Süddeutsche Zeitung

Kunsthandel:Nazi-Raubkunst: Staatsanwaltschaft durchsucht Genfer Zollfreilager

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Von Frederik Obermaier

Bei den Nachforschungen über das Gemälde "Sitzender Mann" von Amedeo Modigliani hat die Staatsanwaltschaft Räume des Genfer Zollfreilagers durchsucht. Ein Insider bestätigte am Wochenende gegenüber der Schweizer Sonntagszeitung entsprechende Berichte der Schweizer Zeitung Le Temps. Zuvor hatte ein internationales Journalistenteam, zu dem auch Reporter der Süddeutschen Zeitung zählen, neue Informationen über das Gemälde "Homme assis (appuyé sur une canne)", übersetzt "Sitzender Mann (gestützt auf einen Stock)", veröffentlicht.

Der italienische Künstler Amedeo Modigliani hat das Werk um 1918 in Paris gemalt. 1930 wurde es auf der Biennale in Venedig gezeigt. Während der Nazi-Herrschaft wurde es dem jüdischen Kunsthändler und Sammler Oscar Stettiner geraubt und kurz vor der Befreiung von Paris zwangsversteigert. Es dürfte heute einen zweistelligen Millionenbetrag wert sein.

Stettiners Enkel, der Franzose Philippe Maestracci, versucht seit Jahren, das Bild zurückzubekommen. Er hat in den USA unter anderem gegen mehrere Mitglieder der Familie Nahmad geklagt - bislang vergeblich. Die Nahmads, die Galerien in New York und London besitzen, gehören zu den Großen des Kunsthandels. Das Wirtschaftsmagazin Forbes schrieb über die Familie, sie werde zu gleichen Teilen "bewundert und gefürchtet", sie sei mächtig, habgierig und habe spitze Ellbogen. Allein von Picasso sollen die Nahmads Werke im Wert von etwa einer Milliarde Euro besitzen.

Nun stellt sich die Frage: Was wusste der Freeport über die wahren Besitzer?

Die Familie hatte sich bislang stets auf den Standpunkt gestellt, Stettiners Enkel habe die Falschen verklagt. Das Bild, das seit Jahren im Genfer Freeport lagern soll, sei im Besitz einer panamaischen Firma namens International Art Center S.A. Die Panama Papers zeigen jedoch: Das International Art Center gehört offenbar dem 68-jährigen Davide Nahmad, dem Oberhaupt des Nahmad-Clans.

Im Mittelpunkt der Schweizer Ermittlungen dürfte nun die Frage stehen, wie viel im Genfer Freeport über die wahren Hintermänner von International Art Center bekannt war. In dem Zollfreilager können Waren zoll- und steuerfrei aufbewahrt werden, solange sie den Freeport nicht verlassen. Insbesondere Kunstsammler schätzen dies. So schrieb die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte in ihrem Bericht "Kunst und Finanzen" 2014, dass ein Drittel der Kunstsammler und Kunsthändler, die sie betreuen, schon einmal einen Freeport genutzt habe.

Im Fall von Modiglianis "Sitzendem Mann" steht nun die Firma Rodolphe Haller im Mittelpunkt. Das Unternehmen ist aus einer Transportfirma entstanden und heute einer der größten Mieter des Genfer Freeports, eine Art stiller Diener der Kunstwelt. In einem der Räume von Rodolphe Haller soll auch der umstrittene Modigliani lagern. Im Rechtsstreit des Erben von Stettiner gegen die Nahmad-Familie, der seit 2011 amerikanische Gerichte beschäftigt, hatte Rodolphe Haller bestätigt, dass der Modigliani der Briefkastenfirma International Art Center gehöre. Dass dahinter offenbar Davide Nahmad steht, wurde allerdings mit keinem Wort erwähnt.

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Quelle:
SZ vom 11.04.2016
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