Süddeutsche Zeitung

Kunst und Widerstand:Wem gehört die Revolution?

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In New York zeigt die Ausstellung "Perpetual Revolution" sozialen Wandel als Erfolg eines linken Widerstandsgeistes. Dabei haben sich die Fronten in Amerika gerade vertauscht.

Von Peter Richter

Zur Nachrichtenlage nach zwei Wochen Präsident Trump gehört so viel, dass auch dies hier nicht untergehen soll: Propecia. So heißt das Mittel, das Trump seinem Leibarzt zufolge nimmt, damit ihm die Haare nicht ausfallen. Wirkstoff: Finasteride. Zu den Nebenwirkungen gehören Impotenz und Depressionen. Nicht enthüllt wurde bisher, was dem Mann so fantastisch lange Schlipse wachsen lässt, dass er nie, nie, nie - weder beim Amtseid noch beim Regieren - das Sakko schließt, damit alle das sehen können, was auch immer es bedeuten mag.

Das Haarwuchsmittel aber ist Amerikas Zeitungen ganze Artikel wert. Der in der New York Times war eingerahmt von Berichten über ein Kaufhaus, das die Marke "Ivanka Trump" aus dem Sortiment nimmt, und solchen über die Krawalle an der Universität Berkeley, wegen eines Auftrittes des rechtskonservativen Autors Milo Yiannopoulos, der berühmt wurde, weil er die politisch unkorrektesten Überschriften der politisch unkorrekten Politwebsite Breitbart News verfasst hat. Die Anarchisten vom sogenannten schwarzen Block gaben zu Protokoll, dass physische Gewalt gegen Trump-Anhänger sich bisher als sehr erfolgreiche Form des Protestes erwiesen habe.

Zur Nachrichtenlage nach zwei Wochen Präsident Trump gehört allerdings auch, dass im International Center of Photography (ICP) in New York eine Ausstellung eröffnet hat, bei der sich die Frage stellt, ob sie nicht exakt so auch der Fantasie von Milo Yiannopoulos entsprungen sein könnte, gegen den in Berkeley ja so massiv und gewaltsam auf die Straße gegangen wurde, dass die Universität schließlich seinen geplanten Auftritt absagte. Woraufhin Donald Trump, seit zwei Wochen Präsident, mitteilte, wenn die Universität das Recht auf freie Rede einschränke, dann müsse er ihr die Mittel streichen.

So zerstritten die Nation ist, so spiegelbildlich stehen sich beide Seiten gegenüber

Nun ist ausgerechnet Berkeley die Wiege der "Free Speech"-Bewegung, und einer, der damals in den Sechzigern dabei war, als die Redefreiheit erkämpft wurde, Jack Raday, hat sich auch schon aus dem Ruhestand zu Wort gemeldet: "Es gibt Rassisten, Sexisten, Schweineställe aller Art, die wirklich schlimme Sachen sagen." Aber das gehöre halt zur Welt, das müsse man aushalten und die Widerrede üben. Für viele Leute kommt Milo Yiannopoulos diesen Kategorien zwar sehr nahe, aber mit der Widerrede ist es bei ihm so eine Sache, weil der Mann wirklich sehr schnell und eloquent daherquasselt. Die Videos, in denen er Kritikern über den Mund rast, sind Quotenhits im Internet. Und wer es bislang geschafft hat, das Star-Großmaul von Breitbart News einfach rechts liegen zu lassen, der kommt jetzt - dem schwarzen Block von Berkeley sei es gedankt - auch in den von Yiannopoulos gerne verhöhnten Mainstream-Medien nicht mehr um ihn herum.

Ein 32 Jahre alter Trump-Unterstützer aus England findet also, dass die verfassungsmäßige Redefreiheit in Gefahr sei, wenn er auf seinen Vortragsreisen nicht sagen dürfen soll, dass seiner Meinung nach nicht nur der islamistische Terror, sondern der Islam an sich eine Bedrohung für ihn als outrierten Homosexuellen darstelle, dass außerdem der Feminismus ein Opferkult sei, der die Eigenverantwortung untergrabe, die "Black Lives Matter"-Bewegung genauso und so weiter und so fort.

