Kunst:Zweite Welle

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Der ghanaische Künstler El Anatsui hat mit seiner Installation "Second Wave" das Haus der Kunst in München verhängt. Parallel dazu läuft seine Ausstellung "Triumphant Scale".

Von Catrin Lorch

Das Haus der Kunst ist jetzt ein moderner Flachbau, der sich grau entlang einer Haupteinfallstraße in die Münchner Innenstadt zieht. Seine früher so pathetische, säulenbestandene Fassade schimmert nun stumpf und wirkt fast so glatt wie die Glas- und Steinfronten der Regierungs- und Bürogebäude in den gegenüberliegenden Vierteln. Wer von der anderen Straßenseite auf den Ausstellungsbau blickt, der in diesen Tagen so verändert aussieht, hat allerdings nicht das Gefühl, dass die neue Front auf ein geordnetes Inneres verweist - massive Ausbuchtungen stören die technische Anmutung, es sieht aus, als hätten sich die dahinterliegenden Säulen aus ihren Fundamenten gelöst und drückten, stürzend, von innen gegen die Metallplatten.

110 Meter ist "Second Wave" lang, es ist das größte Werk des Künstlers El Anatsui, der nach der Jahrtausendwende in Europa mit gewaltigen, schimmernden Installationen berühmt wurde, die Museen und Ausstellungshäuser verhüllten. Zusammengesetzt aus recycelten Materialien wie Kronkorken, Dosenblech, den Umhüllungen von Flaschenköpfen oder metallenen Schraubverschlüssen funkelten sie wie vielfarbige kostbare Vorhänge.

Die Arbeit für München besteht nun im Gegensatz dazu vor allem aus gebrauchten Offset-Druckplatten, die miteinander verbunden eine massiv anmutende, hellgraue Wand ergeben. Nur aus der Ferne ist zu erkennen, dass sie sich an der Oberkante zu zwei Wellen aufwerfen. "Second Wave" schließt an die gewaltigen Installationen an der Fassade des NS-Baus an, wie die Schulranzen, mit denen Ai Weiwei den Eingangsbereich in Erinnerung an die bei einem Erdbeben in China verschütteten Kinder zuhängte; oder wie Paul McCarthys monströse Blumentöpfe auf dem Dach. Doch steht die kühle Monumentalität in sichtbarem Gegensatz zu den überwältigend attraktiven Werken, für die der im Jahr 1944 im ghanaischen Anyako geborene Künstler berühmt wurde.

Die Schau ist nicht als Retrospektive angelegt, erlaubt sich aber dennoch Rückgriffe

Und so beginnt die Ausstellung "El Anatsui. Triumphant Scale" mit einem Kontrast. Denn gleich im ersten Saal umfangen den Besucher drei der charakteristischen Wandbehänge, die wie festliche Banner präsentiert sind. In einem Museumssaal, in dem zuletzt noch Gemälde gezeigt wurden, wirken sie zunächst wie farbstrahlende, funkelnde Bilder, an denen der Blick geblendet entlanggleitet, bis er sich auf dem hellen Steinboden verliert, auf dem "Sasa" (2004) in einem kleinen Haufen aus alten Kronenkorken ausläuft. Fast scheint es dann - umgekehrt -, als breite sich der Verpackungsmüll, entgegen allen Gesetzen der Schwerkraft, wie von selbst über die Wand aus.

Die Installation "Second Wave" am Haus der Kunst in München. (Foto: Sina Schuldt/dpa)

Auch wenn die Schau keine Retrospektive sei, wie Gastkurator Chika Okeke-Agulu aus Princeton betont, erlaubt sie sich Rückgriffe. Beispielsweise auf Keramiken, Zeichnungen und die frühen Holzobjekte, die El Anatsui auch durchaus mal mit der Kettensäge bearbeitete. In einem Relief wie "Black Seeds (Schwarze Samen)" deutet sich schon im Jahr 1989 die Beweglichkeit seines Skulpturbegriffs an: Das Stillleben ist sichtbar aus unterschiedlichen Holztafeln zusammengesetzt, deren unterschiedliche Maserung genauso unordentlich wirkt wie die Kantenlänge der Paneele, deren Ränder unterschiedlich weit überstehen dürfen.

Die frühen Keramik- und Holzskulpturen sind also gar nicht weit entfernt von den überwältigenden Metallarbeiten. Es ist vor allem ihre Größe, die sie unterscheidet, und dass sie aus Abfall zusammengesetzt werden.

