Das neue Kunsthaus Zürich:Neubau mit Altlast

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Mehr Stadtmarketing als Aufarbeitung: Das Kunsthaus Zürich und die Sammlung des Waffenhändlers Emil Bührle.

Von Laura Weißmüller

Das ist er also, der Raum, der in "großer Ausführlichkeit und Klarheit" die Geschichte der Sammlung Bührle darstellen soll. Es ist ein heller Raum im zweiten Obergeschoss des neuen Kunsthauses. Die hohen schlanken Fenster gehen raus auf den sogenannten Garten der Kunst mit Blick auf grüne Bäume und die Alte Kantonsschule dahinter. Die Holzböden aus massiver Eiche geben dem Ort eine gewisse Wärme, trotz der Decke aus grauem Sichtbeton. Nur groß, groß ist der Raum nicht. Gerade wenn man ihn mit der zentralen Halle vergleicht, die man passieren muss, um hier hoch zu kommen. Die Ausmaße des lichten Foyers mit dem Ticketschalter, der goldfarbenen Holzverkleidung und dem marmornen Treppenaufgang sind tatsächlich so gewaltig, dass sich so mancher Zürcher erst daran gewöhnen werden muss. Gibt es doch wohl keinen vergleichbaren, mit Raumhöhe derart großzügig umgehenden Ort in der Altstadt, wo sich ansonsten die mittelalterlichen Häuser dicht an dicht in den verwinkelten Gassen drängen.

Doch das ist nicht das größte Problem mit der "Dokumentation zur Sammlung Emil Bührle". Es ist die Perspektive, die in der Aufarbeitung dieser Sammlung von dem Kunsthaus Zürich eingenommen wird, einer Sammlung, die - das kann man unstrittig bestätigen - jeden an Kunst halbwegs interessierten Menschen in die Knie gehen lässt. Nicht nur, weil all die Künstler des Impressionismus und der frühen Moderne vertreten sind, die mit ihren Werken Kunstgeschichte geschrieben haben, Édouard Manet und Claude Monet genauso wie Paul Cézanne, Pierre-Auguste Renoir und Edgar Degas, genauso wie Vincent van Gogh, Paul Gauguin und Pablo Picasso. Sondern weil auch die Gemälde selbst Meisterwerke sind: Cézannes "Knabe mit der roten Weste", Manets "junge Frau im orientalischen Gewand", van Goghs "Sämann bei untergehender Sonne", Courbet, Ingres, Pissarro - man kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus, was man hier in den gediegenen Oberlichtsälen mit ihrer Goldfassung - sowohl die Durchgänge als auch ein türhoher "räumlicher Horizont" in den Räumen sind goldfarben gehalten - auf 1000 Quadratmetern zu sehen bekommt.

Augenblicklich versteht man, warum das Kunsthaus Zürich, das selbst eher eine disparate Kunstsammlung besitzt, diese Sammlung von 203 Werken, die Sammlung Emil Bührles, des einst reichsten Schweizers und wohl größten Waffenhändlers seiner Zeit, ausstellen wollte.

Warum das Museum aber so unbeirrt und stoisch an diesem Wunsch festgehalten hat und beim Vollzug kaum auf die berechtigte Kritik an der Aufarbeitung der Sammlung, die das Projekt des Erweiterungsbaus ja fast von Anfang an, also seit knapp 20 Jahren begleitet, eingegangen ist, das versteht man wirklich nicht.

Denn die "große Ausführlichkeit und Klarheit", die der Kunsthaus-Direktor Christoph Becker im Gespräch über die Sammlung Bührle in der Dokumentation verspricht, die kann man auch mit gutem Willen nicht finden. Geschweige denn woanders: Im Eingangsbereich zur Sammlungspräsentation ist eine maximal entschlackte Darstellung der Biografie und Sammlungsgeschichte von Emil Bührle abgedruckt, wo seine Mitgliedschaft im paramilitärischen Freikorps Roeder genauso fehlt wie sein Profitieren vom Rüstungshunger Nazi-Deutschlands und von dem schrecklichen Leid der jüdischen Sammler, das den Kunsthandel während des Krieges so florieren ließ. In den zahlreichen Werbebroschüren, die das Kunsthaus und die Stadt Zürich im Vorfeld zur Eröffnung drucken ließen, wird die Sammlung Bührle nur noch als Mittel zum Stadtmarketing erhoben, ja reingewaschen. Darin heißt es etwa: "Damit wird Zürich neben Paris die bedeutendste Kollektion des französischen Impressionismus und Postimpressionismus auf dem Kontinent bieten - ein Quantensprung für den Kulturplatz Zürich und die Schweiz."

