Kunstförderung in Corona-Zeiten:Rapper, besoldet nach Bundesangestelltentarif

BESTPIX - SIDO - Live! At Drive-In Cinema During The Coronavirus Crisis

Rapper Sido bei einem Konzert in einem Autokino in Düsseldorf.

(Foto: Andreas Rentz/Getty Images)

Corona hat Live-Kunst an ein historisches Ende gebracht - nach dreitausend Jahren. Der Staat muss sich überlegen, wie und warum man Bühnenkünste wie Jazz, Rock oder Schauspielerei fördern sollte.

Von Thomas Steinfeld

Von allen Künstlern, die in diesen Tagen zu Hause sitzen und sich fragen, wann sie ihre Arbeit wieder einer Öffentlichkeit vorstellen können, trifft die erzwungene Untätigkeit die Bühnenkünstler besonders hart: Schauspieler und Musiker vor allem. Manche von ihnen sind angestellt, vor allem bei staatlichen Institutionen. Die meisten arbeiten indessen frei und sind also elementar auf Einnahmen durch ihre Auftritte angewiesen. Die Bruchlinien zwischen gesicherten und ungesicherten Existenzen verlaufen innerhalb der Genres, und sie verlaufen zwischen den Genres.

In Deutschland werden nach wie vor etwa 130 professionelle Orchester betrieben, die hauptsächlich klassische Musik spielen. Es gibt eine Handvoll öffentlich-rechtlicher Jazzensembles und keine staatlich alimentierte Rockgruppe. Nun ist es zwar so, dass es mit öffentlichen Mitteln geförderte Subversion zwar allerorten gibt, in der bildenden Kunst und im Theater etwa, dass aber ein nach dem Bundesangestelltentarif besoldeter Rapper nach wie vor auf Befremden stieße. Die Frage, warum das so ist, da doch der Einsatz von Rockmusik bei der Aufführung historischer Dramen längst zu den Üblichkeiten gehört, führt in unübersichtliches Gelände.

Wenn es um die Freiheit der Kunst geht, ist der demokratische Staat sich selbst gegenüber blind

Jedenfalls macht sich der Umstand, dass der Staat die Künste und ihre Genres nach höchst unterschiedlichen und kaum nachvollziehbaren Kriterien behandelt, die zudem nie ausgesprochen werden, seit Beginn der Seuche für einen großen Teil der Künstler mit buchstäblich existenzieller Wucht bemerkbar. Den Kunst- und Kulturministerien sind diese Widersprüche nicht verborgen geblieben, weshalb es gegenwärtig finanzielle Hilfen für freie Künstler gibt, so unzureichend diese sein mögen. Indessen sind diese Hilfen kurzfristig angelegt, während die Seuche etwas durchaus Beständiges zu werden droht.

Die Künstlerhilfen mögen die akute Not manchmal lindern. Wie aber sind die Widersprüche aufzulösen, die der Not den Charakter einer elementaren Ungerechtigkeit verleihen, die von der Kulturpolitik nur sanktioniert wird?

In der DDR gab es eine "Spielerlaubnis" auch für die Musiker der vermeintlich leichten Genres. Die dazugehörige Prüfung galt eher den musikalischen Fähigkeiten als der politischen Zuverlässigkeit, wenngleich auch diese eine Rolle spielte. Wer die Spielerlaubnis besaß, konnte mit einem relativ festen Einkommen rechnen. Ein solches vermeintliches Qualitätsurteil würde man in einem ebenso reichen wie demokratischen Staat aber nicht gelten lassen, nicht nur, weil die musikalischen Leistungen in der ganz oder auch nur zum Teil improvisierten Musik nur schlecht zu bewerten sind. Denn prinzipiell soll ja Kunstfreiheit gelten. Wie aber dann auswählen, wie messen und urteilen? Denn es ist ja nicht jeder schon deshalb ein Künstler, weil er sich für einen solchen ausgibt, und außerdem gibt es, genauso, wie es schlechte Kunst gibt, auch schlechte Künstler. Der demokratische Staat aber meint sich, weil der Freiheit der Kunst verpflichtet, solchen Aufgaben zu entziehen, indem er sie delegiert, an Jurys, an Kommissionen, an Kreise von Fachleuten.

Tatsächlich aber entzieht sich der Staat keineswegs: Wenn es um die Freiheit der Kunst geht, ist der demokratische Staat sich selbst gegenüber blind. Denn der staatliche Auftrag ist in dieser "Freiheit" keineswegs verschwunden. Das Lob der Kreativität und der Originalität, das mit der Kulturförderung in all ihren Varianten verbunden ist, die in Kreisen der staatlichen Förderung permanent geführten Beschwörungen von "Wahrnehmungsmustern", die "hinterfragt", Stereotypen, die "untersucht", und Konventionen, die "gebrochen" werden sollen, gehören zu einer Kunst der Kunstfreiheit, die keineswegs zufällig vor allem in der Nähe der großen Institutionen des Kulturbetriebs zu Hause ist - falls sie nicht von den großen Institutionen selbst hervorgebracht wird.

Man könnte auch die Steuersätze für leichte Musik an die Ermäßigung für Klassik anpassen

Der Umstand, dass es eine solche Kunst der Kunstfreiheit von zentraler Bedeutung überhaupt gibt, zeitigt eine doppelte Konsequenz, die jetzt, da ein Ende der performativen Künste in ihrer bisherigen Form zumindest als möglich erscheint, zu einer Frage des Überlebens wird: Auf der einen Seite entsteht eine Kunst, die zumindest mit der Möglichkeit einer öffentlichen Förderung kalkuliert und die vielleicht deswegen bestehen bleiben wird, auf noch unbestimmte Zeit. Auf der anderen Seite müssen sich Künstler, die bislang ohne Förderung zurechtkamen, weil sie kommerziell halbwegs erfolgreich waren, nun die allergrößten Sorgen machen.

