Kunstmarkt:Die Kulturmaschine

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Ole Scheerens Guardian Art Center in Peking ist Museum, Auktionshaus und Hotel in einem. Doch die Ära, aus der die Idee stammt, ist vorbei.

Von Kai Strittmatter

Das Gesicht Pekings verändert zu haben, das können außerhalb der Kommunistischen Partei Chinas nicht allzu viele Leute von sich behaupten. Jacques Herzog und Pierre de Meuron gehören dazu, die beiden Schweizer Architekten, mit ihrem Stahlgeflecht, das sie 2008 als Nationalstadion in den Norden der Stadt stellten. Und mehr noch der deutsche Architekt Ole Scheeren mit seinem CCTV-Turm, den er zur gleichen Zeit für das OMA-Büro von Rem Koolhaas entworfen hatte, und der damals in die Stadt einschlug wie ein im Flug gefrorener Blitz.

Es waren Bauwerke, vor denen man mit offenem Mund stand. Ein Zufall war es nicht, dass China sich diese neuen Wahrzeichen seiner Hauptstadt zu den Olympischen Spielen 2008 schenkte. Es war ein Signal damals: China tritt in die Welt, nun schaut und staunt!

"Das CCTV-Gebäude ist die physische Manifestation dieses Moments", sagt Scheeren bei einem Gespräch in seinem Pekinger Büro: "Es ging damals um die Zukunft. Um Chinas Zukunft." Scheeren berichtet von der Euphorie damals, von Zuversicht und Aufbruchstimmung, vom Willen vor allem der jungen Chinesen, etwas zu verändern. Als Architekt hat Scheeren sich immer auch als Geschichtenerzähler gesehen. Grundgedanke bei dem 2012 eröffneten CCTV-Turm, erzählte er einmal in einem Interview, sei "die Auflösung der Hierarchien" gewesen: "sowohl architektonisch-formal als auch inhaltlich".

Tatsächlich gelang ihm das Kunststück, diesem nach dem Pentagon damals zweitgrößten Bürogebäude der Welt und Arbeitsplatz von 14 000 Menschen, eine unwahrscheinliche Leichtigkeit und auch einen Witz zu verleihen. Ein Koloss ist das, der Peking nicht bedrohlich überragt, sondern der so wirkt, als strecke er dieser in weiten Teilen unsagbar trostlos angelegten Stadt manchmal die Zunge heraus.

Jetzt, sechs Jahre später, ist Scheeren mit einem neuen Bau in der Stadt, dem gerade fertiggestellten Guardian Art Center. Chinas ältestes Auktionshaus ist das und längst international aktiv. Der Eigentümer, Chen Dongsheng, ist mittlerweile größter Anteilseigner an Sotheby's.

Der Eingang zum Guardian Art Center. Es ist nach dem CCTV-Tower der zweite Bau von Scheeren in Peking. (Foto: Ole Scheeren © Buro-OS)

Anders als beim CCTV-Tower, der inmitten der glitzernden Türme im Finanzdistrikt von Pekings Osten steht, durfte Scheeren diesmal mitten im Herzen der einstigen Kaiserstadt bauen, nur eine Viertelstunde zu Fuß zur Verbotenen Stadt, direkt am oberen Ende der Wangfujing, der altehrwürdigen Einkaufsstraße, vor ein paar Jahrzehnten schon böse geschändet von einer unheiligen Allianz aus Hongkonger Immobilienhaien und Pekinger Städtebausündern.

Schräg gegenüber, in Sichtweite, liegt das Nationale Kunstmuseum, ein Bau von 1963, wo die staatliche Kulturbürokratie die Mittelmäßigkeit verwaltet. Ein Ort ist das, der ein Gebäude dringend nötig hatte, das mehr ist als nur Regenschutz für Kommerz und Profittreiben oder Symbol der Staatsmacht. Und ein paar Hundert Meter südlich beginnen die Hutongs, Pekings alte Gassen, einer der wenigen Flecken, wo die Stadt sich noch menschliche Proportionen bewahrt hat.

Vieles musste Scheeren unter ein Dach bringen: Ein Auktionshaus soll der Bau sein und ein Museum dazu, "eine große Kulturmaschine". Büros, Werkstätten, Veranstaltungssäle und ein Lager, "in dem Kunst von größerem Wert lagert als der ganze Bau gekostet hat". Ebenfalls dabei sind ein Club, Restaurants und ein Boutiquehotel, von dem aus man auf den Kohlehügel blicken kann, wo sich einst der letzte Ming-Kaiser erhängte.

