Kunst:Von Athen gelernt

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Schlechte Nachrichten aus Kassel? Oder gar ein Tunnelblick? „The Course of Empire (Work in Progress)“ von Michael Auder. (Foto: documenta 14/Jasper Kettner)

Die Doppel-Documenta in Griechenland und Kassel hat sich finanziell übernommen, die Häme ist groß. Die Unterfinanzierung der Schau und den Spott über die künstlerische Bilanz sollte man aber auseinanderhalten.

Von Catrin Lorch

Die Documenta 14 wird mit einem Defizit enden. Die Weltausstellung für zeitgenössische Kunst, die alle fünf Jahre stattfindet und am kommenden Sonntag in Kassel zu Ende geht, hat ein akutes Finanzproblem. Das Land Hessen und die Stadt Kassel - sie sind Gesellschafter der Documenta GmbH - werden mit Bürgschaften in Millionenhöhe einspringen. Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle, er ist Vorsitzender des Aufsichtsrats, hat brieflich "Sicherheitszusagen" bestätigt. Der laufende Betrieb der letzten Tage sei aber nicht gefährdet.

Es gibt Momente, da scheinen sich die Pointen und Metaphern von selbst einzustellen. Die Documenta 14 hatte unter dem Titel "Von Athen lernen" die Schuldenkrise, Neoliberalismus und Geld als zentrale Motive gesetzt. In der Hessischen/ Niedersächsischen Allgemeinen (HNA), der Zeitung, die als erste auf das Minus hinwies, war zu lesen, dass der "Skandal" am "Co-Standort Athen" verursacht worden sei, aufgrund "kurioser Fehleinschätzungen" des künstlerischen Leiters Adam Szymczyk. Zudem habe die Ausstellung erstmals auch einen Publikumsrückgang in Kassel zu verzeichnen, dort seien drei Prozent weniger Besucher gekommen.

Die Ausstellung distanzierte sich vom Markt - und wurde mit Verrissen überhäuft

Weder der Aufsichtsrat noch die Documenta wollen zum gegenwärtigen Zeitpunkt allerdings die Höhe des Defizits bestätigen. Zahlen gebe es erst nach dem Abbau, hieß es im Umfeld der Documenta, eine Finanzprüfung habe bislang keine Unregelmäßigkeiten entdecken können. Annette Kulenkampff, als Geschäftsführerin für die Finanzen verantwortlich, hatte aber schon vor der Eröffnung den Etat als "zu niedrig" bezeichnet und erklärt: "Im Verhältnis zur Finanzierung von Theatern ist die Documenta durch die öffentliche Hand unterfinanziert. Eine Erhöhung der öffentlichen Zuwendungen wird in der Zukunft notwendig werden." Die Documenta 14 wurde von Stadt und Land mit jeweils 7,5 Millionen Euro unterstützt, die Kulturstiftung des Bundes zahlte 4,5 Millionen, den Rest des Budgets in Höhe von insgesamt 37 Millionen muss sie selbst erwirtschaften, durch Eintrittspreise, Kataloge, Merchandising und Sponsoren.

Die schlechten Zahlen könnten zum Ende auch die ästhetische Bilanz einer Ausstellung rot färben, die in den Medien schon vorher zur "bestgehassten Documenta" erklärt wurde. Die Welt konstatiert jetzt das "dramatische Finale einer auf allen Ebenen völlig verkorksten Documenta". Selten ist eine Ausstellung in der deutschen Öffentlichkeit so verrissen worden - mit Ausnahme vielleicht einiger ihrer Vorgänger. Denn auch heute legendäre Ausgaben, wie die von Harald Szeemann im Jahr 1972 oder die Documenta 10 von Catherine David, wurden während ihrer Laufzeit nicht nur kundig kritisiert, sondern auch populistisch als rundherum misslungen diffamiert. Es scheint, als provoziere die Autorität dieses wohl bedeutendsten Ausstellungsprojekts zur zeitgenössischen Kunst die Kommentatoren zuverlässig.

Die Documenta 14 hat mit ihrer politisch motivierten Haltung und ihrer Weigerung, die populären Narrative der zeitgenössischen Kunst zu bedienen - den Kunstmarkt und den westlichen Kanon -, die Szene nachgerade herausgefordert. Es ging ihr nicht darum, allein Werke oder Namen zu etablieren, sondern Misstrauen gegenüber dem Kunstsystem zu formulieren: In wessen Dienst, in welche Zusammenhänge stellen sich Künstler, Museumsleute, Ausstellungsmacher? Das Gegenüber der weißen, allegorischen Marmorskulpturen des 19. Jahrhunderts mit dunkel-strahlenden Bronzen aus dem Benin in der Neuen Galerie gerann zum Bild dieser Konfrontation. Ein paar Säle weiter ging es um NS-Kunst und das Weltbild der Kolonialzeit -, und man akzeptierte, in aller Generosität, dass die Masken des Chiefs Beau Dick abgeräumt und für ein paar Wochen nach Kanada zurückgeflogen wurden, weil der Stamm sie für Rituale brauchte.