Bührles Einkommen stieg während des Zweiten Weltkriegs sprunghaft an und ebnete ihm den Weg in die Kunstszene

Und die Dokumentation im neuen Kunsthaus selbst? Sie will dabei helfen, "ein differenziertes Bild von Bührles Zielen und Strategien als Sammler und Unternehmer zu gewinnen". Die Strategien als Unternehmer sind nicht wirklich schwer zu verstehen. Der gebürtige Deutsche baute die Werkzeugmaschinenfabrik in Oerlikon bei Zürich, deren Eigentümer er ab 1937 wurde, zum international agierenden Rüstungskonzern aus und verkaufte dann an alle, die Krieg führen wollten: an Nazi-Deutschland genauso wie an die Alliierten, an Spanien, Japan und China. Später auch an die USA, Ägypten, Indien. Bührles Einkommen im Zweiten Weltkrieg wuchs sprunghaft an, von 50.000 auf 15 Millionen Franken im Jahr. Mit diesem Geld konnte er sich in die Zürcher Kunstgesellschaft einkaufen, die der Trägerverein des Kunsthauses ist, dessen Mitglied der Waffenhändler bereits 1927 wurde.

Bührle ist ja nicht erst seit dem neuen Kunsthaus und seiner Sammlung darin im Haus so präsent. 1941 versprach er zwei Millionen Franken für eine bauliche Erweiterung zum eng gewordenen Moser-Bau, die nach einem Architekturwettbewerb - mitten im Krieg - zum Ausstellungsflügel der Gebrüder Pfister führen sollte und dessen Eröffnung 1958 ein gesellschaftliches Großereignis in Zürich gewesen sein soll. 1943 waren zum ersten Mal Werke aus der Sammlung Emil Bührle im Kunsthaus zu sehen. Immer wieder unterstützte der Waffenhändler mit privatem Geld Kunstankäufe, auch Rodins monumentales "Höllentor", das seit 1947 an der Außenwand des Moser-Baus steht, finanzierte er. Bührles Büste befindet sich denn auch nach wie vor gut sichtbar im Moser-Bau. Direktor Becker erklärt dazu: "Das Kunsthaus hat über bald einem Jahrhundert den Kontakt mit Bührle gehabt. Man kann den nicht wegreden."

Soweit, so bekannt (und sichtbar). In der Dokumentation zur Sammlungsgeschichte stimmen auch alle Zahlen und Fakten. Was jedoch fehlt ist eine Einordnung, eine historisch-wissenschaftliche Perspektive. Zum Beispiel heißt es da: "Im September 1945 besucht der aus Paris nach New York geflohene Kunsthändler Paul Rosenberg Bührle in Zürich und konfrontiert ihn damit, dass ein Teil seiner Käufe unrechtmäßig ist." Wie wahrscheinlich ist es, dass Emil Bührle Rosenberg dafür brauchte, um das zu verstehen? Ein Mann, der derart international vernetzt war und vom Kriegsgeschehen profitiert hat? Der bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs Lizenzzahlungen von der von ihm 1934 mitbegründeten Kanonen-Firma Ikaria aus Deutschland erhielt, die nachweislich NS-Zwangsarbeiterinnen beschäftigte?

