Süddeutsche Zeitung

Radau in und um neue "Kunsthalle Berlin":Rumms

Wann immer in Berlin eine "Kunsthalle" eröffnet wird, kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen. Jetzt macht ein Kulturmanager im Flughafen Tempelhof einen neuen Kunsthallen-Versuch.

Von Peter Richter

Am Freitagabend um kurz nach halb acht trat im Hangar 3 des ehemaligen Flughafens von Berlin-Tempelhof ein schlanker, älterer Herr zu einem Gabelstapler hin. Er trug eine sportliche, etwas kurz geschnittene Jacke, an deren unterem Rand er kurz zupfte, so als fröstelte ihn vor dem Bevorstehenden. Es handelte sich um den französischen Künstler Bernar Venet. Dann stieg er auf den Fahrersitz. Sein weißhaariger Kopf fuhr prüfend erst nach links aus der Kabine, dann nach rechts. Von hinten sah es ein bisschen aus wie ein Rentner, der seinen Opel Meriva in die Garage rangieren will. Nur stand da vorne keine Garage, sondern eine Reihung von Halbkreisen aus sorgfältig angerostetem Stahl, sehr groß, u-förmig hintereinander aufgestellt, also jeweils mit der Öffnung nach oben. Dann machte das Vehikel einen beherzten Satz nach vorn. Ein quer über die Gabelstaplergabel gelegter Stahlbalken berührte auf beiden Seiten das erste U. Dieses kippte nach hinten und fiel auf das nächste. Domino-Effekt, Riesen-Lärm.

Sollten Handyvideos davon im Netz auftauchen: Wenn das Bild plötzlich wegdreht, hatte der oder die Filmende vergessen, sich die am Eingang erhältlichen Stöpsel zu nehmen und musste sich spontan die Ohren zuhalten. Ins Ausklingen des Getöses brandete entzückter Beifall der Umstehenden. Der weißhaarige Herr hüpfte beglückt vom Bock und gab einem anderen Weißhaarigen einen "Fist Bump" - wiederum sehr beherzt. Trotz Masken war zu erkennen, dass es sich um den Kurator Walter Smerling handelte. Smerling fiel nicht um. Abermals Applaus. Und damit war die neue "Kunsthalle Berlin" eröffnet.

Verklingen in dem allgemeinen Groß-Tinnitus, den dieses Ereignis hinterlässt, nun auch die Dissonanzen, die es im Vorfeld schon gab? Das Projekt einer eigenen Kunsthalle hat in Berlin ja eine lange, durchaus konfliktbeladene Prähistorie. Erst war da eine "Berliner Kunsthalle", die als Dependance des Münchner Hauses der Kunst zur Nazi-Zeit eingerichtet wurde. Die residierte die meiste Zeit ihrer kurzen Existenz exakt dort, wo später das Amerika-Haus entstand, in dem wiederum jetzt "C/O Berlin" sitzt, seinerseits eine private Kunsthalle mit regelmäßig exzellenten Ausstellungen, die sich allerdings auf internationale Fotokunst konzentrieren, auch wenn zurzeit mit Harald Hauswald gerade einmal ein Alt- und Großmeister aus Berlin gezeigt wird - allerdings einer aus dem Osten der Stadt, und hier, in der sogenannten City West, zählt ja auch das immer noch irgendwie als Ausland.

Nur ein paar Meter weiter hatte es dann ab 1977 gegenüber der Gedächtniskirche eine "Staatliche Kunsthalle Berlin" gegeben. Die war wesentlich auf Initiative des Malers Dieter Ruckhaberle zustande gekommen, der ihr auch als Direktor vorstand. Was ortsansässige Künstlerkollegen freute, wurde von der Kunstkritik immer mal wieder moniert: das "Tätscheln" einer "Lokalszene", wie es in der FAZ einst hieß. Neutral gesagt werden kann, dass das Programm dieser "Staatlichen Kunsthalle Berlin" insgesamt stark einem linken Realismus verpflichtet war. Die Titel der Ausstellungen lesen sich durchaus engagiert, und viele hätte man heute gerne noch einmal gesehen, aber von den vielen gegenständlich arbeitenden Zeitgenossen, die dort ausgestellt wurden, ist der DDR-Maler Willi Sitte heute fast noch der namhafteste. 1994 wurde die Kunsthalle wie etliche andere Berliner Kulturinstitutionen aus wiedervereinigungsbedingten Spargründen abgewickelt.

