Ausstellung "Utrecht, Caravaggio und Europa":Ein Bilderkosmos von düsterer Brutalität

Ausstellung 'Utrecht, Caravaggio und Europa'

Original und Nachbildung: In der Ausstellung "Utrecht, Caravaggio und Europa" sind die gleichnamigen Werke "Die Grablegung Christi" von Dirk van Baburen (r.), Caravaggio (Mitte) und Nicolas Tournier (l.) zu sehen.

(Foto: dpa)

Die Alte Pinakothek zeigt überwältigende Kompositionen der barocken Malerei. Die Schau schafft es, die Unterschiede zwischen dem Vorbild Caravaggio und seinen Nachbildnern deutlich zu machen.

Von Kia Vahland

Die Welt ist ein unwirtlicher Ort. Hier wird nicht geliebt, sondern sich prostituiert, nicht gelacht, sondern gespottet, nicht gespielt, sondern betrogen. Wer reden will, diskutieren gar, der steht so allein da wie der zwölfjährige Jesus zwischen den Schriftgelehrten - bevor er sie überzeugt hat. Der Bilderkosmos, der sich gerade in den dunklen Ausstellungssälen der Münchner Pinakothek entfaltet, ist von düsterer Brutalität. Die Caravaggisten im 17. Jahrhundert waren keine Nostalgiker, mit der schöngeistigen Sensibilität der Renaissance brechen sie. Jetzt kommt das wahre Leben, scheinen ihre Gemälde zu sagen - und führen dann die Betrachter doch nicht wirklich in die Spelunken und dreckigen Gassen, sondern auf eine theaterhafte Bühne, auf der Gaunerinnen und Mörder dramaturgisch perfekt inszeniert auftreten.

So entstehen bildstarke, überwältigende Kompositionen. Und der Pinakothek ist es gelungen, das Beste vom Besten vor allem der Utrechter, aber auch der anderen europäischen Nachfolger Caravaggios in der Schau zu versammeln. Woher aber kommt der Kult der Härte im Barock? Was ist das für eine Gesellschaft in Rom, in der die Demütigung darstellungswürdiger ist als das Mitgefühl und nicht einmal mehr die Verhöhnten ihre Gefühle offenbaren?

Ausstellung "Utrecht, Caravaggio und Europa": Auch ein Portrait der berühmten Medusa ist in der Alten Pinakothek zu sehen.

Auch ein Portrait der berühmten Medusa ist in der Alten Pinakothek zu sehen.

(Foto: AFP)

Die Ausstellung führt die Grenzen einer rein kunsthistorischen Betrachtung vor Augen, indem sie, wie in Kunstmuseen noch immer üblich, in den Sälen auf gesellschaftspolitische und mentalitätshistorische Einordnungen verzichtet. Zu Beginn ist ein Werbefilm zu sehen, der in elegischen Bildern durch Kirchen von Rom und Utrecht führt und sicher nützlich wäre, um Besucher herzulocken. Wer aber schon eine Eintrittskarte gekauft hat, will mehr Hintergründe erfahren; Wandtexte mit Bildbeschreibungen und ikonografischen Erklärungen genügen nicht, um das Ausmaß der Gewalt im Barock zu verstehen.

Stattdessen lädt die Schau zum vergleichenden Sehen ein. Es ist dem Kurator Bernd Ebert gelungen, neben Hendrick ter Brugghen, Gerard van Honthorst und anderen auch Gemälde ihres unerreichten Vorbildes zu präsentieren: Caravaggio. Gleich am Anfang flankiert sein Schild mit dem Medusenhaupt eine lange Reihe späterer Kopfabschlägerszenen. Schon da zeigt sich, welch ein Dialektiker Caravaggio war. Sein aus dem Hals blutender Frauenkopf mit Schlangenfrisur lehrt nicht nur die Betrachter das Fürchten, schließlich soll zu Stein werden, wer die Medusa anblickt. Sondern er zeigt vor allem das Entsetzen der Geköpften selbst, die noch zu leben scheint, obwohl Perseus sie doch schon enthauptet hat. Nicht Medusa ist erschreckend, sondern die Tat. Damit übertrifft Caravaggio in seiner Dramatik die Renaissance, und knüpft doch an sie an. Schon Giorgione und Sebastiano del Piombo zeigten bei Enthauptungsszenen kein reines Gut-Böse-Schema.

