Süddeutsche Zeitung

Kunst:Warme Körper im kalten All

Ein Weiser mit Humor: In der Kunsthalle Bremen wird Norbert Schwontkowski gezeigt, dessen fast naive Malerei man zu lange unterschätzt hat. Einen "Alu-Hut" betitelte der Künstler schon im Jahr 1993 mit "Spiritual Defense".

Von Till Briegleb

Norbert Schwontkowski hat die Quelle seiner Inspiration einmal so beschrieben: Der Ausgangspunkt für die Kunst sei der Gegensatz zwischen "der Wärme des eigenen Körpers und der Kälte des Weltalls". Diese Dialektik zwischen dem Profanen und dem Unbegreiflichen zieht sich durch Schwontkowskis gesamte Malerei, oft als das kleine Menschlein auf dem Bild, und die große Frage im Titel. Schattenhafte Figuren stehen um ein brennendes Ölfass und wärmen sich die Hände, oder sie sitzen klein auf einer Bergkuppe im Schnee an einem Lagerfeuer, aber die Titel verweisen gleich auf das ganz Große: "Church Street" das eine, "Spirituell" das andere. Der "Letzte Brief vom letzten Menschen" ragt noch mit einem Eckchen aus der Sintflut, ein Zug fährt aus einem schwarzen Tunnel in den nächsten und zeigt in kurzer Lichtfahrt "Das ganze Leben".

Und in einem Bild hat Schwontkowski den ständigen Kampf zwischen der endlichen Wärme des Daseins und der Unendlichkeit des Unbehausten auch konkret gefasst. Das Porträt eines durstigen Manns nachts am Kühlschrank, weiß illuminiert von der Birne im Inneren wie ein Heiliger bei El Greco, ist benannt: "Bosch (die Kälte des Weltalls)."

Obwohl Norbert Schwontkowskis figürliche Malerei auf den ersten Blick naiv, humorig und schlicht erscheinen kann, wie sie mit skizzenhaften Bildmotiven in kindlicher Ausführung eine ironische Sicht auf die Welt und das Leben zeigt, verbirgt sich in der fortlaufenden Erzählung vom Einfachen die tiefe Melancholie eines Sinnsuchers. Im Wesen erscheint dieses Lebenswerk wie religiöse Malerei ohne Kirche und Glauben.

Eine ganze Studentengeneration fühlte sich durch ihn von der malerischen Perfektion befreit

Die Wanderung durch die freundliche Motivliturgie des Bremer Malers, der 2013 mit 64 Jahren in seiner Heimatstadt an einer schweren Krankheit verstarb, lässt sich nun zum zweiten Mal innerhalb von 16 Jahren in der dortigen Kunsthalle unternehmen. Mit der großen Ausstellung "Kino" im Jahr 2004 wurde der unermüdlich produktive Maler wirklich berühmt und zum Vorbild einer Studentengeneration, die sich durch ihn von der malerischen Perfektion befreit fühlte.

Mit der jetzigen zweiten großen Retrospektive mit dem Titel "Some of My Secrets", die in etwas anderer Form vorher im Kunstmuseum Bonn zu sehen war, wird der Beweis erbracht, dass Norbert Schwontkowskis Bildwitz Beständigkeit und echte Tiefe auch nach dem Hype behielt.

Einige Werke durften wiederkehren, etwa der große Dom mit dem riesigen "Kino"-Schild, der die Bruderschaft von Erleuchtung, Erscheinung, aber auch der Einbildung bei Kirche und Film behandelt und der ersten Ausstellung ihren Titel gab. Oder das in einem Birkenwald zerschellte Flugzeug der Linie "United". Als Memento mori auf die Technikgläubigkeit und die durch sie zerstörte Umwelt zeigt das großformatige Bild spirituell betrachtet das gestrandete "Luftschiff", das sich Gemeinschaft nennt. Das ist der immer mitschwingende Pessimismus Schwontkowskis, natürlich ein freundlicher Pessimismus, denn der ständig zweifelnde Skeptiker bringt die Betrachter zunächst zum Schmunzeln, auch mit den Bildern, die zwischen den beiden Schauen entstanden sind.

Ein einsamer roter Kardinal steht in einem Museum der schwarzen Bilder und versteht die Welt nicht mehr. Ein gigantischer bunter Kristall wächst bedrohlich hinter einer Straße mit kleinen Autos und Figürchen empor und verkündet lapidar: "Alle wollen nach Hause". Ein großes Reifenlager hatte ein "Good Year." Und ein riesiges Kugelwesen in einem Saal der leeren Betten träumt mit aufgerissenem Lochmund einen "Bad Dream". Überall verschleiert Schwontkowskis Humor bewusst unvollkommen die Tragik des Lebens, die hinter seinen Bilderfindungen bitter durchscheint.

