Kunstmarkt-Boom:Ganz oben

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Warum machen sich die Stars der zeitgenössischen Kunst nichts aus Museen? Weil dort niemand die Preise ihrer Werke erfährt, schreibt Wolfgang Ullrich in "Siegerkunst".

Interview von Kito Nedo

Wolfgang Ullrich beschreibt in seinem neuen Essay-Band "Siegerkunst. Neuer Adel, teure Lust" (Wagenbach, Berlin, 16,90 Euro) das neue Starsystem im Blue-Chip-Segment der zeitgenössischen Kunst. Wir sprachen mit ihm über seine Thesen.

SZ: Bislang galt das Museum als idealer Ort für die Kunst. Hat sich das geändert?

Wolfgang Ullrich: Offenbar, zumindest für einige Künstler wie etwa Georg Baselitz, der im letzten Sommer aus Protest gegen den Entwurf des neuen Kulturgutschutzgesetzes seine Leihgaben aus verschiedenen deutschen Museen abzog. Für diese Künstler scheint der Ort, an dem sich ihr Erfolg manifestiert, der Kunstmarkt zu sein. Dieser Erfolg zeigt sich in Form möglichst hoher Preise. Insofern ist das Museum inzwischen eine in ihrer alten Identität gefährdete Institution. Die Grundidee des Museums, dass man Kunst auch unabhängig vom Besitz rezipieren kann, hat Schaden genommen.

Sie lancieren einen neuen Begriff: "Siegerkunst". Was meinen Sie damit?

Diesen Begriff sehe ich in einer historischen Entwicklung. Es gibt Hofkunst. Es gibt Ausstellungskunst. Und es gibt ein Segment im heutigen Kunstgeschehen, das ich Siegerkunst nenne. Siegerkunst ist Kunst von Künstlern, die aufgrund ihrer ökonomischen Macht nicht mehr am Rand der Gesellschaft stehen, sondern aus ihrer Mitte heraus agieren. Das ist eben nicht mehr der "arme Poet" oder das "verkannte Genie", die wir so lange gerne gemocht haben. Siegerkünstler wie Damien Hirst, Jeff Koons oder Takashi Murakami sind Teil eines Starsystems, wie Schauspieler, Sänger oder Spitzensportler.

Wer kauft Siegerkunst?

Siegerkunst wird von Menschen gekauft, die man ihrerseits als Sieger der Gesellschaft bezeichnen kann. Sie sind reich, erfolgsverwöhnt und haben Spaß daran, ihren Erfolg zu zelebrieren. Sie lieben Formen von Kunst, in denen sich ihre Siegermentalität spiegelt. Da gibt es eine gewisse Affinität. Siegerkünstler und die, die ihre Werke kaufen, gehören derselben Elite an.

War Kunstbesitz nicht immer etwas für die Reichen und Mächtigen?

Der Großsammler François Pinault und der chinesische Starkünstler Zeng Fanzhi 2013 in Pinaults Privatmuseum Punta della Dogana in Venedig. (Foto: imago/United Archives International)

Tatsächlich existiert diese Affinität der Bildenden Kunst zum Exklusiven seit langem. Die Frage war: Wer bekommt sie, wer kann sie halten? Dieses Prinzip war in der Moderne etwas suspendiert, gerade auch durch Institutionen wie das Museum, wo Kunst und Besitz voneinander entkoppelt wurden. In gewisser Weise kehren wir jetzt zu einer Normalität zurück. Vielleicht unterscheidet sich die Siegerkunst auch gar nicht so sehr von der alten Hofkunst. Was die Siegerkunst allerdings noch glamouröser macht: Diese Kunst zehrt und profitiert von der ideellen Substanz, die sich in den zwei letzten Jahrhunderten seit der Romantik und erst recht mit den Avantgarden angesammelt hat.

Siegerkunst hat einen Doppelcharakter?