"Für uns als Architekten ist es nicht einfach, rote Linien zu ziehen", sagt David Chipperfield

Das Kunsthaus Zürich hat sich sehenden Auges angreifbar gemacht. Weil Bührles Aktivitäten im Vorfeld des Einzugs der Sammlung ins neue Kunsthaus zwar von einer Kommission aufgearbeitet wurden, die Stadt und Kanton Zürich eingesetzt haben. Diese Kommission aber ihren Bericht der privaten "Stiftung Sammlung Emil Bührle" vorgelegt hat und diese, die Hoffnung stirbt zuletzt, tatsächlich daran etwas änderte. Wonach der Historiker Erich Keller aus Protest die Kommission verließ und stattdessen seinen Ärger über die Einflussnahme in seinem Buch "Das kontaminierte Museum" rausließ. Das jüngst erschienene Taschenbuch liegt zwar jetzt brav in den Museumsshops des Kunsthauses - sogar in beiden, im alten wie im neuen - , aber freuen kann sich darüber niemand. Genauso wenig wie darüber, dass die Provenienzforschung der Sammlung vom Direktor der privaten Stiftung Emil Bührle, Lukas Gloor, übernommen wurde. Das hinterlässt einen bitteren Beigeschmack, weswegen die Historiker Thomas Buomberger und Guido Magnaguagno - beide veröffentlichten 2015 "Schwarzbuch Bührle. Raubkunst für das Kunsthaus Zürich?" - nach der Veröffentlichung im Juli diesen Jahres in der NZZ am Sonntag konstatierten, Gloors Studie färbe "durch die Auslassung ein geschöntes Bild von Bührle".

Und das neue Museum, das dem alten Moser-Bau genau gegenüber liegt und in seiner kompakten Kastenartigkeit deutlich größer ist als das verschachtelte Mutterhaus? Sollte man über den 206 Millionen Franken teuren Vorzeigebau im Sinne der Nachhaltigkeit nicht mehr schreiben? Über das viele Gold etwa, das hier zum Einsatz kam? Den unterirdischen Verbindungstrakt zum Moser-Bau, der mit seiner schier unendlichen Länge, der Sitzbank aus Carrara-Marmor und Ólafur Elíassons Marmorbrocken an der Decke, die man irrtümlich für die Beleuchtung gehalten hat, an die Nobelversion einer Bunkeranlage erinnert? Über den seltsamen Unort des Heimplatzes, auf dessen Kreuzung sich unbeeindruckt die Zürcher Luxuskarossen weiter stauen, obwohl der Platz doch jetzt sogar von drei Seiten durch Kulturbauten gerahmt ist? Oder vielleicht, warum wir seit Jahren darüber diskutieren, dass die Museen endlich ihre Schwellen abbauen müssen und möglichst die breite Gesellschaft ansprechen sollen und dann Restaurants den Eingangsbereich flankieren, die in dunkelgrünem Samt eingeschlagen sind und den Cappuccino für sechs Franken servieren, oder Shops, die goldene Öllampen für 238 Franken das Stück offerieren? Oder zumindest über die anderen zwei Privatsammlungen, die ebenfalls in den Erweiterungsbau für mindestens 20 Jahre als Dauerleihgabe eingezogen sind: die Sammlung Werner und Gabrielle Merzbacher mit Werken des Expressionismus und Fauvismus, sowie die Sammlung Hubert Looser mit amerikanischer Kunst der Nachkriegszeit.

David Chipperfield jedenfalls, der Architekt des Erweiterungsbaus, ein Profi für Museumsbauten, zeigte sich ein klein wenig irritiert, als man ihn nicht nach seiner Architektur befragte, sondern nach der roten Linie, ab wann er einen Auftrag ablehnen würde. "Natürlich habe ich Grenzen. Ich glaube jedoch nicht, dass wir, indem wir dieses Gebäude entworfen haben, dafür werben, Waffen zu verkaufen oder die Provenienz gestohlener Kunstwerke hinzunehmen. Ich bin 100 Prozent gegen beides," erklärte er und schob später hinterher: "Für uns als Architekten ist es nicht einfach, rote Linien zu ziehen. Wir sind keine Künstler." Ob er ein Problem damit habe, dass die private Sammlung des Waffenhändlers durch seinen Bau im Wert steigen werde? "Das ist nicht unsere Aufgabe. Unsere Aufgabe ist es, ein Museum zu entwerfen, das Kunstwerke zeigen wird. Die Gemälde sind unschuldig. Sie haben nichts Falsches getan. Diese Räume wurden entworfen, um Gemälde zu zeigen."

Vielleicht hätten die Räume mal lieber die Geschichte der Sammlung Emil Bührle so erzählt, dass man ihre Kunst und die Architektur darum auch würdigen kann.

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