Der Kontrast zwischen dem Material und der kostbaren Erscheinung ist ein immer wieder erstaunlicher Effekt. Aus der Ferne sehen "Red Block" (2010) oder "Man's Cloth" (2001) aus wie archaische Gewänder, Gobelins oder Mosaike. Aus der Nähe sind die eingestanzten Getränkemarken, die bunten Schriftzüge und industriellen Lackierungen unübersehbar.

Manchmal sitzt sein Team bis zu einem Jahr an einem einzelnen Werk

Der Müll ist zudem sichtbar aufwendig bearbeitet: Dosenblech und Kronkorken sind ja schon beim Verpackungshersteller gebogen, bedruckt und verlötet worden, im Atelier müssen sie dann wieder gereinigt, plattgewalzt, gefaltet, durchlöchert und meist mit winzigen Drahtschleifen verbunden werden. "Jemand hat eine Idee, aber dann braucht es so viele Hände, bis sie umgesetzt ist", sagt El Anatsui. Der mit den bedeutendsten Auszeichnungen der Kunst wie dem Goldenen Löwen der Biennale in Venedig und dem Praemium Imperiale ausgezeichnete Bildhauer erinnert bei der Vernissage in München daran, dass er im Studio auf die Mitarbeit vieler angewiesen ist, manchmal sitze sein Team, vor allem jungen Schulabgänger, bis zu einem Jahr an einem einzigen Werk.

El Anatsuis Arbeit „Leopard Cloth“ aus dem Jahr 1993. (Foto: October Gallery, London)

Zu Kollaborateuren werden aber auch Sammler, Kuratoren oder das Aufbauteam, das für die Installation verantwortlich ist. Denn anders als Gemälde, Skulpturen, Reliefs oder die meisten Installationen passen sich die monumentalen, aus starren Plättchen zusammengesetzten Metallskulpturen den Steinmauern, den Fassaden eines Palazzos oder wie in München den hohen weißen Wänden eines Ausstellungssaals so schmiegsam an, als seien sie aus nachgiebigem Stoff oder zarten Schuppen. Das Wechselspiel zwischen der Architektur und einer solchen Verhüllung ist faszinierend. Allerdings beweist die Ausstellung, dass sie nicht weniger überwältigend aussehen, wenn sie sich fast glatt ausbreiten oder einfach schlank in Falten legen. Die Monumentalität bleibt flexibel, bescheiden, einladend. Der Auftritt im Haus der Kunst, einer Architektur, die vor allem die gewaltigen Skulpturen der NS-Künstler behausen sollte, ist ein idealer Ort, um das nachzuvollziehen.

Die spektakuläre Schau ist der Auftakt einer internationalen Tournee, die an drei weiteren internationalen Museen gastieren wird. Sie ist überhaupt die größte Ausstellung eines afrikanischen Künstlers in Europa, bislang.

Dass sie in München ihre erste Vernissage feiert, ist das Verdienst von Okwui Enwezor, der mit der Arbeit an diesem Projekt schon vor seiner Berufung als Direktor zum Haus der Kunst begonnen hatte, und nun, mehr als ein halbes Jahr nach seinem Rücktritt, dort noch einmal eine Ausstellung eröffnet.

"Jemand hat eine Idee, aber dann braucht es so viele Hände, bis sie umgesetzt ist", sagt El Anatsui. (Foto: Maximilian Geuter)

El Anatsui sagt: "Ich arbeite mit Material, das viel Berührung durch Menschen erfahren hat." Dieser Satz klingt nun vieldeutig. Dass nach dem Medienskandal um das Haus der Kunst ausgerechnet Zeitungs-Druckplatten die Fassade einrüsten, die, im Gegensatz zu den anderen Arbeiten, wenig festlich aussehen, wirkt wie ein Kommentar zu den Ereignissen. Als markiere das bedeutende, weltläufige Werk von El Anatsui den Verlust, den die Kunst an diesem Ort erfahren hat.

El Anatsui. Triumphant Scale im Haus der Kunst in München, bis zum 28. Juli. Danach vom 1. Oktober 2019 bis zum 2. Februar 2020 am Mathaf Arab Museum of Modern Art in Doha. Vom 13. März bis zum 21. Juni 2020 in Bern am Kunstmuseum, vom 17. Juli bis 1. November 2020 am Guggenheim Museum in Bilbao. Während der Laufzeit erscheint ein Katalog.

© SZ vom 09.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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