Kunst:Unterwegs

In Basel wird Edward Hopper als Landschaftsmaler gefeiert. Wer genau hinguckt, sieht in seinen Bildern nicht nur eine schwelgerische Amerika-Nostalgie, sondern auch eine überraschende Zukunftsvision.

Von Kito Nedo

Die Landschaften von Edward Hopper (1882 - 1967) erzählen nicht von der Unberührtheit der Natur, sondern vielmehr von den Eingriffen des Menschen in die Umwelt. Sie feiern die technischen Errungenschaften der Infrastruktur, indem sie Brücken, Schienen und Straßen in das Zentrum der Betrachtung rücken. Freilich lässt sich in das Bild "Gas" von 1940, einer Tankstelle im Zwielicht, welche an einem undurchdringlich wirkenden Waldstück liegt, eine gewisse Unheimlichkeit hineindeuten. Andererseits: Muss das Erreichen von Tanksäulen und Tankwart in der einsetzenden Dämmerung auf einer langen Autofahrt damals - wie heute - nicht auch etwas Rettendes und geradezu Tröstendes gehabt haben?

In dem zur Ausstellung in Basel erschienenen Buch ("Edward Hopper A-Z", Hatje Cantz Verlag) weist der Kunsthistoriker und Kurator Ulf Küster darauf hin, dass Wald und Tankstelle aus Sicht des Autofahrers über den fossilen Brennstoff Erdöl miteinander verbunden erscheinen: "Das Erdöl, das aus natürlichen Bestandteilen besteht, macht es erst möglich, das Fahrzeug anzutreiben, mit dem man sich in der Dunkelheit des Hintergrundes verliert, während sich die Gedanken über den Wald und das Bild selbst erheben." Die Vision des selbstfahrenden Kraftfahrzeugs im womöglich bald anbrechenden postfossilen Zeitalter kommt hingegen ohne den wohligen Grusel eines Waldes aus, der unheimliche Schatten wirft. Denn die autonome, mittels Algorithmen gesteuerte Fortbewegungsmaschine in der realzeitlich vermessenen Landschaft verkörpert den modernen Schrecken selbst.

Anfang der Vierziger reiste der Maler mit seiner Frau im Auto zwei Monate quer durch die USA

Stillstand und Bewegung scheinen sich in Hoppers Bildern die Waage zu halten. Der Maler bevorzugte die Darstellung menschenleerer Straßen, auf denen sich nur selten ein Auto zu verirren scheint. Er selbst war ein begeisterter Reisender, der im Einklang mit der bis heute rastlosen und extrem mobilen Gesellschaft lebte. Ihr erstes Auto, ein Gebrauchtwagen, kauften sich der Maler und seine Frau, die Malerin Josephine, im Jahr 1927. Das Paar unternahm zahlreiche Reisen mit dem Auto. Anfang der Vierziger fuhren sie etwa zwei Monate lang auf einer Rundreise durch die USA. Das Gefährt diente unterwegs auch als eine Art mobiles Atelier, denn Hopper aquarellierte und zeichnete auf dem Rücksitz. Einige dieser Zeichnungen finden sich nun in der Fondation Beyeler und dürfen als die überraschenden wie heimlichen Paradestücke der Schau gelten, denn das Verschwiegene und Stille der Hopper-Gemälde weicht in den Zeichnungen dem Versuch, die beschleunigte Bewegung mit schnellen, dynamischen Kreidestrichen und Schraffuren auf das Blatt zu bringen.

Doch Hoppers Feier der Mobilität beschränkt sich nicht auf Straßen, Autos und Tankstellen. Er liebt auch die Bahn und das Boot gleichermaßen. Gleich zu Beginn des Rundgangs, erhebt sich eine majestätische Eisenbahnbrücke in New York über den Harlem River, um die Stadtteile Manhattan und Bronx miteinander zu verbinden ("Macomb's Dam Bridge", 1935). An anderer Stelle nähert sich ein Schmugglerboot in der Prohibitionszeit einem hell erleuchteten Haus am Ufer, wo eine silhouettenhafte Figur in der anbrechenden blau gestimmten Dämmerung bereits die illegale Fracht erwartet. Ein ganzer Saal ist den Eisenbahnbildern Hoppers gewidmet: 1929 malt er einen Sonnenuntergang an den Schienen, bei dem der Horizont förmlich zu glühen beginnt, während ein einsames Bahnwärterhäuschen und ein Telegrafenmast in den Abendhimmel ragen. Auch die legendären, sehr langen Güterfrachtzüge, die oft wochenlang kreuz und quer durch die Weite der Landschaft gezogen werden, werden von Hopper malerisch verewigt. Sie waren einst das bevorzugte Reisemittel der Tramps und Hobos, denen der Schriftsteller Jack London in seinen populären Abenteuerbüchern ein literarisches Denkmal setzte. Von den blinden Passagieren findet sich bei Hopper keine Spur, man kann nur vermuten, dass sie sich vielleicht irgendwo in den rostbraunen Güterwaggons verbergen, die der Maler 1928 in Gloucester, Massachusetts, malt. Vielmehr scheint sich der Maler für eine andere Sorte von Zugreisenden zu interessieren: die gut gekleideten Reisenden im Inneren der geräumigen Passagierzüge, die unter breitkrempigen Hüten in die Lektüre von Zeitschriften oder Büchern vertieft sind, während draußen eine Landschaft im Abendlicht vorbeizieht oder um die Nachmittagszeit, wenn das seitlich in den Waggon einfallende Sonnenlicht interessante Schatten auf den Boden des Wagens wirft.

Oft ist von Hoppers Bildern als Amerika-Fantasien geschrieben worden, die von einer bestimmten Sentimentalität und Verlustgefühlen förmlich durchtränkt erscheinen. Doch mit den Fokus auf die Landschaft und ihre Durchquerung eröffnet die Ausstellung auch eine neue Hopper-Lesart. Es ist bereits ein paar Jahre her, dass der Harvard-Historiker John R. Stilgoe in seinem Buch "Train Time" die "grundlegende und oft heftige Bindung" der Bahn "an den amerikanischen Boden und bestimmte Regionen" beschrieb und die Renaissance der Eisenbahn beschwor. "Entlang ihrer Gleise entwickeln sich die Ereignisse rasch, im Allgemeinen unbemerkt, nur von Bahnexperten und Leuten registriert, die sensibel genug für den bevorstehenden Landschafts- und Kulturwandel sind." In der Gegenwart, in der die alte Magie der endlosen Autobahnen zu verblassen beginnt, lassen sich die Bilder Hoppers nicht nur als Dokumente einer schwelgerischen Amerika-Nostalgie lesen, sondern gewinnen angesichts der bevorstehenden Wiederentdeckung der Bahn eine nahezu futuristische Qualität.

Edward Hopper, Fondation Beyeler, Riehen/Basel. Bis zum 17. Mai. Informationen unter: www.fondationbeyeler.ch

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