Süddeutsche Zeitung

Theater:Weil wir, weil Gier

Ein langer Schrei der Entrüstung: Thomas Köck inszeniert beim Kunstfest Weimar sein neues Stück "Solastalgia". Es ist ein wütendes Requiem auf die Vernichtung der Welt durch die Menschen.

Von Egbert Tholl

Solastalgia, eine Wortneuschöpfung, zusammengebaut aus den altgriechischen und lateinischen Entsprechungen für Trost und Schmerz, bezeichnet ein Gefühl des Verlustes, das man hat, wenn man die Zerstörung der eigenen Heimat oder des eigenen Lebensraums direkt miterlebt. Geprägt hat den Begriff, der den emotionalen Zustand unserer Gegenwart ziemlich treffend beschreibt, der australische Naturphilosoph Glenn Albrecht. Alle Sicherheit löst sich auf, die Natur geht zugrunde und was bleibt, ist dieses Gefühl.

"Solastalgia" ist auch der Titel des neuen Stücks von Thomas Köck, das dieser nun selbst beim Kunstfest Weimar inszeniert hat. Das Thema im weiteren Sinn treibt Köck, geboren 1986 in Oberösterreich, schon lange um. Bekannt wurde er vor einigen Jahren mit seiner "Klima-Trilogie", seitdem ist er einer der Top-Theaterautoren im deutschsprachigen Raum. Doch noch nie war er so wütend, entrüstet, vielleicht auch noch nie so entsetzt und traurig.

"Solastalgia" ist ein roher Text, und das macht ihn großartig. Köck verflechtet, das macht er öfters, zwei Stränge ineinander, die vordergründig nichts miteinander zu tun haben, die sich aber doch befruchten, gegenseitig kommentieren, ergänzen, den jeweils anderen in neue Farben tauchen. Der eine Strang ist der deutsche Wald, der stirbt. Die "Ökosystemdienstleistung", die nur dafür da ist, abgeholzt zu werden. Bestehend aus Fichten vor allem, die jetzt unter der Hitze ächzen, weil sie nicht von hier stammen, aber lange Zeit guten Ertrag garantierten. Es braucht nur einen Funken, "bis diese monokulturelle nationalistische Importfiktion wieder in Flammen steht". Köck schreibt das alles klein, weil er keine Zeit hat, die Umschalttaste zu bedienen, wenn alles raus muss, was er sagen will.

Der andere Strang ist der Vater. Der Vater hat eine bipolare affektive Störung, er ist krank, aber kein Krankenhaus, niemand im Gesundheitssystem interessiert sich wirklich dafür. Er ist suizidgefährdet, er versucht, sich umzubringen, seine Frau zieht ihm die verbrannte Haut ab, als wäre es sein Hemd. Immerhin, da kommt dann ein Rettungshubschrauber.

Miriam Schiweck, Katharina Linder und Mateja Meded sprechen chorisch, im Dialog, sie singen und skandieren, atemlos, dringlich

Der Verknüpfung: Der Vater ist Schreiner, sitzt aber "auf quasi wertlos gewordenen Festmetern Holz", weil ganze Wälder wegen des Borkenkäfers abgeholzt wurden, dessen Umtriebigkeit ja auch nur eine Folge des Klimawandels und der Monokultur ist. Jetzt baut - typisch Köck'scher Sarkasmus - der Vater die Türen für den Neubau der Psychiatrie, in die er später kommt, unterbietet sich selbst im Preis, verdient nichts, zahlt drauf, verzweifelt. Die Depression des Vaters, der Zustand des Waldes, die Stimmung in der Gesellschaft - alles gehört zusammen.

Thomas Köck schreibt durchrhythmisiert, musikalisch. Hier, als Regisseur des eigenen Werks, verdichtet er die Uraufführung zu einem langen Schrei. Dafür hat er drei Musikerinnen aus Portugal und Katalonien, die Horn, Oboe und Klarinette spielen, mit ihren Instrumenten kreischen und singen, selten pausieren. Eine von ihnen resümiert die Lage: "Let's face it: We are fucked." Sie tragen "Pussy-Riot"-Strickmasken. Dazu spielen drei Schauspielerinnen des koproduzierenden Schauspiels Frankfurt, die blutjunge und erstaunlich gelassene Miriam Schiweck, die mit toller Stimme begabte Katharina Linder, die zornige Mateja Meded. Sie sprechen chorisch, im Dialog, sie singen und skandieren, atemlos, dringlich. Am Anfang sind die Worte, ein paar Seiten Englisch, nur Sound, aus dem sich dann der Inhalt schält.

Ins E-Werk in Weimar, ein herrliches Industrieüberbleibsel, hat Barbara Ehnes eine Art Hörsaal gebaut, ein Halbrund, verkleidet mit Platten, die Pilze (Ganoderma lucidum) schufen, die aussehen wie Solnhofer Platten, also wie Stein mit Pflanze darin. Schöne Idee, dass so ein Bühnenbild einfach von selbst wächst. Als Kontrast dazu tragen die Schauspielerinnen wüstes Zeug wie aus der Mülltonne, Schiweck später eine Art Brautkleid aus Plastikmüll mit kaum endender Schleppe.

Der Abend ist dicht, konzentriert und düster, voller hinterlistiger Gedanken, voller Erkenntnisse und toll erfundener Worte. Er ist wütend, aber nie larmoyant, auch wenn ihm etwas von einem Requiem auf unsere Welt anhaftet. Viel Hoffnung vermittelt er nicht. Auch wenn gerade die drei Schauspielerinnen gar nicht unfreundlich, eher licht und hell agieren. Wir haben alles selbst vernichtet, "weil wir weil die weil sie weil ich weil Geld". Weil Kapitalismus, Gier und Profit.

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