Die Kunst der Konfrontation

Nicht so all die Kopfjäger, die nun in der Pinakothek ihre Trophäen zur Schau stellen. Simon Vouet, Jusepe de Ribera, auch Valentin de Boulogne und Orazio Borgianni scheinen zu wissen, dass Caravaggio sich in einem (hier nicht ausgestellten) Gemälde sogar einmal selbst im abgeschlagenen Haupt Goliaths porträtierte. Doch für sie zählt nur, dass der junge Held David einen übergroßen Gegner tötete. Hendrick ter Brugghen und Bartolomeo Manfredi gesellen David jubelnde Israelitinnen bei. Aus der Selbstbefragung wird eine Malerei des Triumphs. Mag sein, dass hier, wie oft bei den Caravaggisten, die Kleinen über die Großen siegen. Das aber macht die Sache auch nicht subtiler. Der Verzicht auf Innerlichkeit führt zu einer Kunst der Konfrontation, einem Lagerdenken - vielleicht ist es dieses Moment, das die Caravaggisten nach einer Schau in der Londoner National Gallery nun schon im zweiten musealen Großereignis so aktuell erscheinen lässt. Diese Bilder kennen kein Win-win, hier wird auf Trumpsche Weise gepöbelt, attackiert, gewonnen oder verloren.

Das widert in einer "Verspottung Christi" von ter Brugghen auch den Gottessohn an, und doch scheinen die Attacken seiner Gegner die hell erleuchtete Figur nicht anzufechten. Nicht einmal Christus darf richtig leiden. Von der menschenfreundlichen Kunst Albrecht Dürers, der die formale Vorlage für die Figur lieferte, ist nicht mehr viel zu spüren.

Ausstellung 'Utrecht, Caravaggio und Europa'

Ein Großteil der internationalen Leihgaben ist laut Pinakothek zum ersten Mal in Deutschland zu sehen.

(Foto: dpa)

Von Caravaggio auch nicht. Wo dessen Hieronymus über einem Totenschädel meditiert, der seinem eigenen Haupt verdächtig ähnelt, da werden die Heiligen der Nachahmer zu zotteligen Alten. Ter Brugghens befreiter Petrus hat in der Haft seine Zähne verloren und vielleicht auch seinen klaren Kopf. Oder die Wahrsagerin: Caravaggio kleidet eine Römerin in, wie das damals hieß, Zigeunertracht - und bringt sie dann auf eine Bildebene mit dem jungen Mann, der auf sie hereinfällt. Simon Vouet dagegen betont den nun dunklen Teint seiner Betrügerin, lässt sie scheinbar naiv statt offen verschmitzt blicken und gesellt ihr dann noch eine ältere Diebin hinzu. Die Standesunterschiede zwischen Roma und Römern werden hart ausgespielt, Rollenwechsel sind nicht inbegriffen.

Es ist ein Verdienst der Schau, die Unterschiede zwischen Vor- und Nachbildern so deutlich zu markieren. Vielleicht aber würde man die Jüngeren gnädiger betrachten, würde ihre Derbheit origineller finden, müssten sie sich nicht so direkt am Meister des Hell-Dunkel und aller Schattierungen messen. Ein Hauptwerk Caravaggios ist ausgestellt, die "Grablegung Christi". Ein solch saalhohes Altarbild aus den Vatikanischen Museen bis nach München zu transportieren, ist ein mutiges Unterfangen. Es zu betrachten ist umwerfend - und ein leicht sündiges Vergnügen, weiß man doch, dass Bilder dieser Größe und dieses Alters sich nicht mehr gerne fortbewegen.

Erdenschwer strebt der tote Körper Christi nach unten, sein Maler kennt die Gesetze der Schwerkraft. Die Finger der Leiche berühren leicht die Steinplatte, auch im Herben, Theatralischen bleibt der Künstler ein Meister der kleinen Form. Bei Nicolas Tournier dagegen wird rund 33 Jahre später, um 1635, daraus ein hell beleuchteter, aber leicht anzuhebender Leib Christi. Auch das hat formale Stringenz, in der direkten Konfrontation aber muss das Bild enttäuschen, verzichtet es doch auf die physikalischen Kenntnisse Caravaggios.

Vielleicht lassen sich die Caravaggisten gerade nicht mit Caravaggio verstehen, sondern nur gegen ihn. Als Provokateure, zu deren Repertoire auch der Vatermord gehört. Maler, die dem Überwinder der Renaissance vorhalten, letztlich doch ein Renaissancemann gewesen zu sein, ein Zweifler, Denker, Melancholiker, der mit seinen guten Huren, schönen Bettlern, klugen Jünglingen das Dasein feierte.

Utrecht, Caravaggio und Europa. Alte Pinakothek, München, bis 21. Juli. Der Katalog (Hirmer Verlag) kostet im Museum 34,90 Euro.

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