Bei den Nachforschungen über das Gemälde "Sitzender Mann" von Amedeo Modigliani hat die Staatsanwaltschaft Räume des Genfer Zollfreilagers durchsucht. Ein Insider bestätigte am Wochenende gegenüber der Schweizer Sonntagszeitung entsprechende Berichte der Schweizer Zeitung Le Temps. Zuvor hatte ein internationales Journalistenteam, zu dem auch Reporter der Süddeutschen Zeitung zählen, neue Informationen über das Gemälde "Homme assis (appuyé sur une canne)", übersetzt "Sitzender Mann (gestützt auf einen Stock)", veröffentlicht.
Der italienische Künstler Amedeo Modigliani hat das Werk um 1918 in Paris gemalt. 1930 wurde es auf der Biennale in Venedig gezeigt. Während der Nazi-Herrschaft wurde es dem jüdischen Kunsthändler und Sammler Oscar Stettiner geraubt und kurz vor der Befreiung von Paris zwangsversteigert. Es dürfte heute einen zweistelligen Millionenbetrag wert sein.
Stettiners Enkel, der Franzose Philippe Maestracci, versucht seit Jahren, das Bild zurückzubekommen. Er hat in den USA unter anderem gegen mehrere Mitglieder der Familie Nahmad geklagt - bislang vergeblich. Die Nahmads, die Galerien in New York und London besitzen, gehören zu den Großen des Kunsthandels. Das Wirtschaftsmagazin Forbes schrieb über die Familie, sie werde zu gleichen Teilen "bewundert und gefürchtet", sie sei mächtig, habgierig und habe spitze Ellbogen. Allein von Picasso sollen die Nahmads Werke im Wert von etwa einer Milliarde Euro besitzen.
Nun stellt sich die Frage: Was wusste der Freeport über die wahren Besitzer?
Die Familie hatte sich bislang stets auf den Standpunkt gestellt, Stettiners Enkel habe die Falschen verklagt. Das Bild, das seit Jahren im Genfer Freeport lagern soll, sei im Besitz einer panamaischen Firma namens International Art Center S.A. Die Panama Papers zeigen jedoch: Das International Art Center gehört offenbar dem 68-jährigen Davide Nahmad, dem Oberhaupt des Nahmad-Clans.
In Freeports oder Zollfreihäfen werden steuer- und zollfrei Güter gelagert, bevor sie in ein anderes Land weitertransportiert werden. Auch der Handel mit Kunst und anderen Luxusgütern nutzt gerne Freeports, wenn auch zu anderen Zwecken. Händler und Sammler lagern wertvolle Werke dort oft für Jahre und Jahrzehnte ein. Im größten und ältesten Freeport der Welt, in Genf, sollen allein 1,2 Millionen Kunstwerke und drei Millionen Flaschen Wein liegen. Entscheiden die Besitzer sich irgendwann, sie weiterzuverkaufen, können sie den Wertzuwachs einstreichen, ohne je Einfuhrzoll gezahlt zu haben. "Nur der Letzte zahlt", heißt es in der Branche - also der, der ein Werk aus dem wachsenden globalen Netz der Freeports in die echte Welt bringt. Mindestens ebenso attraktiv ist aber, dass kaum kontrolliert wird, was in den Schließfächern verschwindet und wem es gehört. Erst im Januar fand die Polizei im Genfer Freeport 45 Container mit 17 000 geplünderten römischen und etruskischen Antiken, die dort seit 15 Jahren unter dem Namen einer Offshore-Firma eingelagert waren, die einem Londoner Händler gehörte. Ein ähnlicher Fall lässt sich nun möglicherweise dank der Panama Papers aufdecken, die der SZ zugespielt wurden. Demnach lagert Amedeo Modiglianis lange gesuchtes Gemälde "Sitzender Mann", das einst dem jüdischen Sammler Oscar Stettiner geraubt wurde, seit Jahren im Freeport Genf. Jörg Häntzschel
Im Mittelpunkt der Schweizer Ermittlungen dürfte nun die Frage stehen, wie viel im Genfer Freeport über die wahren Hintermänner von International Art Center bekannt war. In dem Zollfreilager können Waren zoll- und steuerfrei aufbewahrt werden, solange sie den Freeport nicht verlassen. Insbesondere Kunstsammler schätzen dies. So schrieb die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte in ihrem Bericht "Kunst und Finanzen" 2014, dass ein Drittel der Kunstsammler und Kunsthändler, die sie betreuen, schon einmal einen Freeport genutzt habe.
Im Fall von Modiglianis "Sitzendem Mann" steht nun die Firma Rodolphe Haller im Mittelpunkt. Das Unternehmen ist aus einer Transportfirma entstanden und heute einer der größten Mieter des Genfer Freeports, eine Art stiller Diener der Kunstwelt. In einem der Räume von Rodolphe Haller soll auch der umstrittene Modigliani lagern. Im Rechtsstreit des Erben von Stettiner gegen die Nahmad-Familie, der seit 2011 amerikanische Gerichte beschäftigt, hatte Rodolphe Haller bestätigt, dass der Modigliani der Briefkastenfirma International Art Center gehöre. Dass dahinter offenbar Davide Nahmad steht, wurde allerdings mit keinem Wort erwähnt.