Kunstauktion bei Christie's:Die teuerste Frau der Welt

Vor gut 15 Jahren malte der britische Künstler Lucian Freud die Berufsberaterin Susan Tilley - nun will Christie's das Gemälde für 30 Millionen Euro versteigern lassen.

Marten Rolff

An dem Tag, an dem Susan Tilley zum ersten Mal Lucian Freud begegnete, stand fest, dass er sie malen würde. Weil Leigh Bowery es wollte. Er hatte das erste Zusammentreffen von Muse und Maler Anfang der 90er Jahre in einem Londoner Nachtclub organisiert. Wenn Leigh Bowery - Performance-Künstler und Zeremonienmeister der britischen Avantgarde, Verehrer Andy Warhols und Freund von Boy George - etwas wollte, dann bekam er es auch.

Kunstauktion bei Christie's: Susan Tilley als Motiv des Gemäldes "Benefits Supervisor Sleeping" von Lucian Freud (© The Lucian Freud Archive / Bridgeman Images).

Susan Tilley als Motiv des Gemäldes "Benefits Supervisor Sleeping" von Lucian Freud (© The Lucian Freud Archive / Bridgeman Images).

(Foto: AP)

Und im Fall Bowery- Freud-Tilley lagen die Dinge einfach: Bowery hatte eine Freud-Obsession, Freud hatte eine Fleisch-Obsession, und nur Susan Tilley besaß die zwei Eigenschaften, um diesen Obsessionen gerecht zu werden: Einen Gleichmut, der es ihr erlaubte, den beiden wohl größten Egozentrikern im damaligen London etwas entgegenzusetzen, und einen Körper, der den Porträtmaler Lucian Freud über volle vier Jahre fesseln sollte.

Heute darf Susan Tilley daher mit einigem Recht von sich behaupten, die teuerste Frau der Welt zu sein. Susan Tilley, die ihre 51 Lebensjahre in Londons West End verbrachte, wo sie früher bei Leigh Bowerys legendären Club-Partys öfter die Kasse machte und wo sie seit Jahrzehnten für das Arbeitsamt in der Denmark Street tätig ist. Susan Tilley, die viele in England jetzt wieder "Big Sue" nennen, weil sie es Anfang April als erste hüllenlose Frau auf die Titelseite der Financial Times schaffte.

Überzeichnung als charakteristisches Merkmal

Die Zeitung zeigte Lucian Freuds Gemälde "Benefits Supervisor Sleeping" - den Akt einer fülligen Dame, die auf einem Sofa schläft. Am 13. Mai wird Christie's das Bild in New York versteigern. Etwa 30 Millionen Euro will das Auktionshaus damit erlösen - soviel, wie noch nie für das Werk eines lebenden Künstlers.

Seit Wochen schon gibt es einige Aufregung um die Auktion, und wenn man Sue Tilley anruft, sagt sie, dass sie nicht viel erzählen dürfe. Weil sie ihre Geschichte exklusiv dem Magazin Hello! verkauft habe. Dann überlegt sie kurz und sagt, dass ihr das eigentlich egal sei und fragt, was man wissen wolle. Man müsse nur entschuldigen, sie wirke etwas müde. Sie sei auf dem Sofa eingenickt.

Ihre Stimme klingt tief und warm und manchmal fast ein wenig lasziv. Doch für Inszenierungen ist sie zu uneitel. Wenn man eine Muse suche, wie Vermeers "Mädchen mit dem Perlenohrring" oder Picassos Dora Maar, sei man bei ihr falsch. Sie sei höchstens "amüsant", in einem Dokumentarfilm über Freuds Modelle sei ihr die Rolle der Komischen zugedacht worden. Im übrigen lässt sie die Dinge auf sich zukommen, immer schon. Das war auch damals beim ersten Vorgespräch mit Lucian Freud in einem Restaurant nicht anders, als er monierte, dass ihr Lippenstift zu blaustichig sei.

Sie sagt, sie hat gewusst, auf was sie sich bei Freud einlässt. Sie kannte einige seiner Bilder, wusste, dass der Maler seinen Modellen "nicht schmeichelt". Freud ist bekannt für überrealistische Porträts, für oft grotesk aufgeblasene Körper mit zerfurchten Gesichtern, deren Überzeichnung das Charakteristische erst plastisch macht.

Die zerbrechliche Kate Moss etwa malte er nackt, mit zu breitem Becken, die Beine gespreizt und damit jeder Vulgarität des Betrachters preisgegeben. Mit hohlen, aber stolz entrückten Augen, ein letztes Geheimnis verteidigend. Als Freud die Queen porträtierte, mit tiefen Falten und von der Last der Verantwortung müdem Blick, löste das in Großbritannien eine nationale Debatte aus. Das "extrem unvorteilhafte" Bild, so der Daily Telegraph 2001, verstelle den Blick auf die Königin. Wer Fotos von Sue Tilley aus den vergangenen 15 Jahren betrachtet, sieht darauf stets eine etwas mehr als vollschlanke Frau mit schwarzem Haar, deren Fülle ihr Gesicht jünger wirken lässt als sie ist. Diese Fotos haben wenig gemein mit der übertrieben massigen Frau auf Freuds Gemälde mit ihren enormen Schenkeln und Brüsten.

