Kunst:Wollust im Weltraum

Lesezeit: 3 min

Die zündende Ausstellung "Zero Gravity" zum Mondlandejubiläum in der Eres Stiftung

Von Evelyn Vogel

Die Rauminstallation von Peter Kogler scheint die Besucher der Schwerkraft zu entheben. Im Vordergrund ein voll einsatzfähiger Space Suit, eine Replik des A7L-Raumanzugs, wie ihn die Apollo-Besatzung trug. (Foto: Courtesy Gerhard Daum, Technik Museum Speyer / Thomas Dashuber)

Der durch Frank Sinatra bekannte Song "Fly Me To The Moon", der aus gegebenem Anlass im Frühjahr in der gleichnamigen Schau im Kunsthaus Zürich lief, ist in der Ausstellung "Zero Gravity" in der Eres Stiftung in München nicht zu hören. Bei der hiesigen Space-Odyssee greift man zur verfeinerten Musikauswahl und stellt Vinyl-LPs mit Musik von John Cage, Brian Eno, György Ligeti, den Stones und Sun Ra zur Verfügung, die auf Besucherwunsch auf einer Braun-Stereoanlage des Designers Dieter Rams von 1972 abgespielt wird. Dafür läuft aber als popkulturelles Highlight der Vorspann des Films "Barbarella", in dem sich Jane Fonda in einem unfassbar sexy Striptease in scheinbarer Schwerelosigkeit ihres Raumanzugs entledigt. Das entspricht natürlich in keiner Weise einem emanzipierten Frauenbild, vielleicht gerade noch der Hippie-Stimmung aus dem Entstehungsjahr 1968, ist aber herrlich anzusehen.

Dazu hat Peter Kogler, Künstler und Kurator der Präsentation, die Ausstellungsräume in eine spiegelnde Rauminstallation im Op-Art-Stil verwandelt. Eine Folie mit parallel verlaufenden Linien und gewölbten und verzogenen Bögen bedeckt Wände und Böden. Die Räume muten wie biomorphe, mit heterotopischen Strukturen überzogene Gebilde an, die die Sinne herrlich verwirren. So werden die Besucher schon beim Betreten der Souterraingalerie scheinbar der Schwerkraft enthoben: "Zero Gravity" eben.

1 / 4
(Foto: Thomas Dashuber/the artist)

Peter Koglers Rauminstallation mit Spaceman (Privatsammlung Wien).

2 / 4
(Foto: Annie Leibovitz)

Annie Leibovitz hat die Astronautin Eileen Collins im Johnson Space Center in Houston 1999 fotografiert.

3 / 4
(Foto: Dominik Gigler/the artist)

Gregor Hildebrandts Objekt "Das Glockenklöppel" von 2017 aus Kassettenmaterial (Privatsammlung).

4 / 4
(Foto: Sonia Leimer, VG Bild-Kunst, Bonn 2019)

Kein kleiner Fußabdruck, sondern große Ohren: "Mickey Mouse" von Sonia Leimer von 2017 (Siebdruck auf Titanfolie).

Trotz popkultureller Zuneigung verfolgt die Eres Stiftung immer auch einen ernsthaften wissenschaftlichen Zweck. So werden in der Vortragsreihe der Wissenschaftler und frühere Astronaut Ulf Merbold und der Chef der Europäischen Weltraumorganisation Esa, Johann-Dietrich Wörner, erwartet; außerdem der Architekt Wolf D. Prix von Coop Himmelb(l)au. Von diesem Architekturbüro ist auch das Modell von "The Cloud" von 1968 zu sehen, das wie viele andere Objekte und Projekte in dieser Ausstellung von den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Nasa-Programme und der Raumfahrtbegeisterung in den Sechzigerjahren inspiriert ist. Ein voll funktionsfähiger Raumanzug ist ebenso ausgestellt wie Ausrüstungsgegenstände, die tatsächlich bei Mondmissionen zum Einsatz gekommen waren.