Und obwohl deutlich auffällt, dass seine Palette, die früher hauptsächlich aus braunen und grünen Schmutzfarben bestand, in den letzten Jahren mit Rosa-, Gelb- und Rottönen ein neues warmes Leuchten dazugewann, zog gleichzeitig konkreter Schrecken mit auf. Das Landschaftsbild einer großen Flut als Bearbeitung der Tsunami-Katastrophe von 2011 in Japan, ein schwarzes Meer, auf dem unvernünftige Menschen mit Regenschirm in klitzekleinen Booten schwimmen, während ein Vorhang aus Blitzen sie mit elektrischer Vernichtung bedroht, oder ein panisch blickender Segler auf der roten See, der vor etwas Grauenhaftem außerhalb des Bildes flieht, betitelt "Der letzte Schrei", sind Zeugen einer wachsenden Angst in Schwontkowskis Werk seines letzten Jahrzehnts.

Nicht zufällig hatte er die Existenzpole aus warmem Körper und kaltem Weltall, deren ständige Gegenwart seine Arbeit unter Strom setzten, immer auch als "Schmerz" beschrieben. Ein Schmerz, den er in "Poesie" verwandeln wollte, sich wohl bewusst, dass dieses Wort heute einen irgendwie kitschigen Ruf hat. Aber in dem Sinn, dass Poesie ein großes Wissen und eine hohe Sensibilität in knappe Kunst verwandelt, ist Schwontkowskis Malerei tatsächlich gemaltes Gedicht, getränkt von dem skeptischen Humor eines Weisen. Und natürlich in seiner Wirkung auf der gesicherten Basis der Weltkunst gebaut, die durch alle grafische Struktur seiner Arbeit wahrnehmbar ist.

Einflüsse sowohl der Romantik von Caspar David Friedrich wie der sarkastischen Malerei eines Sigmar Polke oder Martin Kippenberger sind in der frechen Melancholie Schwontkowskis immer wieder bemerkt worden. Aber auch die alten Meister, seine "Lieblingsmaler", die er einmal als Schafherde porträtiert hat, lassen ihren Einfluss deutlich spüren: Brueghel, Giotto, Vermeer, aber auch Dalí und Goya, und natürlich Bosch, nicht der Kühlschrank, der Maler. In diesem Bezugsfeld ist Schwontkowski der geniale Sturkopf, der die technische Perfektion verweigert, und das so erklärt: "Manchmal sitze ich nur und rauche eine Menge Zigaretten. Und ich denke über Kunst nach und frage mich, warum ich Kunst nicht mag, wenn sie zu glatt ist, zu glänzend. Ich versuche in meiner Kunst mehr das Gebrochene (oder Zerbrechliche?) zu zeigen."

Einen "Alu-Hut" betitelte der Künstler schon im Jahr 1993 mit "Spiritual Defense"

Das zeigt seit kurzer Zeit in Bremen nun auch das Sammlermuseum Weserburg mit einem eigenen Schwontkowski-Raum. Der Bremer Sammler Udo Seinsoth hat dem Haus 210 Arbeiten des Lokalgenies vermacht, von seiner einzigen Miniskulptur bis zu umfangreichen grafischen Arbeiten und einigen Gemälden. Genug Material, um einen Saal immer wieder thematisch neu zu gestalten, parallel zur großen Schau in der Kunsthalle zunächst mit einem Schwerpunkt auf die Papierarbeiten, die Schwontkowski als ebenbürtig zum Leinwandbild betrachtet hatte. Hier gibt es einen frühen "Alu-Hut" aus dem Jahr 1993 zu entdecken, betitelt "Spiritual Defense", oder "Gute Menschen" als schwebende Schatten sowie verschiedene originelle "Versuche, die Welt zu begreifen".

Ob ihm das schließlich gelungen ist, das bleibt "some of his secrets". Die humorvolle Spiritualität seiner Versuche hat er den warmen Körpern zur frohen Erbauung aber in reicher Zahl hinterlassen. Und dafür lohnt eine Reise nach Bremen oder zur nächsten Station in Den Haag. Die Kälte des Weltalls kann warten.

Norbert Schwontkowski: Some of My Secrets. Kunsthalle Bremen. Bis 2. August. Der Katalog kostet 38 Euro. Schwontkowski-Raum. Weserburg Bremen, Dauerausstellung.

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SZ vom 18.06.2020
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