Sue Tilley findet das Bild trotzdem gut getroffen. Sie hat Drucke des Porträts zu Hause, auf denen sie jeden Tag etwas Neues, jeden Tag etwas mehr Tiefe entdeckt. Wie präzise Freud zum Beispiel bei ihren zarten Füßen und Händen gearbeitet habe. Oder bei ihrer kleinen Himmelfahrtsnase. Susan Tilley sagt, dass sie das Porträt liebt. Es klingt aufrichtig.

Für das Ergebnis hat sie viel auf sich genommen. Viermal porträtierte Freud sie. Vier Jahre, in denen sie nahezu jeden freien Tag im Atelier verbrachte. Oft über Stunden in regloser Haltung. Für das erste Gemälde musste sie auf dem Boden liegen, damals hätte sie fast hingeschmissen, sagt sie. Doch sie komme aus einer Familie, die harte Arbeit gewohnt sei.

Statt aufzugeben bettelte sie, dass er sie doch in Kleidern malen solle, "mit Schmuck und etwas Farbe im Gesicht". Er ging nicht darauf ein. Und entfernte jede noch so kleine Irritation, die von ihrer weißen Körperfülle ablenkte. Das Tattoo auf ihrer Schulter malte er mit Fleischfarbe über. Und als sie die Sitzungen für einen Indienurlaub unterbrochen hatte, schickte er sie für neun Monate nach Hause, weil die Sonne ihren Teint zu rosig gemacht hatte.

Wer mit Lucian Freud zu tun hat, so jedenfalls wirkt es in den Schilderungen von Sue Tilley, betritt ein Reich, in dem der Maler nicht nur die Regeln, sondern oft gleich die ganze Wirklichkeit diktiert. Am besten, so erzählt Tilley, lasse sich das vielleicht an der Art erklären, wie er sie manchmal nach Hause fuhr. "Ein kleiner Mann im großen Bentley mit noch größerem Ego". Ein "lausiger Fahrer", der sich für den "König der Straße" hielt. Der Taxen, die ihn rechts überholt hatten, anschließend links überholte. Wobei er fluchend über den Bürgersteig fuhr, während seine Beifahrerin das Gesicht "vor Scham" in den Händen verbarg.

Sue Tilley erzählt das alles nicht, um sich zu beklagen. Sie erzählt es eher amüsiert, um Lucian Freuds Fähigkeit zu demonstrieren, sich auf den Punkt zu konzentrieren, selbst um den Preis, die Realität auszublenden. Sie sagt, dass sie die Zeit mit ihm sehr genossen habe. Seine Persönlichkeit, seine Begabung, andere zu unterhalten, die Aufmerksamkeit, die er ihr, die bis heute Single ist, schenkte.

Es irritiert sie deshalb, wenn jetzt in den Medien viel von Geld die Rede ist. Weil das Gemälde ja 30 Millionen wert sein soll und sie als Modell zwischen 20 und 33 Pfund pro Tag bekam. Darum, sagt Sue Tilley, gehe es doch überhaupt nicht. Sie hat vor einigen Jahren eine Radierung verkauft, die Freud von ihr gemacht und ihr geschenkt hatte: "Frau mit Tattoo". Für knapp 27.000 Pfund. Weil sie in Geldnot war. Und weil sie an Besitz nicht hängt.

Karriere auf dem Sofa

Durch die Versteigerung werde sich nicht viel ändern für sie, sagt Sue Tilley. Außer, dass man sie gerade im Bus erkannte. Und dass sie nun wieder darüber nachdenkt, wie seltsam es ist, dass da bald irgendein Sammler glücklich vor irgendeine alarmgesicherte Wand treten wird, um sie, Sue Tilley, 51, vom Arbeitsamt im Londoner Westend, nackt zu betrachten. Sie würde so gern zur Versteigerung fahren, aber bei Christie's habe man durchscheinen lassen, dass das nicht erwünscht sei.

Wo Sue Tilley nicht eingeladen wird, drängt sie sich nicht auf. Sie findet es faszinierend, wie viel man erleben kann, wenn man die Dinge auf sich zukommen lässt, auf dem Sofa einer Londoner Dreizimmerwohnung. Es ist viel gewesen in den vergangenen 18 Jahren: Boy George etwa hat ein Musical über Leigh Bowery und die Londoner Clubszene geschrieben, in dem "Big Sue" eine wichtige Figur ist und das am Broadway aufgeführt wurde. Und Sue Tilley hat ein Buch über Bowery geschrieben, weil ein Verlag sie darum bat. Ein Filmproduzent hat ihr gerade die Rechte abgekauft. Man könnte noch viel erzählen über Sue Tilley, die füllige Nackte auf Freuds Bild. Aber erstmal will sie die teuerste Frau der Welt werden, sagt sie. "Der Rekord muss zu knacken sein."

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