Süddeutsche Zeitung

Kunst und Preise:Meine Zeit

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Ein Manet für ein paar Pfund, aber ein Salonmaler für Millionen? Warum sich der Marktwert oft so drastisch vom Kulturwert unterscheidet.

Von Hubertus Butin

Walter Benjamin schrieb in seinem Essay über das Paris des 19. Jahrhunderts: Der Kunstsammler "macht die Verklärung der Dinge zu seiner Sache. Ihm fällt die Sisyphosaufgabe zu, durch seinen Besitz an den Dingen den Warencharakter von ihnen abzustreifen." Heute, 84 Jahre später, scheint für viele Sammler das Gegenteil zu gelten. Sie unterwerfen die Kunst einer ökonomischen Bewertungslogik. Vor allem beim Kauf von zeitgenössischer Kunst suchen sie die Möglichkeiten der Geldanlage, Spekulation und Wertschöpfung.

Gleichzeitig ist die Unsicherheit solcher Sammler groß, weil sie nicht wissen, welche Kunst auch morgen noch ihr Geld wert sein wird. Deshalb lassen sich manche Teilnehmer des Kunstbetriebs von einem Aspekt leiten, der trügerisch sein kann. Die einflussreiche New Yorker Kunstberaterin Thea Westreich sagte dazu: "Heute glauben viele Sammler, dass Wertsteigerung am Markt automatisch kunstgeschichtliche Relevanz bedeutet." Doch ein hoher Verkaufspreis sagt vor allem etwas über das Begehren aus, das einer künstlerischen Arbeit entgegengebracht wird, nicht unbedingt über die kulturelle Bedeutung eines Werks.

Selbst manche Museen können es sich nicht verkneifen, den besonderen Marktwert eines Künstlers hervorzuheben. Als 2007 im New Yorker Metropolitan Museum die Ausstellung "The Age of Rembrandt" zu sehen war, las man auf einer Tafel neben Rembrandts Ölgemälde "Aristoteles vor einer Büste Homers" von 1653: "Das Museum erwarb das Gemälde für einen Rekordpreis."

Warum müssen Ausstellungsbesucher wissen, dass das Bild sehr viel Geld gekostet hat? Soll dem Publikum vermittelt werden, dass einfach gut sein muss, was teuer war? Offensichtlich gehört der monetäre Wert eines Kunstwerks heute so selbstverständlich zu seiner Identität, dass der Hinweis allein auf den kulturellen Wert selbst eines Gemäldes von Rembrandt nicht ausreicht.

Mit dem Begriff des Kulturwerts ist hier die kunsthistorische Bedeutung gemeint; diese misst sich unter anderem an künstlerischen Qualitätsfragen, also etwa an der formalästhetischen Raffinesse und der gedanklichen Komplexität eines Werks. Natürlich ist der Kulturwert relativ, weil wandelbar. Doch er scheint in seinen Beurteilungskategorien stabiler zu sein als der launenhafte Marktwert.

Viele Künstler kommen auf Auktionen nicht vor, genießen aber hohes Ansehen und werden von Museen gesammelt.

Dass man die kunstgeschichtliche Bedeutung nicht von Auktionsergebnissen ableiten kann, zeigt sich zum Beispiel aktuell bei dem jungen New Yorker Künstler Brian Donnelly, besser bekannt als KAWS. Niemand wird behaupten, dass dessen Gemälde "The KAWS Album" (2005) aufgrund seines Verkaufspreises eines der bedeutendsten Kunstwerke der Gegenwart sei. Im April 2019 wurde es von Sotheby's in Hongkong für fast 14,8 Millionen US-Dollar versteigert. Das Bild basiert auf dem Motiv des Plattencovers "The Yellow Album" der "Simpsons" von 1998, wobei KAWS die Köpfe der darauf abgebildeten Cartoonfiguren durch seine typischen totenkopfähnlichen, aber ins Niedliche gewendeten Fratzen ersetzt hat.

KAWS produziert Gemälde, Grafiken und Plastiken, aber auch T-Shirts, Geldbörsen und Plüschtiere. Er eignet sich strategisch die popkulturellen Ikonen des 20. und 21. Jahrhunderts an, so etwa Comicfiguren wie Mickey Mouse, die Simpsons, die Schlümpfe, Snoopy und Spongebob. Über die Ebene eines bloßen Produktdesigners ist er jedoch nie hinausgekommen. KAWS ist kein Künstler, sondern eine geschickt lancierte Marke, die auf einen hohen Wiedererkennungswert setzt und nun auch noch im Kunsthandel gelandet ist.

Gleichzeitig gibt es viele Künstler, die auf Auktionen nicht vorkommen und trotzdem hohes Ansehen genießen. Ihre Werke werden in Museen gezeigt, befinden sich in wichtigen Sammlungen und werden von Kritikern besprochen. So spielt etwa der Berliner Künstler Andreas Siekmann, der vor allem politische und ökonomiekritische Themen reflektiert, im Auktionswesen keine Rolle. Und doch wird ihm von Kunsthistorikern eine Bedeutung zugesprochen. Seine Werke finden sich in Museen wie dem Kölner Museum Ludwig oder dem MoMA in New York, er ist auf Biennalen oder Großausstellungen wie der Documenta in Kassel vertreten.