Man darf annehmen, dass er Berkeley nicht ausschließlich als Misserfolg verbuchen wird.

Mit der Ausstellung am ICP in New York hat das insofern zu tun, als die in jedem Bild und erst recht auf jeder Erklärtafel so dermaßen für das genaue Gegenteil steht, dass sie fast schon wie ein Kondensat dessen wirkt, was sich die neue amerikanische Rechte in ihren Tiraden als linksliberalen Meinungshegemon zurechtlegen. Es geht in der Schau um die Rolle von Bildern, vor allem digitalen, im "sozialen Wandel". Es gibt da Filme zur Erderwärmung, die von apokalyptischer Wucht sind (Yiannopoulos neulich zum Thema Klimawandel: "eine Religion! Wenn sich 95 Prozent aller Wissenschaftler einig sind, werde ich erst recht skeptisch"), und es gibt Bilder von den Protesten dagegen. Und von denen gegen die Pipeline in South Dakota. Man braucht nicht viel Fantasie, um zu ahnen, dass Trump-Anhängern die ökonomischen Interessen der Betreiber und der Bauarbeiter näher sind als die ökologischen Befürchtungen der Stämme aus den angrenzenden Reservaten und ihren Unterstützern, vom Habituellen mal ganz abgesehen.

Man sieht Bilder aus der Zeit der Bürgerrechtsbewegung, von "Black Lives Matter"-Protesten und von gewaltsam gegen Schwarze vorgehenden Polizisten. In diesem Zusammenhang wollen Amerikas Konservative immer auch die Gewalt an Polizisten erwähnt haben. Es gibt einen ganzen Raum zum Sachverhalt "Migration", in dem sich jeder, der nur mal eine Minute in ein Yiannopoulos-Video hineingeschaut hat, unmittelbar sein Augenrollen vorstellen kann: Kriegsflüchtlinge, wo die Rechte über Wirtschaftsmigration redet, tote Kinder am Strand, wo ihr Thema Grenzsicherung ist, moralischer Druck gegenüber dem anderen, wo sie lieber den Verlust des Eigenen thematisieren.

Dafür hätte Yiannopoulos vielleicht in dem Raum mehr Spaß, in dem ungefiltert Propagandavideos des "Islamischen Staats" laufen, Bildschirm auf Bildschirm mit fusselbärtigem Gesäusel. Vielleicht würde er es als Darkroom für die sadomasochistischen Angstlüste eines schuldsüchtigen Westens bezeichnen. Vielleicht hätte er aber noch mehr Gaudi da, wo der transsexuelle Körper als politisches Ideal gefeiert wird, bei dem das Männliche und das Weibliche nur noch heitere Kostüm-Optionen sind, mit denen gegen die "patriarchalische, kapitalistische, cis-gendered White Supremacy" angegangen werden kann. Vermutlich wäre er auch hell begeistert, dass das ICP sehr stolz und groß auf seine "All-Gender Restrooms" hinweist, auf die geschlechtsneutralen Toiletten, daneben aber zusätzlich noch ein Frauenklo hat, weil leider - empirischer Befund vom letzten Dienstag - auch All-Gender-Männer offensichtlich noch auf die Brille pullern und das Spülen vergessen.

Die Linke orientiert sich gerade an den erfolgreichen Strategien des rechten Widerstandes

Dass das alles unbeirrt linker New Yorker Ernst ist und keine Parodie von Jungrechten wie Yiannopoulos, merkt man tatsächlich am ehesten daran, dass die sicher nicht "Perpetual Revolution" darüber geschrieben hätten, immerwährende Revolution, sondern eher "Establishment." Es ist offensichtlich ein mitten in die anbrechende Trump-Präsidentschaft hineinkuratiertes Statement, eine Selbstvergewisserung, dass "social change", von dialektischen Störfällen wie IS und eben Trump mal abgesehen, gesetzmäßig doch vor allem eine Richtung kennt oder kennen sollte. Wer sich für progressiv hält in New York und die Zeit für aus den Fugen, findet hier eine ideelle Wärmestube. Gleichzeitig würden viele Trump-Wähler hier wie in einer kulturellen Klimakammer so ziemlich alles finden, wogegen sie mit ihrer Stimmabgabe revoltiert haben.