Im Mittelpunkt der Kunstschau standen Performer und Musiker wie Jani Christou, das gewaltige, hochkarätige Begleitprogramm aus Lesungen, Performances, Theateraufführungen, Filmabenden, Konzerten - erst am Freitag trat im Staatstheater in Kassel eine Legende wie Frederic Rzewski auf - ist wohl von keinem Kritiker wirklich gewürdigt worden; dabei gab es anfangs wohl sogar Überlegungen, das Verhältnis zwischen einem so gewaltigen Programm und der Ausstellung umzukehren, diese zum Nebenschauplatz zu erklären.

Dass die Documenta 14 sich vom Markt distanzierte, wurde in Momenten offensichtlich, in denen ein Künstler wie Daniel Knorr sich in Athen genötigt sah, vor den Kameras deutscher Kultursender im Akkord seine Buchpresse zu bedienen, damit genügend Geld für die teuren Nebelmaschinen zusammenkam, die den Turm des Fridericianums in Kassel in einen gewaltigen Schornstein verwandelten. Die Lieblingsgeschichte der westlichen Kunstöffentlichkeit, nach der sich junge, unverstandene Kunst im Sonnenglanz internationaler Aufmerksamkeit in Gold verwandelt, sie wurde hier konterkariert. Dazu kam ein Beharren darauf, dass sehr aktuelle zeitgenössische Kunst auch von alten und auch toten Künstlern stammen kann.

Der zugrunde liegende moralische Anspruch befremdete viele. Irritiert notierte die Szene eine Verwandlung des einst so smarten Kurators Adam Szymczyk, der als ersten Künstler den Flüchtling Hiwa K verpflichtete und als zweiten Spielort Athen annoncierte. Schnell wurde deutlich, dass Athen kein Ableger sein sollte, sondern der Versuch, das traditionsreiche, monumentale Projekt nicht nur zu verlegen, sondern auch zu verdoppeln. Die Ausstellung wurde selbst zur sozialen Plastik: In Athen renovierte man Künstlervillen, eröffnete den aus Sparzwang stillgelegten Neubau des Museums für zeitgenössische Kunst und lud die Sammlung auch mit gewaltigem Aufwand nach Kassel. Die Künstlerin Maria Eichhorn übersetzte die griechische Immobilienkrise nicht einfach in Bilder, sondern arbeitet mit allem juristischen und finanziellen Aufwand an einer "besitzerlosen Immobilie", in Kassel gründete sie ein Institut für Raubkunst-Recherchen.

Als es galt, Martha Minjuins "Parthenon of Books" zu bestücken, forschten Wissenschaftler an einer vollständigen Liste der von den Nationalsozialisten verfemten Literatur. Die Künstlergruppe "Forensic Architecture" rekonstruierte die Verstrickungen des Verfassungsschutzes in den NSU-Mord an Halit Yozgat in der Kasseler Holländischen Straße. Die Documenta wird mit einer "Hommage an Pavlos Fyssas" enden, einen Musiker, der am 17. September 2013 in Athen von einem Unterstützer der rechtsradikalen Partei "Goldene Morgenröte" umgebracht wurde. Keine Großausstellung zeitgenössischer Kunst war je so eingebettet in die sozialen und politischen Verhältnisse ihrer Zeit.

Mehr als eine Million Menschen sahen diese Doppel-Documenta. Das ist ein Riesenerfolg

Kann so ein Versuch an schlechten Saaltexten scheitern? Dass die Vermittlung unzureichend war, sagen alle, die weder die Website noch das Magazin South konsultiert haben. Doch ist das Experiment wirklich verunglückt? Abgesehen davon, dass diese Ausgabe nicht die erste ist, die mit einem Defizit abschließt - der legendäre Harald Szeemann musste nach einem 800 000-Mark-Defizit sogar Haftungsansprüche abwehren -, lässt sich die Entscheidung für Athen aus dem Projekt nicht wieder herausrechnen, sie war ja die Basis des Konzepts. Und der Athener Teil hat, mit geschätzten 70 000 bis 300 000 Besuchern, als erfolgreichste Ausstellung zeitgenössischer Kunst in Griechenland überhaupt zu gelten. Insgesamt wurde diese Documenta an ihren beiden Standorten von mehr als einer Million Menschen gesehen, von mehr als jede Ausgabe vor ihr. Auch eine umstrittene und unterfinanzierte Ausgabe bringt, unter dem Strich, übrigens noch viel Geld in die Stadtkasse: Die Documenta 12 schlug mit 100 Millionen Euro zu Buche, heißt es.

Die aufwendige, visuell so starke Kunst ist anfälliger als alle anderen Künste für Manipulationen, den Markt, die Vereinnahmung für den Import und Export von Idealen und Werten. Es hat sich bislang ausgezahlt, dass die Documenta ihre Unabhängigkeit behaupten konnte. Die kontroverse Entscheidung der Documenta 14 für Athen, die Kompromisslosigkeit dem Kunstmarkt gegenüber wird unvergessen bleiben, ihre Welthaltigkeit, ihre Neugier auf unbekanntes Terrain. Die Frage ist also nicht, ob man sich auch womöglich sperrige oder unpopuläre Konzepte in der hessischen Provinz leisten kann, sondern ob man es will. Das Schreiben, auf dem der OB zur finanziellen Situation Stellung nimmt, trägt im Briefkopf den roten Schriftzug "Kassel, documenta Stadt".

© SZ vom 14.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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