Kunstfreiheit:Bierbichler in Badehose

Letztes Jahr wurde eine Brecht-Inszenierung von den Erben verhindert. Knebelt das Urheberrecht das Regietheater? Darüber diskutierten jetzt Juristen und Theatermacher bei einem Akademietag in München.

Von Christine Dössel

Wenn Hermann Beil aus dem Urheberrecht vorliest, könnte man meinen, es handle sich um ein Drama mit fünfhebigen Jamben. Der altgediente Dramaturg und Wegbegleiter von Claus Peymann weiß das trockene Gesetzesdeutsch derart metrisch zu intonieren, dass es klangschön in die Ohren dringt und sogar eine gewisse Komik erzeugt.

Aber zum Lachen ist das Urheberrecht natürlich nicht. Für viele Theatermacher ist es sogar eher ein Anlass zum Weinen oder zum Ärger, weil es oft ihre Interpretationsfreiheit einschränkt und im Extremfall sogar Inszenierungen verhindert - siehe Frank Castorfs "Baal"-Version am Münchner Residenztheater, die 2015 nach einer Klage durch die Tochter von Bertolt Brecht gerichtlich abgesetzt wurde.

Der Fall hat die Diskussion um das Urheberrecht neu entfacht. Wird es heutigen Aufführungspraktiken und veränderten Kulturtechniken wie Remix, Mash-up, Sampling noch gerecht? Darum ging es nun bei einem Akademietag der Münchner Theaterakademie August Everding, unter der Überschrift "Anything goes - ist das Urheberrecht noch zeitgemäß?", veranstaltet mit dem Deutschen Bühnenverein und der Dramaturgischen Gesellschaft.

Nachdem der Bayreuther Juraprofessor Rupprecht Podszun erst mal geklärt hatte, was da geschützt wird - nämlich die geistige Leistung eines Autors, einmal als materielle Schutzleistung (Verwertungsrecht), einmal als ideelle (Persönlichkeitsrecht), stellte er dem gegenüber den Anspruch der Theatermacher auf Zugang zu dem Werk. "Die Kunst ist frei", heißt es in Artikel 5, Absatz 3 des Grundgesetzes, ein hoher Schutz auch hier. Wie weit der Schutz des einen mit dem des anderen kollidiert, das muss im Konfliktfall ausgelotet werden. Das Fazit des Juristen: "Anything goes - solange Sie sich vertragen."

In der Alltagspraxis scheint man sich tatsächlich eher zu vertragen als zu schlagen; meist einigt man sich im Voraus. Natürlich auch, weil die Theater keinen Ärger haben wollen. "In der Regel schicken sie uns frühzeitig ihre Spielfassungen", sagt Annette Reschke vom Verlag der Autoren. Weshalb sie auf die Frage "Anything goes?" antwortet: "Meistens - wenn der Urheber einverstanden ist." Oder aber er ist schon mehr als 70 Jahre tot. Lebt der Autor aber noch, darf man sein Stück nicht einfach umbauen oder Fremdtexte einfügen. Reschke kann da fuchsteufelswild werden: "Bei Änderungen muss vorher gefragt werden. Was ist so schlimm daran, zu fragen?" Der Schutz des Urhebers sei doch keine Behinderung, sondern eine Errungenschaft.

Das Regietheater ist nicht in Gefahr, wenn man den Urheber bei Textänderungen fragen muss

Das sieht Tina Lorenz anders. Die junge Theaterwissenschaftlerin und Regensburger Stadträtin der Piraten findet, durch das "enge Korsett des Urheberrechts" hätten sich Machtverhältnisse stark verschoben, und zwar zulasten der Kunstfreiheit: "Den Umgang mit einem Text bestimmt im Zweifelsfall der Verlag und nicht der interpretierende Künstler. Versuchen Sie mal ,Warten auf Godot' mit Frauen zu besetzen oder Sarah Kane zu streamen!"

Martin Kušej, der Intendant des Münchner Residenztheaters, ließ bei der abschließenden Podiumsdiskussion grundsätzlich Luft aus der Debatte, indem er mit Verweis auf seine Erfahrung als Opernregisseur sagte: "Meine Freiheit als Künstler ist durchs Urheberrecht nicht grundsätzlich gefährdet. Ich komm' damit auch klar."

Diese Gelassenheit erstaunte, stand Kušej im Fall "Baal" doch als "Angeklagter" vor Gericht und war bei einer eigenen Inszenierung auch schon mit Annette Reschke und dem Verlag der Autoren über Kreuz gekommen: Er ließ Martin Sperrs "Jagdszenen aus Niederbayern" von hinten nach vorn spielen und hat "auch sonst viel verändert", wie Reschke betont, allerdings sei es ein "schlüssiges Konzept" gewesen. Man habe sich damals auf einen "Einleger im Programmheft" geeinigt, der auf die Änderungen hinweist.

Die Bedeutung des Urheberrechts bestreitet auch Rolf Bolwin nicht. Als Direktor des Deutschen Bühnenvereins fordert er aber, es so zu organisieren, "dass künstlerische Schaffensprozesse nicht ständig gebremst werden". Warum etwa das Persönlichkeitsrecht eines etablierten Autors wie Bertolt Brecht, der seit sechzig Jahren tot ist, so viel mehr gilt als das Recht eines Regisseurs, sich mit dem Werk künstlerisch auseinanderzusetzen, ist eine gute Frage. Hier wäre schon viel gewonnen, würde man den zeitlichen Ablauf der Schutzfrist laxer behandeln: Je länger ein Autor tot ist, desto schwächer wird sein Persönlichkeitsrecht, bevor es nach siebzig Jahren erlischt. Es gibt im Urheberrecht den Paragrafen 39, wonach Änderungen "nach Treu und Glauben" zulässig sind. Hier, sagt Bolwin, könnte eine Lockerung des Rechts ansetzen: "Da kann man Kriterien entwickeln."

Noch viel gefürchteter als die Brecht-Erben sind die von Tennessee Williams. Den Amerikanern braucht man mit deutschem Regietheater gar nicht erst zu kommen - da ist alles streng reglementiert. Nacktheit zum Beispiel hat Williams in den Aufführungen seiner Stücke ausdrücklich verboten. Dass Josef Bierbichler in "Die Katze auf dem heißen Blechdach" 2007 an der Berliner Schaubühne einmal in Badehose auftrat, hat sich der Regisseur Thomas Ostermeier von den Williams-Erben extra genehmigen lassen.

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