Es weht trotzig der Geist des Widerstands, es lässt aber auch an Nostalgienachmittage russischer Exil-Adliger circa 1918 denken. Der Titel "Perpetual Revolution" lebt nun einmal von dem Widerspruch, der darin steckt, so wie die Ausstellung selbst von Mitteln aus einem staatlichen Topf. Der optimistische Ewigkeitsanspruch und die Gewissheit in die emanzipativen Heilspläne haben aber nach zwei Wochen Trump eher etwas von Ancien Régime. Revolution, Umsturz, grundlegender Bruch mit dem Bestehenden: Das ist eher das, was gerade im Weißen Haus stattfindet.

Wer glaubt, dass das Copyright auf Revolutionen bei der Linken liegt, dürfte eher von Konterrevolution sprechen. Aber das ändert nichts an der Frage, mit der jetzt die eine Hälfte der Amerikaner zu ringen hat: Wie zur Hölle lässt sich darauf reagieren? Und zwar wirkungsvoll. Wie protestiert man gegen einen Protest, den die andere Hälfte der Amerikaner an den Wahlurnen artikuliert und damit legalisiert hat? Überall wird seit zwei Wochen "Resistance" beschworen, Widerstand, von Michael Moore über demokratische Senatoren bis zu den Kindern, die das Wort handgemalt in ihre Brooklyner Fenster hängen, oder den Wirt, der es auf der 7th Avenue mit Kreide auf die Werbetafel schrieb: "Resist, rise up, reject - and have a beer!" Noch herrscht vor allem Uneinigkeit, was genau das heißen muss, welche Formen Sinn und Effekt haben, zumal der Gegner sie immer aus eigener Praxis schon kennt. So unüberbrückbar zerstritten die Nation ist, so spiegelbildlich stehen sich beide Seiten gleichzeitig gegenüber, ein bisschen wie Kampfsportler.

Der Trick und die Qualität von Yiannopoulos bestehen ja nicht zuletzt darin, dass er die Argumente der kulturalistischen Linken schneller fertigsprechen kann als sein Gegenüber - und dann einfach umdreht: Identity Politics, widerlich, aber wenn schon, warum dann für alle anderen außer für weiße Männer?

Umgekehrt wird zur Gründung einer Tea Party von links aufgerufen, die Losung "Not my president!" ist rechten Amerikanern noch aus der Zeit geläufig, als sie damit Bill Clinton bedachten, und bei den Demokraten im Repräsentantenhaus gilt jetzt "Learning from Mitch McConnell". Das war der republikanische Fraktionschef, der die Blockade von Barack Obamas Politik organisiert hat, wo immer er konnte. Nur hätten die Demokraten es damals noch Obstruktion genannt und nicht Widerstand, wird ihnen umgehend von rechten Twitterati entgegengehalten. Es wirkt oft ein bisschen wie bei Hase und Igel, und die linke Hälfte der Amerikaner ist dabei leider der Hase. Es bleibt ihr im Augenblick wenig übrig, als atemlos wirklich alle Optionen durchzuprobieren und darüber untereinander in Konflikt zu geraten.

"Wie opponiert man gegen einen unanständigen Führer und bleibt selber dabei anständig?", fragt der Politologe Peter Beinart auf der Website des Atlantic Monthly. Mit Brandsätzen und Prügeln wie jetzt in Berkeley zum Beispiel nicht, findet er: "Milo Yiannopoulos hat die Progressiven auf die Probe gestellt - und sie haben versagt."