Bei Sotheby's behauptete jemand: "Die teuersten Werke sind tatsächlich die besten."

Trotzdem versuchen vor allem Auktionshäuser, einen Zusammenhang zwischen Markt- und Kulturwert herzustellen. So behauptete Tobias Meyer, bis 2013 Chef der Zeitgenossen-Abteilung bei Sotheby's, 2006: "Die teuersten Werke sind tatsächlich die besten." Zwei historische Beispiele können die Problematik verdeutlichen, die daraus resultiert. In der Pariser Galerie Goupil kostete Mitte der 1880er-Jahre ein Gemälde von Alphonse de Neuville den enormen Preis von 150 000 Franc. Zehn Jahre später konnte man ein im Format vergleichbares Gemälde von Édouard Manet in Paris für nur 6000 Franc erwerben. Neuville war zu Lebzeiten im Kunsthandel ein äußerst erfolgreicher akademischer Schlachtenmaler. Heute interessieren sich Sammler und Kunsthistoriker kaum noch für ihn. Manet hingegen gilt heute als einer der bedeutendsten Künstler des 19. Jahrhunderts. Nach der Logik von Tobias Meyer hätte man damals aber Neuville für den besten und Manet für einen belanglosen Künstler halten müssen, den man besser nicht erworben hätte.

Ein noch bemerkenswerteres Beispiel stellt die Rezeptionsgeschichte von Lawrence Alma-Tadema dar. Der Holländer arbeitete ab 1870 in London und wurde einer der erfolgreichsten viktorianischen Salonmaler. Er stellte in seinen wie parfümiert wirkenden Historienbildern vor allem den Luxus und die Dekadenz des Römischen Reichs und des antiken Griechenlands dar. Ätherische, mädchenhafte Frauen, die auf weißen Marmorterrassen sitzen und sehnsuchtsvoll über das türkisblaue Meer schauen, waren als Motiv beim reichen Bildungsbürgertum begehrt. Die Ölgemälde sind perfekt ausgeführt und zeigen detailverliebt eine sorgenfreie und entrückte Welt. Für diese restaurative Utopie liegt das Heil in der Wiedergeburt der Vergangenheit. Alma-Tademas Traumvisionen der Antike machten den Künstler zu einem der teuersten Maler seiner Zeit.

Als 1903 der Nachlass des Kunstsammlers und Mäzens Henry G. Marquand in New York versteigert wurde, kam auch Alma-Tademas Gemälde "A Reading from Homer" aus dem Jahr 1885 zum Aufruf. Es brachte die damals unglaubliche Summe von 33 000 Dollar ein, was heute über 930 000 Dollar entspricht. Für keinen anderen lebenden Künstler wurde damals ein solcher Preis gezahlt. In britischer Währung entsprach er 6800 Pfund. Ebenfalls 1903 nämlich wurde das Tahiti-Gemälde "Te Rerioa" von Paul Gauguin auf einer Auktion in London für nur 44 Pfund versteigert.

Der Geschmack des Publikums ändert sich ständig.

Nach dem Tod Alma-Tademas 1912 änderte sich die Konjunktur für diesen Salonmaler. Der einsetzende Erfolg der Moderne und der sich verändernde Käufergeschmack ließen Mitte der Zwanzigerjahre den Markt für seine Werke zusammenbrechen. Bis in die Sechzigerjahre brachten sie auf Auktionen nur noch zwei- bis dreistellige Pfundbeträge. Die ganz und gar antimodernistischen Bilder wurden als zu akademisch, schwülstig, ja kitschig empfunden.

Erst die Neubewertung der Kunst des 19. Jahrhunderts führte ab Ende der Sechziger zu einer Wiederentdeckung dieses Malers. Im Markt entwickelte sich mit der Zeit sogar eine richtige Euphorie, die allerdings kunsthistorisch wiederum kaum zu rechtfertigen ist: Das 1904 entstandene Ölgemälde "The Finding of Moses", das einem Sammler 1960 nur 252 Pfund wert war, brachte 2010 bei Sotheby's in New York den Auktionsrekord von 35,9 Millionen Dollar. Obwohl das Bild in seiner über einhundertjährigen Geschichte immer dasselbe geblieben ist, änderte sich dessen Wertschätzung also mehrere Male auf extreme Weise.

Der Geschmack des Publikums wie auch die Preise auf dem Kunstmarkt sind einem ständigen Wandel unterworfen. Auch aus der Perspektive größerer historischer Distanz zeigt sich also, wie absurd Tobias Meyers zitierte Behauptung, die teuersten Werke seien die besten, in Wahrheit ist. Die Bewertungskriterien des Marktes sind höchst relativ, da sie sich kurzfristig und grundlegend ändern können. Man sollte den Marktwert aber nicht mit dem Kulturwert verwechseln. Eine Übereinstimmung beider Kategorien kann, muss aber nicht vorliegen. Mitunter hat das eine mit dem anderen nichts zu tun.

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Quelle:
SZ vom 21.09.2019
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