Süddeutsche Zeitung

Kunsthandel:Multimorbid

War der Münchner Sammler Cornelius Gurlitt zurechnungsfähig, als er alles dem Kunstmuseum Bern vermachte?

Von Catrin Lorch und Jörg Häntzschel

Der Streit um das Erbe von Cornelius Gurlitt geht in die nächste Runde. Am Dienstag haben die Anwälte von Gurlitts Cousine Uta Werner beim Oberlandesgericht München eine Stellungnahme und drei neue Gutachten eingereicht. Diese kommen zu dem Schluss, dass Gurlitt nicht testierfähig war, als er im Januar 2014 sein Testament verfasste. Er hatte seine Sammlung und sein Vermögen dem Kunstmuseum Bern vermacht. Gurlitts Angehörige waren leer ausgegangen. Nach anfänglichem Zögern hat die Familie im Herbst 2014 den Streit um die Gültigkeit des Testaments begonnen, indem sie einen Erbschein beantragte. Grundlage war damals ein erstes, von der Familie in Auftrag gegebenes psychiatrisches Gutachten, laut dem Gurlitt über Jahrzehnte an paranoiden Störungen litt.

Das Gericht hatte daraufhin ein eigenes Gutachten in Auftrag gegeben. Es kam zu einem anderen Schluss: Zwar hätten eindeutig psychische Störungen vorgelegen, es lasse sich aber nicht nachweisen, dass sie die Testierfähigkeit einschränkt hätten. Daher sei das Testament gültig. Beide Seiten, das Museum Bern und Uta Werner, haben nun Stellungnahmen dazu eingereicht. Die Anwälte von Werner untermauerten diese mit weiteren drei Einschätzungen von Experten, die erhebliche Zweifel an dem Gerichtsgutachten äußern. Der bekannte forensische Psychiater Norbert Nedopil kritisiert die Vorgehensweise des Gerichtsgutachters. Bei Gurlitt habe es sich um einen "multimorbiden Mann" gehandelt, bei dem mehrere psychiatrische Krankheitsbilder diagnostiziert worden seien und etliche körperliche Erkrankungen bestanden hätten. Der Gutachter habe diese jedoch jeweils nur für sich und nicht in ihrem Zusammenwirken betrachtet.

Außerdem kritisierten die Experten, dass diverse Dokumente und Aussagen nicht berücksichtigt worden seien. So sei Gurlitt "in unkorrigierbarer Weise" von der Existenz eines Netzwerks von Nazi-Schergen in Deutschland überzeugt gewesen, die ihm seine Bildersammlung hätten stehlen wollen. Allein die Schweiz sei ihm als sicherer Ort erschienen.

Das Münchner Oberlandesgericht muss diese Stellungnahmen und Gutachten nicht berücksichtigen. Abhängig davon, ob das Gericht jetzt eine weitere Expertise einholt, können noch Wochen oder sogar Monate bis zu seiner Entscheidung vergehen.

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Quelle:
SZ vom 03.03.2016
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