Kunst zum Thema "Trauer":Kondolenzschlangen

Eine stille Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle ist überraschend aktuell geworden: "Trauer" spannt den Bogen von der ganz persönlichen Verzweiflung zu den Reaktionen auf die großen politischen Toten wie Mao, Lenin, Robert Kennedy.

Von Till Briegleb

In den ersten Tagen der Wiedereröffnung der Hamburger Kunsthalle war nicht Vielen nach dem Thema "Trauern". Den Mundschutz in dem Museumswürfel der Galerie der Gegenwart brauchte man höflicherweise nur, wenn man mal einer Aufsicht begegnete. Denn die große, vor dem Lockdown eröffnete Ausstellung zum endgültigen Abschied war menschenleer. Dabei ist der Tod in den letzten Wochen doch das alles beherrschende Thema gewesen. Jedenfalls der statistische Tod und seine politische Interpretation. Als Summen in Spalten lieferten Verstorbene die Barometerwerte für einschneidende Maßnahmen, aber auch für nationalen Stolz oder offene Wut. Sterben wurde der Gradmesser für das Leben.

Zur Auseinandersetzung mit dem Trauern fehlt den meisten Menschen aber wohl die persönliche Betroffenheit. Mit 8000 Todesfällen durch Covid-19 blieb das Sterben in Deutschland weiterhin eher abstrakt, oder es reduzierte sich als Thema auf die klamme Angst. Und nun nach wochenlanger Heimroutine, wo Vieles rapide wieder so normal erscheint wie zuvor, ist Erleichterung so lebensführend, dass eine Konfrontation mit dem, was glücklicherweise ausgeblieben ist, wohl kaum lockt.

Dabei zeigt die von Brigitte Kölle kuratierte Schau "Trauern - Von Verlust und Veränderung" vielfältige Aspekte von harten Lebensbrüchen, und beschreibt, mit welchen Handlungen Menschen und Gesellschaft Schmerz zu bewältigen hoffen. Und das ist vor dem Hintergrund einer Krise, die manche Gewissheiten über den Haufen geworfen hat, ja auch historisch lehrreich. Zum Beispiel mit persönlichen Erfahrungen, die zeigen, dass auch Systeme sterben und nicht alternativlos sind.

Die meisten Werke der Schau beklagen politisches Scheitern

So entwickelt der japanische Fotograf Seiichi Furuya in seiner intimen Diashow über die drei Jahre, die er in der DDR lebte (1984-87), eine Parallelerzählung von seelischer und systemischer Krankheit, die im Tod eines Menschen und dem Zusammenbruch eines Staates endete. Seine Frau Christine nahm sich 1985 das Leben, und die privaten Fotos zeigen ihren Kampf mit der Verzweiflung so rührend wie schonungslos. Die Melancholie über die dennoch glücklichen Momente, die in diesem sehr persönlichen Bildtagebuch eingefangen sind, bezieht sich aber auch auf eine Kultur, die mit dem Mauerfall schrittweise getilgt wurde. Furuyas Bilder des Alltags in der DDR beleuchten eine bescheidene, aber eigene Lebenswelt, die trotz des verkrusteten Systems als Heimat erfahren und dann verworfen wurde.

Konkreter wird die Trauer über politische Tode in den Aufzeichnungen jener staatlichen Rituale, die den Charakter eines Systems offenbaren. Adrian Pacis' Dokumentation über zwangsverordnete Volkstrauer zum Tode sozialistischer Führer wie Mao, Stalin, Lenin oder Enver Hoxha ist ein teils komisches, teils beklemmendes Schauspiel über gelenkte Aufmärsche und Kondolenzschlangen. Die Verkettung von offiziellem Fernsehmaterial zeigt bizarr, wie Diktatur Gehorsam bis in die privatesten Gefühle verlangt. Dagegen sind die Arbeiten zur amerikanischen Trauer nach der Ermordung von Robert Kennedy 1968, unter anderem von Philippe Parreno, eher das Porträt einer gemischten Gefühlslage aus verlorener Hoffnung und Patriotismus. Der brutal gestoppte Wandel zu einer gerechteren Gesellschaft in den USA, die durch Bobbys Präsidentschaftskandidatur zum Greifen nahe schien, führt in der freiwilligen Trauerbekundung von Millionen Menschen an der Bahnstrecke zwischen New York und Washington zu einem Prozessionsbild der Niederlage. Präsident wurde 1968 Richard Nixon.

Tatsächlich ist die inszenierte oder empfundene Klage, die die Künstler dieser Ausstellung so vielfältig thematisieren, kein stärkender Anlass zu Optimismus, gerade im politischen Bereich, sondern eher das Eingeständnis gescheiterten Wandels. Das gilt für Susan Philipsz' stille Erinnerung an die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg wie für die schweigende Versammlung von 116 tschetschenischer Männer und Frauen in einem Saal in Grosny, wo sie 2016 erstmals seit der Vertreibung durch Stalins Zwangsumsiedlungsprogramm wieder zusammenkamen. Diese von Aslan Goisum statisch gefilmte Szene zeigt die bis zu 105 Jahre alten Menschen zwar in ihrer Prachtgarderobe, aber ohne einen Anflug von Freude. Gewaltpolitik raubt nur, sie gibt nichts zurück.

Sieht man auf all diese Arbeiten nun anders als vor dem Corona-Schock? Auf die zerbrochenen Grabsteine auf dem Boden von Greta Rauer oder den abgetrennten roten Kopf eines verstorbenen Freundes auf einem Sockel von Thomas Schütte? Empfindet man nun intensiver für die Toten von Assads Terrorregime, die Khaled Barakeh aus den Bildern des Krieges herausgeschnitten hat, so dass nur weiße Leerstellen bleiben?

Es hängt vermutlich von der persönlichen Verluststimmung ab, die für jeden Besucher nach diesem wochenlangen Seuchenschock anders klingen dürfte. Die dreissig Künstler von der Malerin Maria Lassnig bis zur Konzeptkünstlerin Rosemarie Trockel, von Christian Boltanski bis Andy Warhol, soviel sei als Warnung an alle Trosthoffenden gesagt, beschäftigen sich zwar gelegentlich auch mit Bewältigungsstrategien. Etwa wenn sich in Trockels Video "Manus Spleen" eine Frau zu einem Toten ins Grab legt, um sich ihr eigenes Begräbnis vorzustellen, Adrian Paci sich von einem professionellen Klageweib besingen lässt, oder die poppigen Särge der ghanaischen Begräbniskünstler Ataa Oko und Kudjoe Affutu zeigen, dass man Menschen auch fröhlich in Tigern, High Heels oder Zangen begraben kann. Aber wirklich therapeutisch ist das alles nicht.

"Trauern" ist vor wie nach der Pandemie eine Themenschau als memento mori, die jene unausweichliche Schwierigkeit facettenreich und für viele gesellschaftliche Bereiche beschreibt, dass man vom Tod am liebsten nichts wissen will, aber leider muss. Vor allem, wenn es den Tod anderer betrifft, mit deren Verlust immer etwas unwiederbringlich verloren geht. Will man die Ausstellung in diesem Wissen dann doch neu auf die Corona-Krise beziehen, dann kann ihr Tenor eigentlich nur ein Gefühl vor Dankbarkeit auslösen: für all jene, die so energisch darum kämpfen, dass so wenig Menschen wie möglich an diesem Virus sterben müssen.

Trauern. Von Verlust und Veränderung. Kunsthalle Hamburg, verlängert bis 2. August 2020.

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