Ja, aber vielleicht ist dieser Doppelcharakter auch nur ein Übergangsphänomen. Siegerkunst profitiert noch von den Errungenschaften der Moderne, hat aber zugleich die ökonomische Auszeichnung durch den Markt. Einerseits ist sie das Glamouröse, Teure, Spektakuläre und spielt in der Liga der größten Luxusgüter mit. Andererseits aber wird ihr nach wie vor attestiert, dass sie etwas ist, was läutern, den Alltag transzendieren kann, was spirituelle, geistige, intellektuelle Kräfte besitzt. Das unterscheidet sie von einer Yacht oder einem Edelsteincollier. Viele Siegerkünstler pflegen diese zwei Pole sehr bewusst gleichzeitig: Sie kümmern sich darum, dass ihre Werke gut auf den Markt vorbereitet werden, aber spielen mit Formelementen und Effekten, die wir noch aus der klassischen Moderne kennen.

Zum Beispiel?

Fast alle Formen von Abstraktion kehren etwa in der Siegerkunst wieder. Aber das geschieht nicht mehr mit einem Anspruch auf Weltverbesserung, Läuterung oder in Verbindung mit einem neuen Menschenbild. So etwas schwingt nur noch so mit: Weitgehend sind das strategisch eingesetzte Formen und Sujets geworden.

Inwiefern sind bei der Siegerkunst die spektakulären Preise Teil der Botschaft?

Die Werke für sich alleine würden nicht so viel Aufmerksamkeit erregen. Interessant werden sie in Verbindung mit ihrem Preis. Siegerkunst verstößt oft gegen den herrschenden "guten" Geschmack. Sie ist aus trashigen Materialien oder besitzt ein sehr banales, profanes, obszönes Sujet. Damit wird für die Öffentlichkeit umso rätselhafter, warum jemand bereit ist, dafür eine sechs- oder siebenstellige Summe auszugeben. Gerade dieses Verhältnis - oder eher: Missverhältnis - von Kunstwerk und Preis erzeugt ein Gefühl von Erhabenheit. Was uns zurück zum Baselitz-Beispiel bringt. Vielleicht treibt den heutigen Künstler auch die Sorge um, dass seine Werke im Museum ohne ihren Preise hängen. Da fehlt ihnen ein Aspekt, den sie vielleicht brauchen, um Aufmerksamkeit zu finden.

Hat das Museum also ausgedient?

Es erlebt einen Identitätswandel. Es wird mehr und mehr zu einem sozialpolitisch relevanten Ort. Wenn Sie sich anschauen, wie viele Vermittlungsprogramme und Inklusionsbemühungen stattfinden, wie oft man vom Museum erwartet, etwas für Flüchtlinge, Minderheiten oder andere zu tun, die von der Gesellschaft abgehängt sind: Da bekommt das Museum eine Therapie-, Reparatur-, Integrationsfunktion. Insofern ist das Museum vielleicht wichtiger denn je, aber in ganz anderer Weise als es in seiner Gründungsphase denkbar war.

Sie sagen, Siegerkunst ähnele Markenlabels. So könnte sie endlos weiter produziert werden?

Ich frage mich tatsächlich, ob es bei einigen dieser Künstler nicht eine neue Unsterblichkeitsfantasie gibt. Früher war man unsterblich, wenn man es ins Museum schaffte. Heute ist man es, wenn man als Künstler so sehr zur Marke geworden ist, dass diese auch nach dem Tod des Künstlers weiter bestehen kann. Im Namen dieser Marke könnten dann immer noch Werke produziert werden. In anderen Bereichen ist das Realität - siehe Walt Disney oder Versace. Warum sollte es nicht auch im 23. Jahrhundert noch neue Murakami- oder Damien-Hirst-Werke geben? Das wäre nur die Konsequenz aus der gegenwärtigen Entwicklung: Künstler agieren heute oft arbeitsteilig und fungieren vor allem als Repräsentanten ihrer Marke. Sie treffen die ersten und die letzten Entscheidungen und übernehmen die Verantwortung. Aber das wäre grundsätzlich auch etwas, was jemand machen könnte, der nicht mehr den Namen trägt.

© SZ vom 09.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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