In Berlins Kunstszene wurde die spezifische Vernetztheit des Initiators der neuen Kunsthalle als problematisch wahrgenommen

In den Berliner Nachwendejahren suchte sich die Kunst ihre Orte und Wege ohnehin lieber in den Ruinen von Mitte. Wieder gab es interessante Debatten darüber, wie stark der Fokus einer Kunsthalle hier auf der Berliner Szene liegen sollte. Die "Kunst-Werke" orientierten sich irgendwann internationaler, vor allem nordamerikanischer - und steckten dafür kaum weniger heftige Kritik ein als das "Tacheles", das fast direkt daneben eher eine Szene von Künstlern pflegte, die sogar dermaßen lokal war, dass sie mit ihrer Kunst (meist sperrige Eisenschweißskulpturen) bald schon auf der anderen Seite der Oranienburger Straße keine Rolle mehr spielte.

Der Begriff einer "Kunsthalle" tauchte dann Ende der Nullerjahre auf einmal in der ausgeweideten Ruine des Palasts der Republik, kurz vor dessen endgültigem Abriss, wieder auf. Organisiert aus der Berliner Künstlerschaft selbst war diese kurzlebige Kunsthalle vielleicht die beste, die Berlin je hatte. Im Rückblick wirkt die Balance aus Ansässigkeit und Internationalität, Diskursivität und Markterfolg fast schon unglaublich. Und unglaublich wenig, für Berliner Verhältnisse jedenfalls, wurde damals gemeckert. Eine weitere "Temporäre Kunsthalle" auf dem Schlossplatz war trotz ambitionierten Programms dann schon wieder etwas umstrittener - als beschönigende Baustellenvorbereitung für die Schlossreplik und weil sie weniger aus der Szene selbst kam. Aber danach war der Name sozusagen wieder frei.

Es fiel zunächst nur wenigen auf, dass bereits von einer neuen "Kunsthalle Berlin" die Rede war, als im ehemaligen Flughafen von Tempelhof eine bunt zusammengestellte Ausstellung namens "Diversity United" gezeigt wurde. Denn zu groß waren erst einmal die Aufregung und die Augenrollerei über diesen Titel. Und darüber, dass ausgerechnet Wladimir Putin dafür die Schirmherrschaft angetragen wurde. Außerdem darüber, dass den Beteiligten kein Ausstellungshonorar gezahlt werde. Oder darüber, wie staatstragend stolz der Initiator des Ganzen vor einem Monumentalgemälde des auf Ausstellungshonorare gewiss nicht angewiesenen Anselm Kiefer posierte - zusammen mit dem Bundespräsidenten, dem einst von Helmut Kohl als Wunderkind protegierten Unternehmer Lars Windhorst sowie Armin Laschet. Für die Jüngeren: Das war mal der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und dann tatsächlich Kanzlerkandidat der Union. Die öffentliche Wahrnehmung hat danach gewissermaßen noch Gerhard Schröder und die Scorpions in das Bild mit hineinretuschiert. Denn die Wahrnehmung war, kurz gesagt, die, dass hier eine Armada aus Veteranen der alten Bundesrepublik in das eingefallen war, was vom kulturellen Aufbruch Berlin noch stehen geblieben war, aber nicht mehr genutzt wurde.

