Standorten in Großbritannien, den USA und auf dem europäischen Festland einer der Weltmarktführer für Versand, Lagerung und Installation von Kunstwerken für öffentliche und gewerbliche Galerien, Museen, Auktionshäuser und Privatkunden sowie Messen wie die Frieze und die Masterpiece. Victor Khureya, Geschäftsführender Direktor der Firma, hält es angesichts der Brexit-Unsicherheit für klug, "mit dem Schlimmsten zu rechnen".

"Harte Grenzen, neue Zollschranken, große logistische Verzögerungen"

SZ: Der Brexit ist noch nicht vollzogen - wirkt er sich trotzdem schon auf ihre Branche aus?

Victor Khureya: Wenn Sie sich die Wirtschaft insgesamt ansehen, hat sich die anhaltende Unsicherheit bereits überall ausgewirkt. Manche multinationalen Firmen haben ihren Schwerpunkt aus Großbritannien wegverlagert - auch wenn sie oft sagen, dass der Brexit nicht der Grund, sondern diese Veränderung bereits geplant gewesen sei. In jedem Fall hat sich diese Unsicherheit aber direkt auf Entscheidungen unserer wohlhabenden Privatkunden ausgewirkt. Sie zögern bei Projekten, die vor dem EU-Referendum kein Problem gewesen wären.

Zum Beispiel?

Diese Kunden haben mehrere Häuser auf den britischen Inseln und auf dem europäischen Festland. Die Freizügigkeit für Waren macht es bisher sehr leicht, Kunstwerke zwischen diesen Standorten hin- und herzutransportieren. Aber jetzt warten viele von ihnen ab, weil sie erst sehen wollen, wie viel zusätzliche administrative Arbeit nach dem Brexit für solche Transporte nötig sein wird. Ist ein Werk erst mal in Großbritannien, wird es eventuell nach dem 31. Oktober sehr viel aufwendiger, es über den Kanal zu verschiffen.

Was raten Sie den Kunden in solch einer Situation?

Wir sagen ihnen: Wenn Sie sich jetzt schon sicher sind, dass Sie diese oder jene Sammlung an einem bestimmten Ort haben wollen, sei es im Vereinigten Königreich oder in der EU, dann bringen Sie sie jetzt dorthin, um Probleme zu vermeiden. Wir selbst als Transportfirma bereiten uns auf das schlimmstmögliche Szenario vor.

Wie sähe das aus?

Harte Grenzen, neue Zollschranken, große logistische Verzögerungen, höhere Kosten. Der komplette Mangel an Information und Klarheit darüber, was tatsächlich nach dem Brexit geschähe - vor allem nach einem Ausstieg ohne Abkommen -, hat die Planung extrem schwierig gemacht. Daher muss man auf das Beste hoffen, aber für das Schlimmste gewappnet sein.

Spricht man mit dem Management großer Kunstmessen wie der Masterpiece, hört man oft: "Der Kunstmarkt ist flexibel, wir sind Zölle und Papierkram gewohnt." Zweckoptimismus?

Das stimmt zwar, was den interkontinentalen Markt angeht, aber gerade für Messen wie die Masterpiece, für die wir auch arbeiten, wird alles deutlich komplizierter. Jeder Händler, der seine Waren nach dem Brexit aus der EU zu einer solchen Messe bringt, muss Zeit und Kautionskosten einer Zollabfertigung für temporäre Importe einberechnen, die bisher überhaupt kein Faktor waren. Noch schwieriger ist es für kleinere Händler. Viele von ihnen fahren mit dem eigenen Auto aufs Festland, kaufen dort ein paar Stücke, verbinden das vielleicht sogar mit einem Familienurlaub, und bringen alles zoll- und kontrollfrei nach London zurück. Das geht nach dem Brexit nicht mehr. Sie müssen möglicherweise eine Firma wie Gander & White einschalten, um durch den kontinentalen Zoll und den britischen Zoll zu kommen.

Das wäre doch gut für Sie, weil es Ihnen mehr Aufträge bringt.

Möglicherweise, aber man darf nicht vergessen, dass Kostenminimierung gerade für kleinere Händler ein Faktor ist, der über ihr wirtschaftliches Überleben entscheidet. Meine Befürchtung ist daher, dass stattdessen der Handel insgesamt einfach schrumpfen wird, weil sich der Aufwand nicht lohnt. Solche Händler müssten sehr kreative Lösungen finden, oder vielleicht nur einmal im Jahr zu einem Großeinkauf nach Europa hinüberfahren.

"Die Freizügigkeit von Waren macht London bisher ja gerade so attraktiv."

Wie wird der Brexit sich auf die Attraktivität Londons als einer der wichtigsten Handelsplätze für Kunst auswirken?

Das ist noch schwer einzuschätzen. Klar ist, dass auch die großen Auktionshäuser mit verstärkten Zollkontrollen rechnen müssen, wenn sie Waren aus Kontinentaleuropa zu ihren Auktionen nach London bringen. Das ist zwar bei Auktionen in New York oder Hongkong auch der Fall, aber die Freizügigkeit für Waren macht London bisher ja gerade so attraktiv.

Wird der Brexit es Museen erschweren, große internationale Ausstellungen zu organisieren?

Schon allein durch die steigenden Kosten könnte sich die Anzahl bedeutender Ausstellungen mit Leihgaben aus Großbritannien auf dem Kontinent und umgekehrt durchaus verringern.

Es gibt Menschen auf beiden Seiten des Kanals, die noch immer hoffen, dass es nicht zum Brexit kommt. Was glauben Sie?

Es wird auf jeden Fall einen Brexit geben. Ob nach der Wahl des neuen Premierministers klarer ist, welche Art von Brexit das sein wird, weiß ich leider auch nicht.

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Quelle:
SZ vom 13.07.2019
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