Kunst versus Propaganda:Zum Heulen schön

Die Ausstellung "After the Fact" in München handelt von der Propaganda der Gegenwart - und führt vor, warum die Kunst nicht einfach mit Gegenpropaganda zurückschlagen kann.

Von Johan Schloemann

Mitten im amerikanischen Wahlkampfsommer und auf einem Höhepunkt der europäischen Populismus-Angst 2016 hat das Lenbachhaus in München eine Ausstellung über "Propaganda im 21. Jahrhundert" in Angriff genommen. Einen Tag vor der Wahl von Donald Trump beschloss man den Titel: "After the fact".

Und jetzt wurde die Ausstellung im unterirdischen Kunstbau des Museums eröffnet, zur selben Zeit, als der neue französische Staatspräsident seinen Gast aus Moskau öffentlich über den Unterschied von Journalismus und Propaganda belehrte. Nun läuft die Schau mit Werken, die nach der Jahrtausendwende bis soeben entstanden sind, bis zur Woche vor der Bundestagswahl.

Das klingt nach Schnellschuss, nach heißer Phase, vielleicht sogar Notwehr, und nicht gerade nach Autonomie der Kunst. Zur Erinnerung: Kunst hat sich immer dagegen gewehrt, bloß als Nachahmung der Wirklichkeit verstanden zu werden; sie verdoppelt nicht die Realität und illustriert sie auch nicht einfach.

Aber genau dieser Fehler wurde hier erfreulicherweise auch nicht gemacht. Ein Ausdruck der Zeit ist "After the fact" wohl, aber keine Zeitgeschichtsausstellung. Es sind keine Kunstwerke mit gelben Haartollen und überlangen Schlipsen zu sehen, auch keine reine Aneinanderreihung von Gegendarstellungen.

Manipulationen, leere Versprechungen, die Verwirrungen zwischen Authentischem und Inszenierung - alles das gibt es schon länger, das weiß man eigentlich und erfährt es hier auch am eigenen Leib, allein schon durch einen bewusst unübersichtlichen Aufbau.

Kompliziertes Gemisch aus Fakten und Fiktionalität

Die Kunstkapitel sind mit Stoffbahnen voneinander abgegrenzt, in den Übergängen dazwischen findet man jeweils dokumentarische Stationen. Fakten und Fiktionalität ergeben ein Gemisch, das mindestens so kompliziert ist wie die Wirklichkeit.

Zwar teilt die bildende Kunst mit der Propaganda die Lizenz zur gestischen Vereinfachung, und so gibt es in der Ausstellung auch einige Arbeiten mit klarer, auch plumper politischer Aussage. Zum Beispiel hat Wolfram Kastner ein deutsches Interieur unter dem Titel "Schöner Wohnen" ganz in Tarnfarben gedeckt, um gegen Waffenexporte zu protestieren; und Julian Röder fotografiert die Kameras und Apparaturen zur Abwehr von Flüchtlingen an der EU-Außengrenze.

Danke - Message verstanden. Man wird in der nächsten Woche in viel größerem Maßstab sehen, wie die Kasseler Documenta mit diesem Problem umgeht: Wenn sich Werke von dieser Art immer mehr häufen, dann sieht politisch sensible Kunst irgendwann längst nicht mehr aus wie die Nachfolge von Avantgarde und Aktivismus, sondern wie die Nachfolge der alten akademischen Historienmalerei, nur eben in kritischer Absicht.

Scheinbare Veredelung mieser Augenblicke

Doch schon solche Kunst kann beim Betrachten uneindeutig werden, sich ästhetisch verselbständigen, ja eigene grausame Schönheit annehmen, und das gilt natürlich erst recht für diejenige, die es bewusst auf solche Effekte anlegt.

Die Antwort auf "Propaganda im 21. Jahrhundert" heißt für die Kunst weniger, jene direkt zu bekämpfen und / oder abzubilden, sondern das Spiel mit unserer Wahrnehmung immer neu und weiter zu treiben.

Nah dran ist da etwa der amerikanische Künstler John Miller, vom dem neben dem grotesken Setting einer Quizshow eine Reihe von Bildern zu sehen ist, die jene Momente in Reality-TV-Sendungen festhalten, in denen echte oder vermeintliche Betroffene in echte oder erzwungene Tränen ausbrechen.