Zumindest in der Vorstellung der Betroffenen haben die Verteilungskämpfe, die aus dieser Situation resultieren, längst begonnen. So soll es in Deutschland, laut Künstlersozialkasse, etwas mehr als viertausend professionelle Jazzmusiker geben. Fast drei Viertel von ihnen haben Musik studiert, besitzen also eine formelle fachliche Qualifikation. Warum ihnen also keinen Künstlerlohn zahlen, wenigstens so lange, bis ein Impfstoff gegen die Seuche gefunden ist und es wieder voll besetzte Konzerte geben kann? Erhielte jeder dieser Musiker das Anfangsgehalt einer Floristin (was mehr wäre, als die meisten Musiker vor der Krise verdienten), käme eine Summe heraus, die, auf das Jahr bezogen, ungefähr dem Budget der Bayerischen Staatsoper entspräche. Und dieses Haus ist nur eine von achtzig Opernbühnen in Deutschland.

Doch abgesehen davon, dass die Einrichtung einer Bundesjazzbehörde mit viertausend unterbeschäftigten Angestellten zu den eher unheimlichen Projekten gehören dürfte: Die Erfahrungen, die in anderen Ländern, etwa in Schweden, mit einem Künstlerlohn gemacht wurden, sind gemischt. Sie sind es nicht nur, weil auf diese Weise eine Bürokratie entstünde, die der Kunst im Allgemeinen und der improvisierten Musik im Besonderen nicht angemessen wäre, sondern auch, weil so eine neue Privilegienwirtschaft in die Welt gesetzt würde, die wiederum Eingeschlossene und Ausgeschlossene kennen und also die Verteilungskämpfe nur auf ein anderes Niveau heben würde.

Man könnte, so ein anderer Vorschlag, eine staatliche Künstlerhilfe ins Leben rufen, die als Ausgleich für Verdienstausfälle taugt und auf Grundlage der Einkommensteuer oder der Einzahlungen in die Künstlersozialkasse berechnet wird - so ähnlich, wie die Künstlerhilfe in manchen Bundesländern schon heute funktioniert, nur systematisch und auf einen viel längeren Zeitraum ausgelegt. Der Vorschlag hätte den Vorzug, dass er auch für die Peripherie der Künste gälte, also etwa für die Techniker. Aber was passierte dann mit den genialen Debütanten, mit den Schöpfern verborgener Meisterwerke, mit all den Menschen, für die Kunst bislang auch bedeutete, zum Staat und seiner Bürokratie einen möglichst großen Abstand zu wahren? Je länger man darüber nachdenkt, was aus den Bühnenkünsten werden soll, wenn es keine Auftritte mehr gibt, auf Jahre hinaus, desto finsterer wird der Horizont.

Zeit für eine rigorose Bestandsaufnahme über alle Bundesländer hinweg

Was also tun? Das Erste wäre, die Lage als das anzuerkennen, was sie ist: Die performativen Künste sind bis auf Weiteres an ein historisches Ende gestoßen, nach dreitausend Jahren, und wenn es sein mag, dass es unter den Voraussetzungen der staatlichen Förderung irgendwie weitergeht, mit zwei Metern Abstand zwischen jedem Besucher oder wie auch immer, so kann diese Einschränkung nicht für freie Künstler gelten, die von den Einnahmen, die sie mit ihren Auftritten generieren, leben müssen. Wie lange dieses Ende währt, und ob es danach irgendwie weitergeht, ist nicht gewiss.

Das Zweite wäre eine rigorose Bestandsaufnahme der Interessen und Mittel, über alle Bundesländer und womöglich auch über die Grenzen innerhalb der Europäischen Union hinweg. Die innerhalb der Kulturpolitik übliche Erklärung, die eklatanten Ungleichheiten im Kunstbetrieb seien "historisch gewachsen" und also nicht antastbar, kann kaum mehr gelten, wenn ganze Bereiche dieses Betriebs vor der Auflösung stehen - darunter ausgerechnet solche, die ein großes und treues Publikum besaßen. Am Ende dieser Bestandsaufnahme hätte eine Strukturanalyse der Kunstförderung zu stehen, mit dem Ziel, ein wenig begründete Ordnung in das Wirrwarr der staatlichen, föderalen und kommunalen Zuständigkeiten sowie der Ungleichheiten zwischen den Künsten und den Genres zu bringen.

Die Möglichkeiten, freien Schauspielern oder Musikern zu helfen, sind außerdem bei Weitem nicht ausgeschöpft: Es gibt in Deutschland öffentlich-rechtliche Medien, denen moderate Änderungen des Programms durchaus zuzumuten wären. Und es ist keineswegs so, dass es mit dem Musikunterricht an deutschen Schulen überall zum Besten bestellt wäre. Vermutlich wäre es auch sinnvoll, sich mit den privaten Veranstaltern zusammenzutun, um ein Nutzungskonzept für Hallen und Säle unter den Bedingungen der Seuche zu erarbeiten. Und wenn die Kulturpolitik dann schon dabei wäre, sich systematisch zu überlegen, wie es mit den freien Künstlern weitergehen könnte, wäre auch eine passende Gelegenheit geschaffen, die höheren Steuersätze für die vermeintlich leichte Musik an die Ermäßigungen für die Klassik anzupassen.

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