"Es sollte kein imperialer Bau sein", sagt Scheeren. "Wir haben mit Understatement gearbeitet."

Der Bauherr ist ein privates Unternehmen, doch soll der Bau auch urbaner Raum sein, der Öffentlichkeit zugänglich: Einen öffentlichen Platz wird es draußen geben, die Galerien drin sind für Besucher geöffnet. Das Auktionshaus ist ein mächtiger Bau, erdverbundener als der CCTV-Turm (die Hälfte der Räume liegen unter der Erde), und doch nicht ohne Leichtigkeit. "Es sollte kein imperialer Bau sein", sagt Scheeren, "Textur und Materialien sollten anknüpfen ans Volk, an die Geschäfts- und intellektuelle Elite. Wir haben mit Understatement gearbeitet."

Die Fassade aus Glasfenstern im oberen Teil nimmt die Ziegelstruktur der Hutong-Mauern auf und lässt sie schweben über dem Sockel, der aus kleinteiligen Kuben besteht. Massive Basaltblöcke eigentlich, die aber vor allem abends und nachts etwas Filigranes bekommen, wenn von innen das Licht die großflächige Perforation in den Kuben sichtbar macht. Scheeren ließ hier als Abstraktion die Umrisse eines berühmten Landschaftsbildes in die Mauern stanzen: "Leben in den Fuchun-Bergen" von Huang Gongwang aus dem 14. Jahrhundert. Eine Hügellandschaft, die überfließt in die Stadt.

Einer der Auktionssäle im Guardian Art Center. (Foto: Ole Scheeren © Buro-OS)

Wichtig sei ihm gewesen, sagt Scheeren, das Spannungsverhältnis zwischen Geschichte und Gegenwart zu reflektieren, "und vielleicht aufzulösen in meinem Gebäude". Bezug nehmen auf das Alte und trotzdem zeitgenössisch bleiben. Wie man sich das für so eine Stadt im Idealfall auch im Allgemeinen wünscht.

Scheeren ist Optimist. Irgendwann werde es in China auch wieder nach vorne gehen

Nur ist Peking eine Stadt, die den Bürgern deren Bedürfnisse immer wieder um die Ohren knallt. Ein politischer Ort, den die Macht immer wieder neu zu formen beliebt. Den idyllischen Hutongs südlich vom neuen Auktionshaus hat die Stadtregierung gerade im letzten Sommer das Leben ausgetrieben, Läden und Restaurants wurden über Nacht zugemauert. Weil Peking "sauber" und "ordentlich" werden soll, weil die Partei alles organisch Gewachsene misstrauisch beäugt und weil sie die Auswärtigen vertreiben will aus der Stadt.

Mit dem Geschichtenerzählen ist das so eine Sache hier. Wenn es Scheerens Idee war, dass sein Wunderturm drüben im Osten die "Auflösung der Hierarchien" befördern sollte, dann streckt der Turm längst auch seinem Schöpfer die Zunge raus. Der Bau ist Sitz von CCTV, das ist das staatliche Fernsehen und heute mehr denn je "Kehle und Zunge" der Partei: willige Propagandawaffe des außerhalb Nordkoreas hierarchischsten Politapparats der Erde. Ein Apparat, der China gerade wieder abschottet.

Vom Hunger auf die Welt, der vor ein paar Jahren noch herrschte, ist heute zumindest bei denen, die das Sagen haben, nicht mehr viel zu spüren. Und die einstige Aufbruchstimmung in der Gesellschaft macht im Moment gerade großer Niedergeschlagenheit Platz bei vielen von denen, an die sich Scheerens neuer Bau richtet. Scheeren sagt, er sei Optimist. Chinas Entwicklung verlaufe in Zyklen, und wenn das Land im Moment Rückschritte erlebe, dann heiße das nicht, dass es nicht auch irgendwann wieder nach vorne gehe. "Wenn ich als Architekt nicht optimistisch wäre, dann könnte ich nicht arbeiten, dann könnte ich nicht für die Zukunft bauen."

Einer der ersten Künstler, der nach der Eröffnung im Januar in dem neuen Bau ausstellen durfte, war der Pekinger Xu Bing mit seiner Installation "Geister schlagen die Mauer" von 1990: große Tusche-Abreibungen von den Steinen der Großen Mauer bei Peking. Befragt nach der Idee hinter den Drucken sagte Xu Bing vor Jahren einmal, die Große Mauer stehe für "ein konservatives und wirklich abgeschottetes Denken, das die Isolierung der chinesischen Politik symbolisiert." Die Mauer wird gerade wieder ein Stück höher. Aber dahinter geht das Ringen weiter.

© SZ vom 24.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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