Die scheinbare Veredelung solch mieser Augenblicke durchs Tafelbild rührt an Tiefenschichten unserer Kultur, und zugleich denkt man daran, dass ein Reality-TV-Star jetzt im Weißen Haus sitzt.

Manipulation kennt und nutzt menschliche Sehnsüchte

Direkter mit einem Monument der Propaganda, und dennoch nicht plump, arbeitet die New Yorker Künstlerin Aura Rosenberg. Sie hat die Berliner Siegessäule im Zustand vor deren Umsetzung und Aufstockung durch die Nationalsozialisten aus Teig und Kunststoff nachgebildet, gebräunt, wie mit Zucker überzogen, beinahe organisch wirkend.

Sie spielt damit an das Vers-Motto an, das Walter Benjamin seiner "Berliner Kindheit" voranstellte: "O braungebackne Siegessäule / mit Winterzucker aus den Kindertagen." Und bevor jemand meint, das sei ja typische Berliner DAAD-Stipendiatenkunst, hat Aura (!) Rosenberg sich danach noch einmal ironisch abgesichert und ihre Vor-NS-Siegessäulen als "fehlendes Souvenir" in Serie gegeben.

Solche Differenzierungen fügen sich deshalb gut in die Wahrheitskämpfe der Gegenwart, weil ihre Schöpfer zwar letztlich meist auf der richtigen Seite zu stehen scheinen, aber auch auf eine Gefahr verweisen: dass nämlich aus der berechtigten empörten Reaktion auf "Fake News" und "postfaktischen" Populismus eine kämpferische Propaganda der Guten erwächst, die positivistisch eindeutige Wahrheiten behauptet.

In der politischen Kontroverse will man darauf beharren; die Kunst kann aber auch zeigen, wie wir alle Vereinfachungen lieben und uns sehr gerne etwas vorspielen lassen, selbst da, wo wir meinen, Missstände aufzudecken.

Das heißt nun aber nicht, dass die Ausstellung "After the fact" die ausgewählten Werke nicht auch zur neuen Qualität der Desinformation im digitalen Zeitalter in Beziehung setzen würde. Das tut sie, immer wieder recht geschickt, und nicht ohne Bewusstsein für die eigene Verstrickung des Kunstbetriebs.

Propaganda ist nicht mehr das Einhämmern einer einzigen Botschaft

An einer Stelle wird die gefälschte Website gezeigt, auf der Aktivisten eine Mitteilung des New Yorker Whitney-Museums verbreiteten, wonach dieses sich von seinen kritikwürdigen Hauptsponsoren trenne und sich für diese entschuldige (was natürlich nicht geschah).

Und auch konkrete politische "Fake News" kommen vor, etwa die Informationspolitik der USA im Irakkrieg, schön kontrastiert mit Ausschnitten aus der Comicserie "Die Simpsons", in denen der amerikanische Antikommunismus karikiert wird.

Propaganda im 21. Jahrhundert, das wird bei allem gewollten Durcheinander klar, ist nicht mehr Kommunikation mit Fahne, Plakat, Volksempfänger, nicht mehr das Einhämmern einer einzigen Botschaft an alle.

Reiz der "Lügenwelt der Konsequenz"

Sie ist eher virales Marketing, "Nudging" ("Anstupsen") und der Neusprech in Wirtschaft, Politik und Militär, den denn auch einige der gezeigten Kunstwerke aufwendig sezieren. Sie ist, wie es der kritische Soziologe Jacques Ellul 1962 beschrieb, "die Verbreitung einer Ideologie durch den gesellschaftlichen Zusammenhang, in der sie wirkt".

Und sie muss mit diversen Sehnsüchten in einer extrem ausdifferenzierten Gesellschaft rechnen: Dafür stehen symbolisch die seltsamen Communities, die sich gerne privat als Tiermaskottchen verkleiden, die "Furries", die die Fotografin Carmen Dobre-Hametner in kunstvollen Tableaus abbildet.

Ob das nun ein Trost ist in Zeiten gezielter Irreführung? Jedenfalls versteht man etwas besser den Reiz einer "Lügenwelt der Konsequenz" (Hannah Arendt), wenn man sich dieser Ausstellung aussetzt.

After The Fact. Propaganda im 21. Jahrhundert. Lenbachhaus München, Kunstbau, bis 17. September. Ein begleitender Theorie-Reader kostet 28 Euro. Info: www.lenbachhaus.de

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