Kunst und Religion:"Es war nie meine Absicht, jemanden in seinen Gefühlen zu verletzen"

Alexander Karle bei seinem Kunstprojekt "Pressure to Perform" ("Leistungsdruck"), bei dem er Liegestütze auf dem Altar der katholischen Kirche St. Johann in Saarbrücken ausführte.

Alexander Karle bei seinem Kunstprojekt "Pressure to Perform" ("Leistungsdruck"), bei dem er Liegestütze auf dem Altar der katholischen Kirche St. Johann in Saarbrücken ausführte.

(Foto: dpa)

Der Künstler Alexander Karle machte auf einem Altar Liegestütze und wurde dafür zu einer Geldstrafe verurteilt. Kunst - oder fehlender Respekt vor religiösen Symbolen?

Interview von Paul Katzenberger

"Pressure to performe" heißt die Aktion, mit der der freischaffende Künstler Alexander Karle, 38, im vergangenen Jahr in die Kritik gekommen war. In der Saarbrücker Basilika Sankt Johann war er in den Altarbereich eingedrungen und hatte Liegestütze auf dem Altar gemacht, 27 schaffte er. Die eineinhalbminütige Performance hatte er gefilmt und anschließend im Rahmen einer Ausstellung veröffentlicht. Das Amtsgericht Saarbrücken verurteilte ihn deswegen am vergangenen Dienstag zu einer Geldstrafe von 700 Euro. "Wenn ein Altar einer Turnwand gleichgesetzt wird, dann wird objektiv Missachtung zum Ausdruck gebracht", so die Richterin in ihrem Urteil.

SZ.de: Herr Karle, das Gericht hat Sie in den beiden Anklagepunkten Hausfriedensbruch und Störung der Religionsfreiheit verurteilt. Können Sie den Richterspruch nachvollziehen?

Alexander Karle: Nein. Der Eingriff, den ich vor Ort vorgenommen habe, ist so geringfügig, dass beiden Anklagepunkten nicht hätte stattgegeben werden dürfen. Selbst wenn man zu dem Schluss kommt, dass es formal eine Form von Hausfriedensbruch war, dann rechtfertigt eine fünfminütige Aktion keine Verurteilung, zumal ich keinen Schaden hinterlassen habe. Vor allem, wenn man zusätzlich berücksichtigt, dass es um die Erstellung eines Kunstwerkes ging.

Wie kam es zu dem Vorwurf des Hausfriedensbruches? Sind Kirchen nicht öffentliche Orte?

Die Tür war geöffnet. Die Kirche war für jeden öffentlich zugänglich. Aber der Altarbereich wird durch eine Kordel in Höhe von 30 Zentimeter symbolisch versperrt. Diese Grenze habe ich - wenn auch behutsam - überschritten.

Aus welchen Gründen widersprechen Sie dem Vorwurf der Störung der Religionsfreiheit? Wenn ein Gläubiger Zeuge wird, wie ein Eindringling Liegestütze auf einem Altar macht, kann es doch durchaus möglich sein, dass sich der Gläubige in seinen Gefühlen verletzt fühlt.

Es war nie meine Absicht, jemanden in seinen Gefühlen zu verletzen. Davon abgesehen, liegt eine Störung der Religionsfreiheit im strafrechtlichen Sinne erst bei grob beschimpfendem Verhalten vor. Dafür müsste man Hakenkreuze an die Wand schmieren oder irgendwo hinpinkeln. Ich habe stattdessen nur ganz behutsam Liegestütze gemacht.

Die Richterin hat Sie trotzdem verurteilt.

Sie hat in Frage gestellt, ob es sich bei meiner Aktion überhaupt um ein Kunstwerk handelt. Sie war zudem der Auffassung, dass Liegestütze sehr wohl grob beschimpfend sind, wenn man sie auf dem Altar ausführt.

Sie sagen, Ihr Kunstwerk soll einen Zusammenhang zwischen Religion und Leistung herstellen. Welche Entwicklung innerhalb der katholischen Kirche möchten Sie denn genau kritisieren?

In der katholischen Kirche ging es am Anfang um die Nichtmaterialisierung, also darum, zu sagen: 'Es geht nicht um den Heiligen Altar selbst, sondern darum, wofür dieser Altar steht.' Und das hat sich umgedreht. Wir sind heute in einer Situation, in der materielle Dinge mehr zählen als Menschen oder Gefühle. Das wollte ich zum Ausdruck bringen, indem ich zwei Dinge zusammenzubringe, die man so noch nicht gesehen hat, und die eine breite Diskussion auslösen.

"Hier im Saarland geht kaum einer in Ausstellungen"

Alexander Karle

Alexander Karle: "Ich finde es gut und wichtig, was Pussy Riot gemacht hat, aber ich sehe mich nicht in direkter Verbindung damit."

(Foto: dpa)

Letzteres ist Ihnen ja offensichtlich gelungen.

Mein Video hat hier im Saarland eine Debatte ausgelöst, die es vorher über ein Kunstwerk noch nie in dieser Form gegeben hat. Die Ausstellung, in der ich mein Video zeigte, kam in einem Monat vier Mal in den Abendnachrichten.

Aber war das wegen der künstlerischen Aussage Ihres Werkes, oder weil Sie mit Ihrer Provokation ganz bewusst auf Öffentlichkeitswirksamkeit gesetzt haben?

Das war keine kalkulierte Provokation. Allein schon deswegen nicht, weil ich vorher nicht absehen konnte, dass meine Kunstaktion jemals diese Aufmerksamkeit bekommen würde. Ich habe das Werk für eine kleine Gruppenausstellung realisiert, von der ich erwartete, dass sie wenig Beachtung finden wird. Hier im Saarland geht kaum einer in Ausstellungen. Hätte dieser Pfarrer nicht zufälligerweise mein Video gesehen und hätte er nicht diesen Wirbel ausgelöst, hätte es keine Gerichtsverhandlung gegeben, und der Fall wäre nie in die Nachrichten gekommen. Er hätte höchstens ausgewählte Kunstkreise beschäftigt.

Sehen Sie sich in einer Reihe mit Pussy Riot, der feministischen Band aus Russland, die 2012 ein "Punk-Gebet" in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale veranstaltet hat, wegen dem drei ihrer Mitglieder zu Haftstrafen verurteilt wurden?

Natürlich wurde Pussy Riot in meinem Fall vor Gericht angesprochen. Das hat meine Richterin aber wenig interessiert. Meine Vorbilder sind im Übrigen eher Michelangelo oder Goya.

Das klingt, als ob Sie eher abschätzig auf die Punk-Aktion von Pussy Riot blicken würden.

Ich finde es gut und wichtig, was Pussy Riot gemacht hat, aber ich sehe mich nicht in direkter Verbindung damit. Das Vorgehen von Pussy Riot, bei laufendem Gottesdienst ein Punk-Konzert zu spielen, ist auch etwas ganz anderes, als wenn man tagsüber in eine Kirche geht, in der drei Leute anwesend sind, und dort fünf Minuten lang mit einer kleinen Kamera ein Video aufnimmt. Dann geht man wieder, und gar keiner hat es mitbekommen. Das Video, das ich erstellt habe, ist ja auch das einzige Beweismittel vor Gericht gewesen.

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