Wo soll man in Brooklyn schon Anhänger von Trump finden? Die sitzen überall sonst im Land

Das sieht der schwarze Block allerdings anders. Die sogenannte Antifa New York freut sich über exponentielle Zuwächse seit Trumps von Krawallen überschatteter Amtseinführung. Ein anonymer Aktivist sagte der New York Times, das Ziel, die Aufmerksamkeit der Medien zumindest teilweise von Trumps Triumphfeier abzulenken, sei erreicht worden, die physische Bedrohung von Rechten wird auf anarchistischen Portalen wie Itsgoingdown.org als einzig wirkungsvolles Mittel begrüßt. Jetzt kursieren aus Berkeley halt Bilder im Netz, auf denen einer jungen Frau mit Trump-Mütze aus ungefähr einem Zentimeter Entfernung von einem vermummten Anti-Antifeministen Pfefferspray ins Gesicht gesprüht wird. Die einen sagen, man müsse mit allen Mitteln die Nazis stoppen. Die anderen: So benehmen sich Faschisten.

Die Masse der Anti-Trump-Protestierer fühlt sich durch die Gewaltbejahung am linken Rand abgestoßen, muss sich von dort aber die Frage stellen lassen, ob die eigenen Aktionen sich nicht in Trauma-Therapie erschöpfen. Es gibt bei den Kundgebungen und Demonstrationen tatsächlich immer den Moment, an dem es klingt, als laufe Geschichtsfernsehen. Dann hört man die wärmenden Losungen der Bürgerrechts-Ära: "What do we want? Justice! When do we want it? Now?" Andererseits: Irgendetwas muss man ja rufen, damit aus einem Spaziergang ein Protestmarsch wird. Und vor dem Stonewall Inn, Schwulenkneipe im West Village, historischer Ort eines Bürgerrechtskrawalls und Ursprung aller Christopher-Street-Days, standen am Samstag Tausende und schwenkten die Regenbogenfahnen. Im Museum of Modern Art haben sie ein paar Picassos weggehängt und durch Werke von Künstlern aus den Ländern ersetzt, die Trumps Einreiseverbot betrifft. Wenn die New York Times nach Trumps Gesundheitszustand forscht, ist da natürlich die Hoffnung herauszuhören, dass es Grund zur Besorgnis gibt. Dass die Modelinie von Trumps Tochter aus den Kaufhäusern genommen wird, freut wiederum jene, die schon länger zum Boykott von allem aufrufen, was mit dem Namen in irgendeiner Beziehung steht, und schon wegen der narzisstischen Persönlichkeit des Präsidenten jede nur irgend mögliche Artikulation eines Neins zu seiner Politik für wertvoll halten.

Dann steht aber am Ende der zweiten Woche von Trump als Präsident abends vor einer Bar in Brooklyn eine junge Frau und will mit der Uber-App einen Wagen bestellen, was ihren Freund ganz rasend macht, weil Uber einen Taxifahrerstreik zugunsten der Festgesetzten am Flughafen nicht unterstützt, sondern ausgenutzt habe, und die beiden streiten sich darüber so laut und heftig, wie sie vermutlich gerne mit Anhängern von Donald Trump würden streiten wollen. Aber wo soll man die hernehmen in Brooklyn? Die sitzen überall sonst im Land, und wenn man ihre Kommentare richtig deutet, dann fühlen sie sich von der Wut und Verzweiflung in den linksliberalen Städten im Moment eher bestätigt und beglückt. Aber das kann sich natürlich in dem Maße ändern, wie hier jetzt eine ganze Generation für die Politik gewonnen wird, die bisher an den Wochenenden vor allem damit beschäftigt war, in ihren Dating-Apps herumzuwischen.

Statt Uber vom Handy zu löschen, schreit die junge Frau ihren Freund an, solle er lieber seinem lokalen Kongressabgeordneten auf den Sack gehen. Oder, noch besser, selber einer werden.

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Quelle:
SZ vom 06.02.2017
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