Kunstbiennale in Venedig:Astronauten im Nazi-Tempel

"Ich habe den knallhart bespielt" - die Bildhauerin Isa Genzken sprach mit uns über ihre Ausstellung im Deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig und völlig überschätzte Kunst.

Holger Liebs

Hamburg, unter dem wie üblich verhangenen Himmel, ein paar Wochen, bevor die Kunstbiennale in Venedig beginnt. Isa Genzken sitzt im Kempinski und ist bester Dinge. Sie freut sich auf ihren Auftritt im Deutschen Pavillon vom 10. Juni an, "ich habe den knallhart bespielt", sagt sie, "knochenhart!"

Zuvor ging es um den "Schmerzraum" von Joseph Beuys, über die berühmte Kammer, die mit Bleiplatten ausgekleidet ist und einerseits also Schutz vor der Außenwelt gewähren soll, und zwar nicht nur symbolisch, im Sinne unterbrochener Energieströme, sondern ganz real, denn Blei lässt keine Röntgenstrahlen durch. Andererseits erinnert dieser Schmerzraum aber an die Bleikammern des Dogenpalastes in Venedig, wo im Namen der Inquisition gefoltert und gemordet wurde. Diese Isolationszelle schillert zwischen den Extremen, zwischen Leben und Tod.

Der Schmerz steht ihm gut

Beuys und vor allem sein "Schmerzraum", das wird schnell klar, sind für Genzken ein künstlerisches, ein skulpturales Nonplusultra, das kaum ein anderer Künstler der Gegenwart erreicht, und als die Rede auf die prekäre Geschichte des bis zum heutigen Tag mit pathetischem Nazi-Anbau versehenen Deutschen Pavillons kommt, auf die Künstler, die dort ausgestellt haben, auf den legendären Auftritt Hans Haackes mit den zertrümmerten Bodenplatten 1993, auf Gregor Schneiders beklemmende Mietshaushölle 2001 - da wird Genzkens Urteil so spontan wie unerbittlich.

"Haacke? Fand ich grauenhaft. Dermaßen plump den Boden des Pavillons aufzubrechen, dann das Hitlerbild - was sollte das alles? Das ist doch keine antifaschistische Kunst! Das ist fishing for compliments. Völlig überschätzt."

"Schneider? Naja, das ist eher Theater als bildende Kunst, oder? Das sind Bühnenräume. Geh' ich in Beuys' Schmerzraum, habe ich Schmerzen am ganzen Körper. Schneider ästhetisiert den Schmerz doch nur. Das sieht aus, als wäre es echt, ohne echt zu sein. Dass Schmerz auch noch gut aussehen muss, das geht doch nicht!"

Isa Genzkens Urteil ist so kompromisslos, wie ihre künstlerische Karriere es bislang war. Schon ins Männermetier der Bildhauerei einzudringen - und darin erfolgreich zu sein - war keine leichte Übung. Und als Genzken dann auch noch im Land der Malerfürsten die kalt-geometrische Plastik der amerikanischen Minimal Art mit computerprogrammierten biomorphen Formen vermählte - 20 Jahre bevor Frank Gehry mit dieser Methode Museen emporwachsen ließ -, da war klar, dass diese Künstlerin kein Wagnis scheut.

Wuchtig verschlimmbessert

Genzken, damals noch mit Gerhard Richter zusammen, schuf also superleichte "Ellipsoiden" und "Hyperbolos", bis zu zehn Meter lange Krümmungskörper. "Am liebsten", sagt sie, "arbeite ich allein. Bei den Ellipsoiden und Hyperbolos war es ja auch so. Nur ein Schreiner half mir ein wenig. Sie in einer Fabrik fertigen zu lassen, wäre ja zu teuer gewesen, das kostet Tausende. Die Hyperbolos sind innen hohl, weisen minimale Wandstärke auf. Die konnte man tragen."

Aber gerade als Genzkens "herkulische Hysterie" (Benjamin Buchloh) an der Schwelle zur musealen Anerkennung stand, wagte sie einen radikalen Bruch - und baute aufgesockelte Betonruinen, wunderbar schrundige feine Hohlkörper. "Manfred Schneckenburger wollte mich zur Documenta 8 einladen - ,aber nur, wenn sie weiter die Ellipsoiden bauen', sagte er. Doch da gab es schon meine Betonarbeiten. Ist doch langweilig, immer dasselbe zu tun. Jetzt kann ich machen, was ich will."

Astronauten im Nazi-Tempel

In der Tat. Genzkens Deutscher Pavillon, kuratiert von Nicolaus Schafhausen, scheint zu einer von Zwängen aller Art befreiten Großskulptur zu werden, zu einer so spielerischen wie abgründigen Scharlatanerie, zu einem giftigfarbenen Traum alter und neuer Utopien und ihres Scheiterns. So dürfte man den 1909 von einem Venezianer erbauten und 1938 wuchtig verschlimmbesserten Bau jedenfalls noch nicht gesehen haben.