Denn der Initiator des Ganzen war eben Walter Smerling, Gründungsdirektor einer Stiftung für Kunst und Kultur Bonn e.V., die unter anderem das Museum Küppersmühle in Duisburg betreibt, dem er ebenfalls vorsteht. Die Hangars und Hallen im ehemaligen Flughafen Tempelhof wiederum sind inzwischen so baufällig, dass immer mehr Berliner Akteure hier die damit verbundenen Auflagen und Kosten scheuen. Smerling hingegen ist für seine guten Kontakte zu Großsponsoren berühmt. Er gilt dank seiner Vernetztheit als jemand, der solche Dinge stemmen kann, und wenn sie nichts zuzahlen muss, ist Berlins Kulturpolitik schon mal glücklich. Weniger glücklich waren beträchtliche Teile von Berlins Kunstszene. Hier wurde die spezifische Vernetztheit von Walter Smerling als eher problematisch wahrgenommen und die Frage aufgeworfen, ob sie nicht gar ein wenig ins Filzige spiele.

Die Kunsthalle zeigt das Lebenswerk von Bernar Venet, einem aller Ehren werten Franzosen, der gewaltige Stahlskulpturen geschaffen hat

Das gezielte Amalgamieren von Großkünstlern, Großsponsoren, Großsammlern und Kunstgroßhändlern wirkt ganz offensichtlich weniger großartig auf Leute, die selbst künstlerisch aktiv sind, aber in zwei Jahren Pandemie immer kleinere Kreise ziehen mussten. So kursierte unter Berliner Kunstbetriebsangehörigen in den letzten Tagen ein Internet-Aufruf zum Boykott der "Kunsthalle Berlin": "Statt als Initiative betrachtet werden zu können, die im Interesse der Kunst-Community Berlins im weiteren Sinne liegt", müsse diese neue "Kunsthalle" als "zynisches, neoliberales Vehikel" bezeichnet werden, "das wesentlich dazu dient, Status und Privatvermögen derer zu steigern, die damit zu tun haben." Bei solchen Anlässen zeigt sich natürlich auch die zunehmend unversöhnlichere Spaltung der Kunstwelt in ein marktbasiertes und ein eher an kulturalistischen Fragen und öffentlichen Töpfen orientiertes Lager. Dort kursierte daher zusätzlich die Frage, welchem "alten, weißen Mann" Smerling den Teppich hier nun als Erstem ausrollen werde: Lüpertz? Baselitz? Den Liköraquarellen von Udo Lindenberg?

Am Ende fiel der angekündigte Protest allerdings aus, und gezeigt wird im Tempelhofer Flughafen nun eine Retrospektive zum Lebenswerk von Bernar Venet, einem aller Ehren werten Franzosen, der schon gewaltige, minimalistische Stahlskulpturen geschaffen hat, als die späteren Schweißer vom Tacheles noch mit Bauklötzchen spielten, der für all die Querelen um eine Berliner Kunsthalle nichts kann und hoffentlich kaum etwas davon mitbekommen hat. Das letzte Mal, dass er in der Stadt Spuren hinterlassen hat, ist jetzt auch schon eine Weile her. Das war, als Jacques Chirac Berlin zur 750-Jahr-Feier eine große Stahlkurve von Venet schenkte, die seitdem den Mittelstreifen der Schnellstraße vor der Urania ziert.

Danach hat Venet, wie man sieht, bis heute rege weitergearbeitet. Aber seine Ausstellung, auch seine rein klanglich stark an die Einstürzenden Neubauten erinnernde Gabelstapler-Performance, vermittelte trotzdem das Gefühl, einer Veranstaltung im Jubiläumsjahr 1987 beizuwohnen - nicht zuletzt deshalb, weil ein Großteil der Anwesenden damals auch schon zum Publikum gehört hätte. Allerdings standen damals in den Hangars von Tempelhof noch andere große Dinge aus Stahl, nämlich Flugzeuge. Und nach allem, was danach hier versucht wurde, muss man konstatieren, dass das vielleicht doch die glücklichste Verwendung für den Ort war.

Das wiederum führt zu einem Thema, von dem manche inzwischen schon nichts mehr hören wollen, aber es nützt ja nichts: Der neue Flughafen BER draußen vor der Stadt mag für den Flugverkehr nicht viel taugen. Aber Berliner Künstler, die dort für die obligatorische Kunst am Bau zuständig waren, sagen, als Kunsthalle funktioniere er noch am besten.

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