Im Mittelpunkt dieser Ausstellung anlässlich des 50. Jahrestags der ersten Mondlandung in der Nacht vom 20. auf den 21. Juli 1969 steht jedoch die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema. Und hier hat die Eres Stiftung ein richtiges Feuerwerk gezündet, mit dem, was sie an Leihgaben aus zahlreichen Privatsammlungen in aller Welt sowie aus dem Technikmuseum Speyer zusammengeholt hat: Entwürfe des Architekturvisionärs Buckminster Fuller, der den brutalistischen Baukörpern seiner Zeit energieeffiziente und naturnahe Form- und Materialkonzepte entgegensetzte. Heute schon historische Zeichnungen, Modelle, Kataloge und Lithografien von Künstlern wie Andy Warhol, Lawrence Weiner, Fred Sandback, Sol LeWitt, Richard Serra, Otto Mühl, Dan Flavin und anderen, die sich der Begeisterung ihrer Zeitgenossen, den Weltraum zu entdecken und einst jenseits unserer Erde zu siedeln, nicht entziehen konnten.

YouTube

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von YouTube angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von YouTube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Einer, der in besonderem Maße Feuer und Flamme für die Raumfahrt war, war Robert Rauschenberg. Er ließ sich aber nicht blindlings von der Technikbegeisterung mitreißen, sondern suchte in seinem künstlerischen Ausdruck nach einer Versöhnung von Technik und Natur. Darüber hinaus sind Filme, Poster und Fotos zu sehen, die belegen, wie sich die Mode - herrlich die Beispiele von Richard Avedon -, ja die gesamte Unterhaltungsindustrie mit Begeisterung auf allerlei Space-Odysseen begab. Aber auch die eingeladenen zeitgenössischen Künstler beweisen, dass die Faszination für den Weltraum längst nicht erloschen ist und nur eines kleinen Funkens bedarf, um sich zu entzünden. Dabei arbeiten einige von ihnen fast schon interdisziplinär, wie Lukas Kindermann, dessen wissenschaftliche Akribie mit Details umzugehen für sich spricht.

Je weiter man in der Ausstellung vordringt, desto weiter ziehen sich die thematischen und die interkulturellen Kreise. Nicht nur in der westlichen Welt herrschte Kosmos-Euphorie. Schließlich gab es inmitten des Kalten Kriegs ein Wettrennen zwischen West und Ost um die Eroberung des Weltraums. Unter anderem ist da neben Papierarbeiten das Licht-kinetische Objekt des slowakischen Künstlers Stano Filko aus den Sechzigerjahren zu sehen. Auch Ausschnitte aus den damals mehr als 28-stündigen grieseligen und immer wieder von Sendestörungen beeinträchtigten Live-Übertragungen der Mondlandung, die weltweit gesendet wurden, sind zu sehen; dazu ein Interview, das Sabine Adler von der Eres Stiftung mit dem Astronauten und Moonwalker Charlie Duke geführt hat. Schließlich weißt ein Stück einer deutschen V2-Rakete auch darauf hin, dass die Weltraummissionen der Amerikaner auf den Erkenntnissen von Hitlers Raketentechniker Wernher von Braun basierte.

Doch noch einmal zurück zum Anfang der Ausstellung und den eher lustvollen Momenten. Inmitten des silbrig gestalteten Raums von Kogler - selbst die Gewölbedecken sind in der Farbe gestrichen - schweben "Silver Cloud"-Repliken. Die heliumgefüllte Kissen aus Metallfolie hat Andy Warhol 1966 entworfen. So man sie entsprechend sanft antippt, trudeln sie träge und scheinbar schwerelos durch den Raum - fast so schön wie Barbarella.

Zero Gravity. Apollo 11 And The New Notion Of Space , Eres Stiftung, Römerstr. 15, Eröffnung: Sa., 20. Juli, 19 Uhr, zu sehen bis 30. Nov., Di./Mi./Sa. 11-17 Uhr und nach Vereinbarung (11. Aug. bis 2. Sept. Sommerpause), Termine zum wissenschaftlichen Begleitprogramm unter www.eres-stiftung.de

© SZ vom 20.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: