Süddeutsche Zeitung

Ausstellung "Making van Gogh":Wenn Mensch und Werk verschmelzen

  • Im Frankfurter Städel Museum beschäftigt sich die Ausstellung "Making van Gogh" mit dem Nachleben Vincent van Goghs.
  • Van Gogh dient als prominentes Beispiel für die Symbiose von Mensch und Kunstwerk.
  • Erst die Kenntnis über van Goghs Leben eröffnete einem breiten Publikum einen Zugang zu seiner damals so ungewohnten Malweise.

Von Kia Vahland

Die Debatte, ob sich Werk und Autor trennen lassen, ob das Werk unabhängig vom Autor zu betrachten sei, war nie tot, in letzter Zeit aber nahm sie wieder Fahrt auf. Meist geht es dabei um persönliches Fehlverhalten, um sexuelle Übergriffe wie bei Kevin Spacey und Michael Jackson oder um Diktatorennähe wie bei Peter Handke. Manch ein langjähriger Fan möchte in solch heiklen Fällen das Werk vor seinem Urheber retten.

Die bildende Kunst strotzt aber vor Beispielen, in denen es dem Ruf von Künstlern im Gegenteil über weite Strecken nützt, wenn in ihrer Rezeption Mensch und Kunstwerk untrennbar miteinander verschmelzen. Der prominenteste Fall einer solchen - posthumen - Symbiose von Mensch und Malerei ist der 1890 viel zu früh gestorbene Vincent van Gogh. Seine furiose Pinselführung, seine blendenden, dick aufgetragenen Farben schienen schon Betrachtern um 1900 Ausdruck eines so obsessiven wie geplagten Charakters zu sein. Nur weil bald alle Moderne-Liebhaber sehr empathisch in van Goghs Gemälden und Zeichnungen immer auch den an seiner Zeit und am Leben leidenden Künstler erkannten, ließ sich dessen so radikal neue Kunst durchsetzen und eroberte dann auch den Massengeschmack.

Den Eindruck vermittelt die große Ausstellung "Making van Gogh" im Frankfurter Städelmuseum. Sie beschäftigt sich mit van Goghs Nachleben in Deutschland in den Jahren 1900 bis 1914, in der Zeit also, als aus dem umfangreichen, so schwer einzuordnenden Œuvre des Niederländers eine Marke wurde. Diese Geschichte zu erzählen ist überfällig, schließlich waren es neben den Niederländern vor allem die Deutschen, denen van Gogh seinen Ruhm verdankt. Und es ist verdienstvoll, dass die Institution sich nicht darauf beschränkt, rund 50 Bilder van Goghs zu zeigen, sondern dies mit einem dezidiert rezeptionshistorischen Ansatz verbindet.

Missverstanden in einem Land der Romantiker

Den Mythos vom nervösen, manischen und unglücklichen Maler setzte schon 1890, noch zu Lebzeiten des Künstlers, der Kunstkritiker Albert Aurier in die Welt, als er schrieb, Vincent van Gogh sei "ein Fanatiker, ein Feind bürgerlicher Nüchternheit und Kleinlichkeit, eine Art trunkener Riese, (...) ein schreckliches und irres Genie, oft überragend, gelegentlich grotesk, immer am Rande des Pathologischen". Van Gogh fühlte sich missverstanden und kritisierte seinen Kritiker in einem Brief, in dem er sich zu seinen Vorbildern, darunter Paul Gauguin, bekannte. Als leicht bis ganz verrückter Einzelgänger sah er sich offenbar nicht; bald darauf bat er seinen Bruder Theo, Aurier davon abzubringen, weiter über ihn zu schreiben. Womöglich fürchtete er um seinen Ruf und seinen Erfolg, wenn er als einsamer Kauz dastand.

Das nützte nichts. In Deutschland, dem Land der Romantiker, fielen Auriers Worte nach van Goghs Tod auf fruchtbaren Boden. Im frühen 20. Jahrhundert suchten Kunsthistoriker, Sammler und Künstler der Avantgarde nach Ahnen, die auch schon entschieden und hochemotional mit allem Dagewesenen gebrochen hatten. Es schreckte sie nicht, sondern machte sie neugierig, wie sehr van Goghs Kunst verunglimpft worden war ("von Pocken befallen" seien seine Bilder, schrieb ein früher Rezensent). Nach einer Retrospektive im Jahr 1905 im Amsterdamer Stedelijk Museum kauften erst deutsche Sammler, dann die Museumsdirektoren systematisch Werke des Niederländers. 1908 erwarb das Städelmuseum sein erstes Gemälde des Meisters, das "Bauernhaus in Nuenen".