Noch sei er ja eingerüstet, schrieb vor Wochen der Spiegel. Doch die rotschimmernde Hülle um den trutzigen Tempel ist Teil des Kunstwerks. Der Pavillon wird zur Baustelle, zur umgekehrten Ruine umgewidmet - und gleichzeitig zum minimalistischen Objekt. "Ich habe den Pavillon größer gemacht, als er ist", sagt Genzken. Doch der Schleier ist kein Selbstzweck, kein schamhafter Blickschutz des ungeliebten Baus. An der Fassade werden Majolika-Plastiken prangen, Kopien des berühmten Florentiners Andrea della Robbia.

Abhängende Astronauten

"In der Nähe meines Berliner Ateliers gibt es die Königliche Manufaktur; dort habe ich Repliken von della Robbias Majolika-Güssen machen lassen. Die hänge ich an die Wand des Pavillons. Davor gibt es dann das Gerüst, mit Abstand gehängt, aber enorm groß. Robbias Skulpturen waren für die Straßen in Florenz gemacht, sie sollten hoch oben an den Häusern hängen, als Fassadenschmuck. Bei mir ist ein Gitter davor, und zwar zweifach: einmal das Stahlgerüst und dann der rote, lochgerasterte Kunststoff. Dahinter dann die italienische Renaissance. Die Italiener mögen das. Es ist religiös und leicht kitschig."

Und vor allem kennt jeder Tourist den durch Baustellenschleier behinderten Blick auf die Kunst. Er gehört gewissermaßen zum Flair der Italianità dazu. Während sich also die Außenhaut des Pavillons dreifach auffaltet - in steinernes Nazi-Pathos, in den glasierten Ton der süßlichen Madonnen und Bambini sowie den frechen Plastik-Sichtschutz, entfaltet sich im Innern des Pavillons ein anderes, gleichwohl auf die Pavillon-Hülle bezogenes Spiel. "Ich wollte nicht wie Baselitz oder Richter mit Männerbildnissen eine Hommage an den Raum anvisieren. Ich habe versucht, ihn zu denzentralisieren, habe nicht seine Mitte betont, sondern die gesamten zwölf Meter Höhe ausgenutzt."

Am imaginären Himmel des neugestalteten Raums werden Astronautenanzüge hängen, "gekauft in Amerika. Drei schweben unter der Decke, zwei ruhen sich auf dem Mond aus. Es sind zwei Freunde, die auf dem Boden liegen. Zwei weitere hängen dann an Sesseln an der Wand, das sind die jungen Flegel; sie sind mit Tüchern bedeckt."

Äffchen vor dem Selbstmord

Genzken sagt, ihr gehe es mit den Astronautenfiguren, die möglicherweise etwas versehrt aussehen, nicht um eine oberflächliche Amerikakritik. Eher um eine Verkörperung des amerikanischen Traums - und seines Scheiterns. Die Astronautenfiguren würden ja den Raum verwandeln, ihn vergrößern - so wäre dann gleichsam das ganze Gebäude von außen nach innen gestülpt und umgekehrt, mit der verhüllten Außenhaut und mit dem sich ins Unendliche erweiternden Innenraum.

Eine gewagte Operation, aber Genzken scheint sich ihrer Sache sicher. "Ich glaube, was mir in Venedig gelungen ist, ist die Verbindung von Innen- und Außenraum. Und von Lieblichkeit und Eiseskälte. Ich habe auch fünf Galgen aufgehängt - aber mit Äffchen daran! Sie stehen sozusagen zum Selbstmord parat."

Diese Ästhetik vieler ihrer jüngeren Skulpturen bewegt sich in den Bahnen einer fiebrigen, farbenfreudigen Apokalypse. Zerfetzte Sonnenschirme, golden verzierte Rollstühle, Nepp und chromglitzernde Perfektion: Die Objekte wirken wie geimpft mit einem Gemisch aus Hysterie und Melancholie. "Empire/Vampire" heißt dazu passend eine neuere Serie von Plastiken, und auch die Arbeit im Deutschen Pavillon wird einen derart vieldeutigen Titel tragen, "Oil".

"Oil" ist klug

Warum Oil? "Ja, super, oder?", sagt sie, "da steckt alles drin! Wichtig ist, dass es international klingt: Oil eben. Es geht um den Rohstoff, aus dem alles gemacht ist, auch der Kunststoff des Gerüsts. Es werden Kriege deswegen geführt. Meistens sind Ausstellungstitel ja entsetzlich. Man öffnet die Post und schon wieder ist so ein Titel da. ,Oil' ist klug, darüber lässt sich nachdenken. Das ist keine Anti-Bush-Arbeit, immerhin hängt ein Astronaut an der Decke. Es geht um den Tourismus der Zukunft. Alle Leute, die Geld haben, lassen sich ins All hochschießen. Irgendwann ist es wie eine Bahnfahrt. Öl wird gebraucht. Aber was passiert, wenn es nicht mehr da ist?"

Sie erzählt noch, dass ihr Kippenberger - "er war ja gefürchtet, aber nie frech zu mir" - mal seinen Pass geschenkt habe, und dass Beuys ihr gesagt habe, ,du kannst alles von mir unterschreiben', "wörtlich!" Aber sie wolle eigentlich nicht, dass das jetzt rumerzählt werde.

So ist sie eben, heiter, geachtet und "knochenhart", im Leben wie in der Kunst.

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