Deutsche Expressionisten sogen die Eindrücke auf und bewunderten den Maler für seinen Mut, seine Subjektivität, seine Farbintensität und seine Freiheit. Im Jahr 1914 befanden sich schon rund 150 Gemälde van Goghs in privaten und öffentlichen deutschen Sammlungen.

Spätestens seit der Kunsthistoriker Julius Meier-Graefe begonnen hatte, van Gogh als "brutalen Barbaren" zu feiern und ihn dann sogar als "Christus der modernen Kunst" bezeichnete, war es hierzulande um die Trennung von Person und Werk geschehen. Die Idee eines sich quälenden, genialen Außenseiters beförderte van Gogh nicht ins Abseits, wie er das selbst befürchtet haben mochte, im Gegenteil, diese Sichtweise wurde in Deutschland zur Bedingung seines Aufstiegs. Erst das Mitgefühl mit dem Menschen van Gogh eröffnete einem breiten Publikum einen Zugang zu seiner damals so ungewohnten Malweise. Als schließlich die Nazis Werke van Goghs aus deutschen Museen abhängten und verkauften, bekämpften sie einen längst Etablierten. Nun wurde van Goghs persönliche Disposition gegen ihn verwendet; jetzt galten er und seine expressionistischen Nachfolger als gefährlich verrückt und ihre Kunst deshalb als "entartet".

Die von Felix Krämer und Alexander Eiling umsichtig zusammengestellte Ausstellung behandelt die frühe Rezeption van Goghs in Deutschland systematisch; Sammler, Händler und Museumsdirektoren werden vorgestellt; Johanna van Gogh-Bonger, die Schwägerin und Nachlassverwalterin des Malers wird zu Recht ausführlich gewürdigt. Und man erfährt, wie das Städel van Goghs bedeutendes Porträt des "Doktor Gachet" erst sehr früh erstand, dann während der NS-Zeit abgeben musste (heute verliert sich seine Spur im Privatbesitz). Ein hinterer Teil der Schau beschäftigt sich damit, wie genau van Goghs Kunst in Deutschland wirkte, wie deutsche Künstler seinen Farbauftrag imitierten und ihren eigenen Selbstporträts die gleiche Dringlichkeit verleihen wollten wie der große Suchende. Diese Aufteilung in Sammlungs- und Kunstgeschichte mag nötig sein, um so viel Informationen auf die Säle zu verteilen, ohne zu verwirren - sie erscheint aber auch an manchen Stellen künstlich, schließlich war die deutsche Vincent-van-Gogh-Verehrung immer auch ästhetisch gemeint und nicht nur Huldigung eines Künstler-Typus.

Die Strahlkraft von van Goghs Kunst

Das lässt sich an den gezeigten Bildern gut ablesen. Als Alfred Flechtheim im Jahr 1910 die "Pappeln in Saint-Rémy" von 1889 kaufte, tat er das sicher nicht nur wegen des Künstlermythos um van Gogh, sondern auch wegen der besonderen Dynamik des Gemäldes - man meint, das Rauschen der Blätter im Wind zu vernehmen und den Maler beim schnellen Pinselschwingen zu beobachten.

Die Sonne, die der niederländische Maler in Frankreich einfing, blendete noch seine deutschen Anhänger, die sich nach einem satten Gelb sehnten, wie es etwa van Goghs "Weiden bei Sonnenuntergang" von 1888 füllt. Doch das matte Licht im Norden umhüllt die Menschen und ihre Kunst nicht wie im Süden; Max Pechstein, Erich Heckel, erst recht Otto Dix umkreisen die Sonne nur, ohne ihrer Strahlkraft je so gerecht zu werden, wie das van Gogh gelang.

Schon näher kommen Gabriele Münter und Paula Modersohn-Becker ihrem Vorbild in den Porträts einfacher Frauen vom Land - zwar orientieren die Künstlerinnen sich nicht direkt an Kompositionen van Goghs, aber sie würdigen wie er die Farben, die Körperhaltung, die Ausstrahlung von Menschen, die mit wenig Mitteln auskommen müssen. Die beiden Malerinnen, denen das maskuline Selbstverständnis als einsame, leidende, genialische Wölfe nicht offensteht, konzentrieren sich tatsächlich ganz auf den ästhetischen und ethischen Gehalt der Werke.

Nun kannten sie auch noch nicht all die Filme und Biografien, die das Bild des Künstlers als wahnsinnigen Berserker später festzurrten. Heute erscheinen im Fall van Goghs Leben und Werk untrennbar verwoben - es ist gut zu wissen, wie es dazu kam.

Making van Gogh. Geschichte einer deutschen Liebe. Städelmuseum Frankfurt. Bis 16. Februar. Katalog (Hirmer-Verlag) 39,90 Euro im Museum.

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Quelle:
SZ vom 23.10.2019/sloh
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